Der Erste Weltkrieg: Take-off auf dem St.-Johann-Areal
Die 1950er- und 1960er-Jahre: Boomjahre der Baukultur
Von baulicher Stagnation zum Campus-Auftakt
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Das Werk St. Johann: Eine kurze Geschichte

Mehr als 2000 Jahre sind vergangen, seit die Kelten in der Gegend des Basler St.-Johann-Werkareals gelebt haben. Mit der Gründung der Chemischen Fabrik Kern & Sandoz 1886 setzte an gleicher Stelle eine dynamische industrielle Entwicklung ein, die über die Farbenproduktion und die spätere Herstellung von Medikamenten bis zum heutigen Campus des Wissens von Novartis führt. In seiner Darstellung greift Walter Dettwiler, Leiter des Novartis Firmenarchivs, die verschiedenen Epochen dieser Entwicklung auf.

Text von Michael Mildner, Fotos: Novartis

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Im Frühjahr 1886 wurde die erste Fabrikanlage der Chemischen Fabrik Kern & Sandoz auf dem Areal St. Johann in Basel fertiggestellt. Das Bild entstand um das Jahr 1890.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich im August 2013 publiziert.

Industrielle Chemie war – sieht man von der Schwefelsäurefabrikation ab – in den Anfängen Farbstoffchemie. Die Synthese des ersten künstlichen Farbstoffs im Jahr 1856 löste in Europa eine Goldgräberstimmung aus: Jeder Farbenspezialist in der Färberei und im Stoffdruck versuchte, ähnliche Substanzen zu entdecken oder wenigstens das Rezept zu erwerben. Bereits 1859 fing der Seidenfärber Alexander Clavel-Oswald in Basel damit an, synthetische Farbstoffe herzustellen. In den 1860er-Jahren begannen weitere Basler Firmen, künstliche Farbstoffe zu produzieren. 1886 nahm die Chemische Fabrik Kern & Sandoz ihren Betrieb im Nordwesten der Stadt auf. Wie die anderen Farbenfabriken war sie noch ausserhalb des damaligen Basler Wohngebiets auf einem rund 11 000 Quadratmeter grossen Grundstück gebaut worden. Nebenan hatten sich bereits die Häutehandlung Gebrüder Bloch & Cie., die chemische Fabrik Durand & Huguenin sowie das städtische Gaswerk angesiedelt. Damals war noch nicht bekannt, dass sich die neue Farbenfabrik und ihre Nachbarn auf einem Terrain befanden, das die Kelten in der Zeit von 150 bis 80 v. Chr. besiedelt hatten. Diese Siedlung wies eine maximale Ausdehnung von 15 Hektar zwischen dem heutigen Voltaplatz und dem Rhein auf. Die Archäologen bargen mehrere hunderttausend Einzelfundstücke, darunter auch Münzen aus Gold und Silber.

Ein sagenhafter Start

Die Fabrik des Chemikers Alfred Kern und des Kaufmanns Edouard Sandoz bestand aus einem Bürogebäude mit einem angebauten Laboratorium, drei zusammenhängenden Shedbau-Produktionslokalen und einem Kesselhaus mit einer Dampfmaschine, die eine Leistung von zwölf Pferdestärken erbrachte. Anders als die Basler Chemiebetriebe der ersten Stunde verzeichnete das neue Unternehmen von Anfang an ein dynamisches Wachstum. Das Fabrikgelände war zehn Jahre nach der Firmengründung auf eine Fläche von über 63 000 Quadratmeter angewachsen. Die noch ungeteerten Arealstrassen waren – laut einem Augenzeugenbericht – bei schönem Wetter staubig und bei Regenwetter fast nicht zu begehen: «Die vielen Fuhrwerke, die täglich Eis, Kohlen und sonstige Lasten brachten, verwandelten die Strassen in Morast. Ohne Holzschuhe wäre man kaum durchgekommen und so lief ungefähr jedermann, der mit dem Betrieb zu tun hatte, das ganze Jahr in Holzschuhen umher.»

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Die erste Luftaufnahme der Gebäude, im Jahr 1895 aus 450 Metern Höhe vom Ballon «Urania» aus fotografiert. Sie zeigt das Gaswerk und die Anlagen von Sandoz & Cie. sowie Durand & Huguenin.

Der Ers­te Welt­krieg: Take-off auf dem St.-Jo­hann-Are­al

Der Erste Weltkrieg bescherte der chemischen Industrie in Basel einen enormen Reichtum. Da die übermächtige deutsche Konkurrenz wegfiel, wurden die Basler Chemieunternehmen gleichsam über Nacht zum wichtigsten Farbstofflieferanten der englischen Textilindustrie, dem Branchenführer jener Zeit. Betrug der Umsatz der «Chemischen Fabrik vormals Sandoz» 1914 noch 6 Millionen Schweizer Franken, schnellte er 1916 bereits auf 29,5 Millionen hoch, um 1918 dann auf 37 Millionen Franken anzusteigen! Dank des sensationellen Geschäftsgangs setzte während des Ersten Weltkriegs im St.-Johann-Areal eine tiefgreifende Modernisierung und Erweiterung des Produktionsapparates ein, die über die 1920er- bis in die 1930er-Jahre hinein dauerte: Die alten Shedbauten wichen mehrstöckigen Fabrikationslokalen, in denen erstmals die vertikale Arbeitsweise zur Anwendung kam. Diese neuen Industriebauten trugen gemäss einer zeitgenössischen Schweizer Architekturzeitschrift «den Forderungen unserer Zeit Rechnung», denn sie erfüllten «in bezug auf ihr Aeusseres das Verlangen nach Schönheit, in bezug auf ihr Inneres das Verlangen nach Zweckmässigkeit». Es handelte sich um Industriebauwerke von Ernst Eckenstein, der von 1915 bis zum Zweiten Weltkrieg Hausarchitekt der Firma war. Als letzte Arbeit im St.-Johann-Areal errichtete er das von den Architekten Wilhelm Brodtbeck und Fritz Bohny entworfene neue Verwaltungsgebäude. Dieser 1939 vollendete, winkelförmige Baukörper, später «Gebäude 200» genannt, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch zwei angefügte Flügelbauten zu einem Rechteck erweitert.

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Während vieler Jahrzehnte waren die Produktionsanlagen prägend für das Werk St.Johann, wie dieses Luftbild von 1946 beweist. Am linken Bildrand erkennt man das heutige Forum 1, das später zu einem Rechteck mit Innenhof ergänzt wurde.

Die 1950er- und 1960er-Jah­re: Boom­jah­re der Bau­kul­tur

Diese Jahre waren eine Zeit der Hochkonjunktur, in der die Basler Chemiekonzerne gewaltig wuchsen. Die jeweiligen Pharmasparten entwickelten sich zum grössten Unternehmensbereich. Zwischen 1950 und 1969 stieg der Konzernumsatz der Sandoz AG von 278 Millionen auf 2,5 Milliarden Schweizer Franken. Das Erscheinungsbild des Werks St. Johann veränderte sich grundlegend und in rasantem Tempo: Das Areal wurde arrondiert, noch unbenutzte Parzellen wurden bebaut, alte Gebäude abgebrochen und durch moderne Hochbauten ersetzt. War bis 1956 mit einem Aufwand in der Grössenordnung von je 20 Millionen Schweizer Franken pro Jahr nur das Nötigste gebaut worden, so verdoppelten sich 1960 die Bauinvestitionen und stiegen 1965 sogar auf 80 Millionen Franken an. 1960 wurde mit der Bebauung von Areal 5 begonnen. Das hier in zwei Etappen zwischen 1961 und 1968 gebaute Büro- und Laborgebäude 503 von Burckhardt Architekten wies mit einer Höhe von 77 Metern für damalige schweizerische Verhältnisse ausserordentliche Ausmasse auf. 1965 wurde das ebenfalls von Burckhardt Architekten geplante Bürogebäude 202 vollendet: Der heute «Forum 2» genannte Bau war vermutlich das erste Basler Industriegebäude, das aus vorfabrizierten Fertigbauteilen errichtet wurde. Im gleichen Jahr nahm das neue Personalrestaurant von Conrad Müller und seinem Mitarbeiter Guido Doppler seinen Betrieb auf. 1969 übernahm Sandoz schliesslich den benachbarten Farbenhersteller Durand & Huguenin, und der damit einhergehende Flächenzuwachs von etwa 29 000 Quadratmetern rundete das St.-Johann-Areal auf nützliche Weise ab. In den 1970er-Jahren entstanden die letzten bedeutenden Hochbauten im Basler Sandoz-Werk unter der Leitung von Burckhardt Architekten beziehungsweise Burckhardt + Partner: 1973 das Laborgebäude 360 und das Bürohochhaus 210 sowie 1976 der Forschungsbau 386.

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Luftaufnahme von 1995, neun Jahre vor der Fertigstellung des ersten Campus-Gebäudes. Die zunehmende Bedeutung von Verwaltungs- und Forschungseinrichtungen ist aus der Luft gut zu sehen.

Von bau­li­cher Sta­gna­ti­on zum Cam­pus-Auf­takt

Mit den seit 1973 auftretenden Ölkrisen endete die lange Periode des Wirtschaftsbooms; sie wich einer Ökonomie, die viel kürzeren Auf- und Abschwüngen unterworfen war. Infolge der Rezession kürzte Sandoz seit 1975 die konzernweiten Investitionen in Bauten, Einrichtungen und Grundstücke massiv. Dies bremste die stürmische bauliche Entwicklung im Basler Werk erheblich. In den 1980er-Jahren nahmen die Investitionstätigkeiten wieder zu, wobei die Modernisierung von Produktionsanlagen sowie Projekte für Umweltschutz und Sicherheit ins Zentrum rückten. Der einzige «sichtbare» Neubau im St.-Johann-Areal war bis zur Fusion im Jahr 1996, aus der Novartis hervorging, der Bau 25. Dieses 1993 in Betrieb genommene Gebäude diente der Produktion von prioritären Arzneimittelwirkstoffen. Die 1999 aufgenommene Renovation und Sanierung von Bau 200 – heute «Forum 1» genannt – konnte 2002 abschlossen werden, wobei am Ende dieser Umbauphase der Innenhof des Gebäudes ebenfalls neu gestaltet wurde. Diese letzten Arbeiten bildeten zugleich den Anfangspunkt der Umgestaltung des gesamten St.-Johann-Areals zum «Campus des Wissens».

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