«unterdessen»
«Humbug»
Bis 2023 und weiter?
content-image
00

Beats, Pádel und Nähmaschinen

Novartis verkaufte ihren Anteil am Klybeck 2019. An den grossen Plänen für das Quartier hat sich aber nichts geändert. Auch die Menschen, die schon heute an Zwischennutzungsprojekten beteiligt sind, schauen mit Zuversicht in die Zukunft.

Text von Patrick Tschan, Fotos von Adriano  A.  Biondo

scroll-down
Home
en
de
zh
jp
Share
Share icon
content-image
Enter fullscreen

Im Juni 2017 wurde eine öffentliche Informationsveranstaltung zum Thema «Klybeck plus» durchgeführt.

arrow-right«unterdessen»
arrow-right«Humbug»
arrow-rightBis 2023 und weiter?

Publiziert am 18/10/2021

Als Novartis 2019 ihre Grundstücke im Klybeckareal veräusserte, erklärte Länderpräsident Matthias Leuenberger die Gründe für den Verkauf folgendermassen: «Wie Sie   wissen, haben wir in der Stadt Basel eigentlich recht grosszügige Platzverhältnisse, wir sind ja auf dem Campus daheim, haben dort in den vergangenen Jahren sehr viel investiert, und jetzt ist es so, dass wir im Klybeck Platz haben, den wir nicht mehr in diesem Ausmass brauchen. Deshalb haben wir uns bereits vor einiger Zeit dazu entschlossen, das Areal einer neuen Nutzung zuzuführen. Dies waren die Überlegungen, die zu diesem Verkaufsentscheid geführt haben.»  

Knapp sieben Wochen später verkaufte auch BASF ihren Anteil. Am Grundkonzept für die Weiterentwicklung des Areals änderte sich jedoch nichts. Denn um sicherzustellen, dass das Areal in konstruktiver Partnerschaft zwischen Eigentümern, dem Kanton Basel-Stadt und der Bevölkerung entwickelt wird, wurde mit dem Kanton im Rahmen von «Klybeck plus» schon 2016 eine Planungsvereinbarung getroffen. Laut dieser Übereinkunft soll ein vollwertiger Stadtteil mit Wohn- und Arbeitsflächen, Freizeit- und Kulturangeboten, Schulen, Parks und vielem mehr entstehen.   

Diese Planungsvereinbarung ist auch für die Käuferinnen Rhystadt AG und Swiss Life verbindlich. Damit haben Novartis und BASF zusammen mit dem Kanton über den Zeitpunkt der Handänderung hinaus abgesichert, dass die geschichtsträchtige Basler Industriezone nicht zum Spielball von Spekulanten werden kann. Insgesamt sechs Planungsphasen sind in dieser Vereinbarung vorgesehen, damit ein attraktives Quartier entstehen kann, das sich nahtlos in die bestehende städtische Nachbarschaft integrieren soll.

content-image
Enter fullscreen

Der Anlass im Personalrestaurant Klybeck...

«un­ter­des­sen»

Eine der ersten Phasen sieht Zwischennutzungen vor, ein vielfach angewandtes Konzept zur Überbrückung der Planungszeit eines Bauvorhabens. Gleichgültig, ob es sich dabei um ehemalige Industrieareale, städtische Landreserven oder aufgegebene Produktions- oder Bürogebäude handelt, das Vorgehen bleibt dasselbe: Vergeben werden die temporären Leerräume für eine Zwischennutzung nach der Kurzformel «günstiger Raum gegen befristete Nutzung».  

Die befristete Nutzung wurde im Werkareal Klybeck auf vorerst fünf Jahre fest­ge­legt. Beauftragt mit dem Management der Zwischennutzung wurde der auf diesem Gebiet bestens beschlagene Verein «unterdessen». Zu den besonderen Herausforderungen im Klybeck sagte Pascal Biedermann, Geschäftsführer von «unterdessen», im Mai 2019 zu Radio SRF1: «Die Zwischennutzung Klybeck ist sehr speziell, weil man hier am Anfang eines neuen Stadtquartiers steht, das zuerst geplant, entwickelt und gebaut werden muss. Die chemische Industrie wird weggehen, ein riesiges Areal wird frei, und da wollen die Leute aus dem Quartier natürlich als Erste wissen: Was passiert da?»

Vor diesem Hintergrund lud «unterdessen» die Quartierbewohner des Klybeck im Juni 2018 zu einem Workshop ein, in dessen Rahmen sie ihre Vorstellungen für die Zwischennutzung einbringen konnten. Über 100 Personen beteiligten sich am Workshop, entsprechend bunt war der daraus resultierende Strauss an Ideen, wie das Regionaljournal Basel von SRF1 berichtete:

«Eine Oase, ein Rückzugsort in der sonst dichten und auch lauten Stadt; Grün- und Freiflächen, dass man einfach die Mauer öffnet, dass die Leute einfach viel mehr Freiräume haben; ein Quartiertreffpunkt für Jugendliche mit Ruhezonen einerseits, aber auch Sportmöglichkeiten, um sich auszutoben; eine Theaterschule für das Quartier, eine Theaterschule für alle Generationen, hier in Klein- oder Grossbasel; Feuer und Wasser, nicht steril!»

Der Verein «unterdessen», der die Zwischennutzung im Klybeckareal verwaltet, sammelte bereits im Jahr 2000 im Basler Quartier Gundeldingen erste Erfahrungen, als der ehemalige Produktionsstandort des Kompressorenbauers Sulzer Burckhardt umgenutzt wurde. Das Gundeldingerfeld, wie das Areal neu genannt wurde, ist eine Erfolgsgeschichte. Seither wurde «unterdessen» mit unzähligen Zwischen- und Umnutzungsprojekten betraut. Geschäftsführer Pascal Biedermann beschreibt die Aufgabe folgendermassen:

«Wir mieten vom Eigentümer das oder die Objekte mit einem befristeten Vertrag, in dem das Ende der Zwischennutzung explizit festgehalten ist. Während der Vertragsdauer kuratieren oder kanalisieren wir die Zwischennutzung und übernehmen die anfallenden Verwaltungsaufgaben. Wir suchen die Mieter aus, und diese treten dann aktiv in Erscheinung. Man kann sagen, wir sind eigentlich eine Immobilienverwaltung, einfach eine etwas anders geartete. Wir haben es wie herkömmliche Verwaltungen zu tun mit den Interessen der Eigentümer und den Interessen der Mieter. Wir arbeiten Verträge aus, wir machen Buchhaltung, wir müssen Geld einnehmen, wir müssen Geld ausgeben und wir müssen für den Unterhalt sorgen. Man sieht oft nicht, dass wir Verwaltungsarbeit machen, wie das andere Immobilienverwaltungen auch tun. Wir machen dies einfach unter speziellen Vorzeichen, mit speziellen Interessen von speziellen Leuten.»

content-image
Enter fullscreen

 ...stiess auf reges Interesse.

«Hum­bug»

Zu diesen speziellen Leuten gehört sicherlich Markus Wolff, Mitinitiant des «Humbug». Es ist wohl die zurzeit lauteste und bekannteste Zwischennutzung auf dem bis dato freigegebenen Werkareal. Viele Beteiligte wie auch Interessierte sehen im «Humbug» so etwas wie einen Türöffner für unterschiedlichste Nutzungen auf dem Areal. Wie in anderen europäischen Städten werden solche kulturellen Initiativen gerne als Kernzellen benutzt, um die herum erste neue Quartierteile andocken, machen doch Lokale wie das «Humbug» mit ihrem generationenübergreifenden Angebot das bisher geschlossene Areal erst einem breiteren Publikum bekannt: «Es ist ein naheliegender Gedanke, dass sich da als Erstes ein kultureller Betrieb etabliert. Denn wenn ein kultureller Betrieb funktioniert, zieht dies sehr viele Leute an, und die kommen auf das Areal und lernen es kennen als ein Areal, von dem sie vorher gar nichts gewusst haben.»  

Diese Vorgehensweise hat sich aus unzähligen positiven Erfahrungen mit kulturellen Zwischennutzungen ergeben. So ist aus manch einer Zwischennutzung eine dauerhafte Institution geworden. Um aber ein Unterfangen wie das «Humbug» überhaupt zu lancieren, braucht es neben viel Mut und Enthusiasmus auch eine gehörige Portion unternehmerische Leidenschaft. Markus Wolff: «Das unternehmerische Risiko bei einem Kulturbetrieb ist absurd. Wenn man es von einem kommerziellen Standpunkt her anschaut, würde man sich gar nicht auf so ein Unternehmen einlassen.»

content-image
Enter fullscreen

Christoph Mörikofer, Gründer des Vereins «Zukunft.Klybeck», Mediator und Coach.

Bis 2023 und wei­ter?

Ganz andere Töne sind aus der Halle neben dem «Humbug» zu hören: Hier wird Pádel gespielt, eine Mischung aus Tennis und Squash. Der Pádelclub Basel hat hier seine Gitter und Plexiglasscheiben aufgestellt, die das verkürzte Tennisfeld umgeben.   

In den ehemaligen Büroräumlichkeiten über dem «Humbug» und der Pádelhalle hört man die Nähmaschine von Diana Ammann rattern, die als freischaffende Kostümdesignerin in ganz Europa engagiert ist. Diana Ammann ist es gewohnt, tempo-räre Ateliers zu nutzen. Was sie an diesem Ort schätzt, beschreibt sie so: «Ich habe lange Zeit zu Hause gearbeitet, mich dann aber entschieden, ein Atelier zu mieten. So habe ich Austausch mit anderen Leuten und eine klare Trennung von Arbeit und Zuhause. Darum ist es für mich super hier. Ich finde es extrem schön, einen Ort zu haben, an den ich zum Arbeiten hingehen kann. Ich komme aus diesem Quartier, ich wohne schon sehr lange hier, und darum habe ich irgendwie einen Bezug zu diesem Werkareal. Und es ist schön, wenn man ab und zu jemanden im Gang trifft, der vorbeigeht, hereinschaut und hallo sagt.»   

Alle Zwischennutzungen haben eine klare zeitliche Begrenzung. Bis Ende 2023 muss das «Humbug» die Tore schliessen, der Pádelclub seinen Centre-Court abbauen und Diana Ammann ihre Kostüme woanders nähen. Zu diesen transparenten Spielregeln der Zwischennutzung erklärt Pascal Biedermann: «Es ist eine klare Aussage, fünf Jahre, und alle haben sich darauf einzustellen. Dass dies klar kommuniziert wird und es auch alle verstanden haben, darauf legen wir bei allen Zwischennutzungen immer grossen Wert. Wir sagen stets: Macht euch keine Illusionen, wir halten uns grundsätzlich an den Vertrag, wenn es dann länger geht, freuen wir uns alle. Dann, aber nicht jetzt. So ist dieses Geschäft.»  

Markus Wolff vom «Humbug» sieht dies allerdings ein wenig differenzierter: «Wir peilen schon weiter, wir lassen uns auch nicht stoppen von so einem Vertrag. Unsere Zukunftsgedanken gehen über die dreieinhalb Jahre hinaus. Wenn das «Humbug» ein Erfolg ist, dann ist es auch klar, dass es weitergeht. Und wenn es nach dreieinhalb Jahren nicht hier weitergeht, geht es woanders weiter. Aber es ergibt aus unserer Sicht keinen Sinn, wegzuziehen.»   

Diana Ammann geht mit den Umständen hingegen ganz entspannt um: «Dass dies eine Zwischennutzung ist, ist mir bewusst. Ich bin vorher bei der Dreirosenbrücke in einer viel kürzeren Zwischennutzung gewesen, eineinhalb Jahre. Für mich war es schon gut, zu wissen, ich habe hier jetzt dreieinhalb Jahre Mietdauer und muss nicht nach einem Jahr wieder gehen. Die zeitliche Begrenzung ist für mich aber nicht so schlimm. Ich habe das Gefühl, man findet immer wieder ein Atelier. Ich glaube, ich bin mir den ständigen Wechsel von meiner Arbeit her gewohnt. Es kommen immer wieder neue Leute, ich bin da relativ entspannt und unbesorgt.»   

Wie es ab 2023 genau weitergehen soll, weiss heute noch niemand. Zu viele Fragen warten darauf, beantwortet zu werden. Ob die fünf Jahre dafür reichen, ob Ende 2023 bereits die Bagger auffahren oder ob mit den Zwischennutzern neue Verträge mit neuen Laufzeiten ausgehandelt werden, wird zurzeit von den jetzigen Eigentümern im Rahmen der von Novartis, BASF und dem Kanton Basel-Stadt festgelegten Planungsvereinbarung projektiert. «Bis denn», wie man in Basel sagt, «goht no viel Wasser dr Rhy ab.» Bis es tatsächlich so weit ist, wird es auf dem zwischengenutzten Werkgelände im Klybeck Wochenende für Wochenende nach fetten Beats und spitten Raps tönen.

icon

Home
en
de
zh
jp
Share
Share icon