Den einen Weg zu wissenschaftlichem und medizinischem Erfolg gibt es nicht. Doch womit lässt sich durchbruchorientiertes Denken fördern? Oft geht es nicht nur um akribische wissenschaftliche Forschung, sondern auch um persönliches Engagement, Ausdauer und den Willen zur Zusammenarbeit. Bahnbrechende Arbeiten hängen also vom Faktor Mensch ab – sei es im Labor, während des Entwicklungsprozesses oder in der Fertigung.
Text von Goran Mijuk, lllustrationen von Lehel Kovács
Nur aus einem von rund 10000 experimentellen Molekülen wird ein Medikament. Die Entwicklung jeder Therapie ist ein langwieriger Prozess, der sich über Jahre hinzieht.
Publiziert am 07/09/2023
Vor noch nicht einmal einer Generation war die Situation äusserst düster. Das Bedürfnis nach Optimismus war augenfällig. Doch das zu äussern, wäre einer Anmassung gleichgekommen, oder noch Schlimmerem.
Das Wort Krebs löste einen solchen Schrecken aus, dass es die Menschen blass werden liess, wenn sie es nur hörten. Es wurde als Todesurteil aufgefasst. Auch wenn die moderne Medizin bereits Behandlungen für einige Formen der Krankheit entwickelt hatte, nahm man ihr stärkstes Mittel – die Chemotherapie – wegen ihrer Nebenwirkungen mit ähnlichem Schrecken auf.
In den 1980er-Jahren galt die Situation als derart aussichtslos, dass einige Pharmaunternehmen ihre Onkologieforschung einstellten. Darunter auch die Novartis-Vorgängergesellschaft Ciba-Geigy, die ihre Forschung im Bereich der Onkologie wegen fehlender Ergebnisse komplett einstellte.
Die Aussichten waren erdenklich schlecht, trotz bedeutender Fortschritte in der Branche: Neben der Entwicklung der ersten Chemotherapien im Zweiten Weltkrieg, als man herausfand, dass Senfgas bei einigen Krebsarten Wirkung zeigte, stiessen die Wissenschaftler auch auf das erste Gen, das mit einer bestimmten Art von Blutkrebs in einer direkten Kausalkette stand.
Glücklicherweise liess man die medizinische Fachwelt mit dem Problem nicht ganz allein. Angesichts der weit verbreiteten Bemühungen zur Bekämpfung der Krankheit schlossen sich auch führende Politiker dem Kampf gegen den Krebs an, indem sie Mittel in Milliardenhöhe für Forschung und bessere Behandlungsmöglichkeiten bereitstellten. Einer der ersten war US-Präsident Richard Nixon, der ein landesweites Programm gegen Krebserkrankungen ins Leben rief, das auch in anderen Ländern aufgegriffen wurde. Später unternahmen dann die US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama ähnliche Anstrengungen.
Ein neuer Anfang
Mitte der 1980er-Jahre startete Ciba-Geigy wie viele andere Unternehmen einen neuen Versuch, Krebserkrankungen zu bekämpfen. Mehrere junge, hochmotivierte Wissenschaftler wurden eingestellt, darunter Peter Dukor und Alex Matter, die den Kurs der Krebsforschung ändern und die Not von Millionen von Patienten beenden wollten.
Obwohl viele bezweifelten, dass dies zu greifbaren Ergebnissen führen würde, verfolgte das Team seinen Ansatz und konzentrierte sich auf die sogenannten Kinasen. Von dieser Art von Enzymen, über die zu jener Zeit noch wenig bekannt war, erhoffte man sich einen Beitrag zu neuen Behandlungsmöglichkeiten für Krebspatienten.
Trotz der Herausforderungen blieben Matter und sein Team voll und ganz engagiert. Sie waren der Ansicht, die gezielte Manipulation von Kinasen werde zu Fortschritten führen, insbesondere bei der Bekämpfung der Leukämie. Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass die chronische myeloische Leukämie von einem Gendefekt ausgelöst wird, der die durch eine bestimmte Kinase gesteuerte Schaltfunktion verhindert.
Das Problem bestand jedoch darin, einen chemischen Schlüssel zum Ausschalten des krankheitsauslösenden Proteins zu finden, ohne die anderen Schalterfunktionen zu beeinträchtigen. Dies war eine Aufgabe, mit der Matter einen ehrgeizigen Nachwuchswissenschaftler beauftragte: Jürg Zimmermann.
«Als Alex Matter auf mich zukam und mich fragte, ob ich an diesem Problem arbeiten möchte, war ich sofort interessiert», sagte Zimmermann, der inzwischen im Ruhestand ist, bereits 2016 in einem Interview mit live. «Das Problem ähnelte jenem meiner Diplomarbeit an der ETH, in der ich die Frage klären wollte, wie das Leben aus einem einzigen Molekül entstanden ist. Es war ein Problem, in das ich mich vollkommen vertiefen konnte.»
Die Suche nach einem Wirkstoff erwies sich jedoch als äusserst schwierig und zeitaufwendig. Zimmermann machte kaum Pausen und arbeitete fast ununterbrochen, auch an vielen Wochenenden. Schliesslich fand er den Schlüssel und synthetisierte einen Wirkstoff, der genau den Mechanismus beeinflusste, der Leukämie auslöste.
«Es war eine extrem intensive Zeit, in der ich zu wenig auf die Trennung von Privatleben und Beruf achtete», erinnert sich Zimmermann an die frühen 1990er-Jahre, als er mit 33 seine Karriere bei Ciba-Geigy begann. «Natürlich würde ich die Dinge heute, mit der Erfahrung, die ich jetzt habe, anders machen.»
Novartis konzentriert sich auf fünf therapeutische Plattformen. Nuklearmedizin, Gentherapie und RNA-basierte Ansätze sind erst kürzlich hinzugekommen. Der Grossteil der neuen Medikamente wird jedoch nach wie vor von niedermolekularen und biologischen Wirkstoffen stammen.
Zur Überraschung fast aller Beteiligten führten die hektischen Forschungsbemühungen nicht nur zu einem hochwirksamen Krebsmedikament. Der Wirkstoff, der es zum ersten Mal schaffte, einen molekularen Defekt zu beheben, sollte den Verlauf der Krebsforschung verändern. Die neue Therapie bewies, dass sich die Krankheit nun effektiv behandeln liess, ohne die Patienten den schädlichen Nebenwirkungen auszusetzen, die eine Chemotherapie üblicherweise mit sich bringt.
Das Bemühen, die zugrunde liegende Ursache der Erkrankung zu erforschen und ihren genetischen und molekularen Verlauf zu verfolgen, während man gleichzeitig eine Lösung suchte, um den krankheitsverursachenden Mechanismus zu hemmen, war auch ein klarer Beweis dafür, dass das sogenannte rationale Wirkstoffdesign ein praktikabler Weg in der immer wieder mit grossen Herausforderungen verbundenen Onkologie ist. Dies weckte neue Hoffnungen, Krebserkrankungen unter Kontrolle bringen zu können.
Zimmermanns intensive Arbeit spielte bei der Entwicklung des Medikaments eine entscheidende Rolle. Doch die Erfolge, die den Labors von Novartis entsprangen, waren keineswegs dem Zufall geschuldet, sondern vielmehr das Ergebnis mutiger Schritte und einer langfristigen Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die das Unternehmen um die Jahrtausendwende intensivierte.
Um das Jahr 2000 gründete das Unternehmen die Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR), das Novartis Institute for Tropical Diseases und das Genomics Institute der Novartis Research Foundation, das heute Teil von NIBR ist. Das Unternehmen stellte mehrere hundert Wissenschaftler ein. Es errichtete zudem Forschungsstandorte in Basel, Cambridge, San Diego und später auch in Emeryville.
Zudem steigerte das Unternehmen kontinuierlich seine Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen von rund 2 Milliarden US-Dollar im Jahr 1996 auf über 9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022. Dies half Novartis, bahnbrechende Medikamente in so unterschiedlichen Bereichen wie Onkologie, entzündliche Erkrankungen oder Neurologie zu entwickeln.
Nie aufgeben
Seit der Gründung von Novartis 1996 haben sich Verwaltungsrat und Konzernleitung voll und ganz der Entwicklung von Innovationen verschrieben. Das Unternehmen hat in dieser Zeit wichtige Transformationsphasen durchlaufen.
In den ersten Jahren nach dem Zusammenschluss von Ciba-Geigy und Sandoz konzentrierte sich Novartis auf den breiten Life-Science-Bereich. Im Lauf der Zeit wendete sich das Unternehmen dann zunehmend dem Pharmasektor zu; man trennte sich von Aktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gehörten. Gleichzeitig wurde die Präsenz in neuen Bereichen wie der Gentherapie und der Nuklearmedizin ausgedehnt.
Trotz dieser grossen Veränderungen haben die Wissenschaftler offensichtlich nie die Orientierung verloren. Seit der Entstehung einer professionellen pharmazeutischen Industrie vor rund einhundert Jahren zieht sich ein roter Faden durch die Geschichte bahnbrechender Erfolge: nie aufgeben, auch wenn die Aussichten gering erscheinen.
Dies war nicht nur bei Zimmermanns historischem Erfolg der Fall, sondern gilt auch für die Forschungsarbeiten der bei NIBR tätigen Wissenschaftler Jörg Eder, Stefanie Flohr und Anna Schubart sowie für Andreas Marzinzik und Wolfgang Jahnke, die seit mehr als zehn Jahren an der Entwicklung neuer Medikamente in der Hämatologie und anderen Bereichen arbeiten.
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