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Die Wissenschaft ist zu einem Mannschaftssport geworden.

Publiziert am 18/08/2022

Isaac Newton schrieb in einem Brief an Robert Hooke im Jahr 1675: «Wenn ich weiter sehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.» Dieser Satz hat in den letzten 400 Jahren viele verschiedene Interpretationen erfahren. Vor allem wurde er jedoch so verstanden, dass die wissenschaftliche Arbeit ein iteratives Gemeinschaftswerk ist, bei dem wegweisende Neuerungen auf einer Vielzahl vorhergehender Schritte basieren.

Doch trotz des Newton-Zitats wurde der Mythos des genialen Einzeldenkers über die Jahrhunderte hinweg aufrechterhalten, verkörpert durch herausragende Persönlichkeiten wie Albert Einstein und natürlich Newton selbst. Auch heute noch werden Nobelpreise für bahnbrechende Erkenntnisse in der Chemie, Medizin und Physik oft an Dreiergruppen vergeben, die herausragende Leistungen auf individueller Ebene widerspiegeln.

Die Konzentration auf einige wenige Wissenschaftler scheint heute jedoch weniger gerechtfertigt zu sein als in der Vergangenheit. Damals wurden die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich von einzelnen Autoren veröffentlicht, die für sich in Anspruch nehmen konnten, allein zu arbeiten. Die heutige Realität in der Wissenschaft sieht jedoch ganz anders aus. In wissenschaftlichen Arbeiten werden in der Regel Dutzende Mitwirkende als Autoren aufgeführt, in manchen Fällen werden mehr als 1000 Wissenschaftler genannt. Der bisherige Rekord liegt bei 5154 Autorinnen und Autoren für eine einzige Arbeit.

Solche Big-Science-Bemühungen, wie sie manchmal genannt werden, haben den Vorteil, dass sie die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vereinen und dazu beitragen, Ökosysteme zu schaffen, die grösser sind als die Summe ihrer Teile. Ein Beispiel für eine solche konzertierte Aktion ist das langfristige Forschungsprogramm der Europäischen Union, das im Jahr 2021 unter dem Namen Horizon Europe mit einem Finanzvolumen von 95,5 Milliarden Euro in seiner jüngsten Auflage gestartet wurde.

Eine weitere bekannte Big-Science-Einrichtung ist das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung. Schon seit Jahrzehnten vereint die Organisation die besten Physikerinnen und Physiker der Welt, um grundlegende Aspekte des Universums zu erforschen, was unter anderem zur Entdeckung des Higgs-Bosons führte, das auch als «Gottesteilchen» bezeichnet wird.

Im Bereich der Medizin ist das Humangenom­projekt ein herausragendes Beispiel für diese Art multidisziplinärer und multiinstitutioneller Zusammenarbeit. Das mehrjährige Projekt, das 2003 zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms führte, trug nicht nur dazu bei, Licht in die verborgene Struktur der menschlichen Biologie zu bringen, sondern war auch entscheidend für die Entwicklung von Instrumenten und Techniken, die zur Entwicklung der Gentherapie geführt haben.

Auch bei der Bekämpfung der Coronapandemie wurden die Vorteile der Kooperation deutlich sichtbar. Das Rekordtempo bei der Entwicklung neuer Impfstoffe und Medikamente gegen COVID-19 wäre ohne umfangreiche Investitionen in neuartige Technologien wie mRNA, die das Ergebnis jahrzehnte­langer Forschung sind, nicht denkbar gewesen. Dank dieser Bemühungen könnte die mRNA-Technologie künftig nicht nur zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt werden, sondern den Wissenschaftlern auch neue Möglichkeiten zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs bieten.

Gemeinsam Innovationen schaffen

Novartis hat ihrerseits die Kooperation schon früh als Mittel zur Förderung von Innovationen erkannt. Ihre Vorgängerunternehmen hatten bereits Kooperationsnetzwerke aufgebaut, die sowohl die Industrie als auch die Wissenschaft umfassten. Eines der ersten Projekte dieser Art wurde 1918 ins Leben gerufen, als Sandoz, Ciba und Geigy – damals noch im Farbstoffgeschäft tätig – die Basler Interessengemeinschaft gründeten und ihre Ressourcen bündelten, um sich gegen die zunehmende Konkurrenz aus den USA und Deutschland zu wehren.

Die Vorgängerunternehmen von Novartis knüpften auch enge Beziehungen zu den Hochschulen, ins­besondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sie begannen, in das Pharmageschäft einzusteigen. Sandoz zum Beispiel stellte Arthur Stoll von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich ein, der die junge Pharmasparte des Unternehmens leiten sollte; Ciba kooperierte mit führenden Universitätswissenschaftlern wie den Nobelpreisträgern Leopold Ruzicka und Tadeus Reichstein im Bereich der Hormonforschung.

1970 gingen die Novartis-Vorgängerunternehmen Ciba und Geigy noch einen Schritt weiter und gründeten das Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (Friedrich-Miescher-Institut, FMI), um die Forschungsanstrengungen von Unternehmen und Hochschulen besser miteinander vernetzen und Innovationen fördern zu können, um der Konkurrenz voraus zu sein. Ebenso ist das Novartis Institute for BioMedical Research Hunderte von Forschungspartnerschaften mit führenden Institutionen wie dem Massachusetts Institute of Technology oder dem Dana Farber Cancer Institute eingegangen, die sich ausschlaggebend für die Entwicklung innovativer Medikamente erwiesen.

Neue Welle der Zusammenarbeit

Seit diesen Anfängen hat sich die Kooperation mit anderen Unternehmen und Forschungsinstituten beschleunigt. Dies liegt auch daran, dass in der heutigen hochspezialisierten und sich schnell weiter­entwickelnden Welt der Wissenschaft selbst Gross­unternehmen wie Novartis mit ihren mehr als 20000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Forschung und Entwicklung Kooperationen mit externen Gruppen eingehen müssen, um Synergien zu schaffen und von Kompetenzen und Erkenntnissen zu profitieren, die sonst nicht verfügbar wären.

Vor diesem Hintergrund hat Novartis nicht nur Kooperationen mit anderen Unternehmen aus dem Pharma- und Biotechnologie-Bereich gesucht und Übernahmen angestrebt, um Forschungsplattformen in Bereichen wie Gentherapie und Nuklearmedizin aufzubauen. Novartis hat auch Verbindungen zu führenden Unternehmen aus anderen Bereichen geknüpft, vor allem aus der Daten- und Digitaltechnologie, einem Gebiet, in dem bis vor Kurzem wenig bis gar keine eigene Fachkompetenz im Hause verfügbar war.

Das Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts hat sich in letzter Zeit derart beschleunigt, dass man 2019 bei Novartis beschloss, den eigenen Forschungscampus in Basel für andere Unternehmen und Organisationen zu öffnen. Damals erläuterte Novartis-Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt den Schritt wie folgt: «Heute stehen wir erneut an einem wichtigen Scheideweg. Die Welt, in der wir leben, verändert sich schnell. Aufgrund neuer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Entwicklungen müssen wir überdenken, wie wir unsere Arbeit organisieren, mit anderen kommunizieren und die Ressourcen der Natur auf möglichst effiziente Weise nutzen.»

Er wies insbesondere auf die Bedeutung der Kooperation hin. «Die Kooperation wird in diesem Umfeld immer wichtiger: Wir müssen immer enger mit unseren Technologiepartnern zusammenarbeiten, damit wir neue Chancen in Bereichen wie etwa der Daten- und Digitaltechnologie, der Gentherapie oder dem 3-D-Druck nutzen können, um nur einige wenige Hightech-Bereiche zu nennen. Gemeinsam mit führenden Unternehmen aus anderen Sektoren werden wir besser gerüstet sein, diese neuen Technologien zu verstehen, damit wir bahnbrechende Medikamente entwickeln und bereitstellen können», so Reinhardt.

Seit dieser Ankündigung hat Novartis eine Reihe von digitalen Start-up-Unternehmen auf ihrem Basler Campus angesiedelt, darunter auch mehrere Biotechnologie-Unternehmen wie FoRx Therapeutics. Demnächst werden das Friedrich Miescher Institute und das Institute of Molecular and Clinical Ophthalmology Basel auf dem Campus ihre Türen öffnen und noch intensiver mit den hier angesiedelten Wissenschaftlern zusammenarbeiten.

Die Bedeutung gut funktionierender Ökosysteme

Die Kooperation ist ein wichtiger Motor für das Bestreben von Novartis, Innovationen voranzubringen. Man ist sich aber auch bewusst, dass man ohne ein gut funktionierendes Ökosystem aus führenden Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie ein leistungsstarkes Netzwerk von Zulieferern und Dienstleistungsunternehmen kaum Spitzenleistungen erzielen kann.

Um ein erfolgreiches Unternehmen aufzubauen und eine leistungsstarke Forschungstätigkeit zu entfalten, müssen wissenschaftsbasierte Unternehmen in einem Umfeld tätig sein, das die Erreichung ihrer Ziele begünstigt. Dazu zählen auch Gesetze und Vorschriften, die Wissenschaft und Innovationstätigkeit fördern, Rechte an geistigem Eigentum schützen und Unternehmen einen problemlosen Zugang zu Märkten und talentierten Fachkräften ermöglichen.

Das Ökosystem-Argument war auch ausschlaggebend, als Novartis 2001 ihren Forschungshauptsitz in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts errichtete, um vom grossen Pool der talentierten Medizinwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der dortigen Region zu profitieren. Dieselbe Logik veranlasste Novartis, den Bau ihres Forschungscampus in Basel in Angriff zu nehmen und Hunderte von Millionen Franken zu investieren, um moderne Arbeitsplätze und erstklassige Labors zu schaffen, die ein attraktives Umfeld für die besten Wissenschaftler aus aller Welt ermöglichen.

Aus Sicht der Forschung bieten sowohl die USA als auch die Schweiz Novartis das nötige Umfeld für künftige Innovationen, da beide Länder viel Geld in die Wissenschaft investieren. Mit Investitionen in Höhe von 650 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 sind die USA weltweit nach wie vor der grösste Geldgeber für Forschung und Entwicklung. Die Schweiz liegt trotz ihrer geringen Grösse nach Angaben der OECD mit jährlichen Ausgaben von mehr als 18 Milliarden US-Dollar auf Platz 18.

Novartis hat auch selbst Schritte unternommen, um diese Ökosysteme zu stärken, insbesondere in der Schweiz, wo das Unternehmen seine historischen Wurzeln und seinen weltweiten Hauptsitz hat. Vor rund fünf Jahren hat das Unternehmen gemeinsam mit der Universität Basel und dem Basler Universitätsspital das Institute of Molecular and Clinical Ophthalmology gegründet und die Start-up-Plattform FreeNovation ins Leben gerufen, um die Grundlagenforschung in der Schweiz in Bereichen zu stärken, für die sonst keine oder nur geringe Mittel zur Verfügung stehen.

Dass Investitionen in ein solches Ökosystem unerlässlich sind, versteht sich von selbst, insbesondere angesichts der langen Entwicklungszeiten in der pharmazeutischen Forschung. Im Durchschnitt dauert es mehr als zehn Jahre und Investitionen von über einer Milliarde US-Dollar sind in der Regel nötig, um einen neuen Wirkstoff zu entwickeln.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Um neuartige Medikamente zu entwickeln, ist jahrzehntelange Grundlagenforschung erforderlich, bevor Forscher tatsächlich mit der Arbeit an neuen The­rapien beginnen können. Im Fall der Gentherapie beispielsweise brauchte es mehrere Jahrzehnte Grundlagenforschung, bevor die ersten erfolgreichen Therapien entwickelt wurden.

Einbeziehung der Stakeholder

Die Beteiligung an solchen Forschungsnetzwerken und deren Pflege ist für kleine und grosse Forschungseinrichtungen angesichts der grossen Zahl von mehr als acht Millionen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aller Welt von entscheidender Bedeutung.

Um dieses enorme Wissensreservoir erschliessen zu können, ist Novartis beispielsweise auch Mitglied der Innovative Medicines Initiative, einer öffentlich-privaten Partnerschaft, an der die Europäische Union und die europäische Pharmaindustrie sowie Universitäten, Forschungszentren, Patientenorganisationen und Regulierungsbehörden teilnehmen. Die IMI bündelt nicht nur das dringend benötigte Fachwissen verschiedener Forschungsgruppen, sondern bringt auch andere Stakeholder an einen Tisch – ein Element, das für die Entwicklung ganzheitlicher Lösungen im Bereich der Medizin oder Technologie immer wichtiger wird.

Diese Kooperation wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verstärken, auch wenn geopolitische und wirtschaftliche Herausforderungen die Aufrechterhaltung solcher Beziehungen erschweren, wie etwa der derzeitige Verlust des vollen Zugangs der Schweiz zum europäischen Vorzeigeprogramm Horizon Europe. Trotz dieser Herausforderungen setzt Novartis jedoch weiterhin auf Kooperation und wird ihr eigenes Netzwerk über den Bereich der reinen Wissenschaft hinaus ausbauen, indem sie ihre Beziehungen etwa zu Patientenorganisationen, NGOs, die mit dem Zugang zu Arzneimitteln befasst sind, oder Umweltexperten intensiviert.

Die Idee, das Spektrum der Wissenschaftler zu erweitern, gewinnt auch andernorts an Bedeutung. Eine Sonderausgabe von Nature aus dem Jahr 2021 befasste sich mit der Bedeutung der Kooperation und der Einbeziehung von Stakeholdern in die Forschung. Nature kam zu folgendem Schluss: «Die Metapher «auf den Schultern von Riesen stehen» wurde von Wissenschaftlern in der Vergangenheit und Gegenwart oft überstrapaziert. Heute sind solche «Riesen» nicht nur die Wissenschaftler, die in den Forschungsarbeiten und bei den Projektzuschüssen genannt werden, sondern auch alle am Forschungsprozess Beteiligten. Die Zukunft liegt darin, auf den Schultern von vielen zu stehen.»

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