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Die Arzneimittelforschung beschleunigen
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Wissenschaft
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Ein Modell für die Zukunft

Durch das Zusammenführen zweier mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Technologien versuchen Rosemarie Ungricht, Philipp Hoppe und ihr Team von den Novartis Institutes for BioMedical Research die Biologie voranzutreiben und neue Möglichkeiten zur Behandlung von Nierenerkrankungen zu finden. Ihr Konzept war noch bis vor wenigen Jahren undenkbar und verleiht der Wirkstoffforschung und der chemischen Biologie weitere Dynamik.

Text von Goran Mijuk, Fotos von Laurids Jensen

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Vorbereitung von Nierenorganoiden.

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Publiziert am 13/12/2022

Das «Lab of the Future» an der Fabrikstrasse 22 auf dem Novartis Campus in Basel ist bereits zehn Jahre alt, was nach den heutigen, schnelllebigen Standards der Wissenschaft schon nach ferner Vergangenheit klingt.

Doch das Labor im eleganten Gebäude von Stararchitekt David Chipperfield hat nichts von seiner zukunftsweisenden Strahlkraft eingebüsst. Die auserlesene Steinfassade und die abgedunkelten Fenster vermitteln eine klassische Souveränität, zu der die entspannte Coolness im Inneren des Gebäudes passt.

Die Labore selbst sind mit ihrem komfortablen, offenen Raumkonzept nach zehn Jahren immer noch zeitgemäss und modern. Wichtiger ist aber, dass die Wissenschaft, die in diesem Forschungsgebäude betrieben wird, weiterhin darauf ausgerichtet ist, die Zukunft der Medizin mitzugestalten.

Eines der Projekte, das hier mit Blick auf dieses ambitionierte Ziel durchgeführt wurde, startete vor rund fünf Jahren, als Rosemarie Ungricht und ihr Kollege Philippe Hoppe die Idee hatten, die Erkenntnisse der Organoidforschung mit der Technologie der «Genschere» zu kombinieren.

Ihr Ziel war es, Nierenorganoide herzustellen – Mini-Organe, die ähnlich wie echte Organe funktionieren – und ein Gen nach dem anderen auszuschalten, um besser zu verstehen, welche Gene der Biologie der Niere zugrunde liegen und für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind.

Die Idee dahinter war, mit realitätsnäheren biologischen Modellen zu arbeiten, die die Wissenschaftler dabei unterstützen, die Entstehung von Krankheiten zu erkennen und gezielt Wege für deren Bekämpfung zu finden.

«Wir wollten das genetische Screening mit einem besseren biologischen Modell durchführen», so Stammzellbiologe Philipp Hoppe, der 2015 zu den Novartis Institutes for BioMedical Research gestossen war. «Zu diesem Zweck haben wir damit begonnen, mit Organoiden der Nieren zu arbeiten. Sie weisen eine dreidimensionale Struktur auf, die der wirklichen Biologie der Organe besser entspricht.»

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Rosemarie Ungricht prüft die Qualität der Nierenorganoide.

IPS-Zel­len und CRIS­PR

Ungricht und Hoppe nutzten die induzierte pluripotente Stammzelltechnologie (iPSC) sowie CRISPR/Cas9, zwei Methoden, die im vergangenen Jahrzehnt mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden und die medizinische Forschung auf ein Niveau führten, das bisher als unerreichbar galt.

Die Stammzellenforschung, die über viele Jahrzehnte im Mittelpunkt ethischer Diskussionen stand, erfuhr 2006 einen wichtigen Entwicklungsschub, als der japanische Wissenschaftler Shinya Yamanaka eine Methode fand, mit der sich einfache Zellen in Stammzellen verwandeln lassen. Die so entwickelten Stammzellen sind dann in der Lage, sich wiederum in alle möglichen anderen Zelltypen zu entwickeln, ohne dass dazu embryonales Gewebe benötigt wird.

Dank dieser Technologie, für die Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Medizin erhielt, können Wissenschaftler beispielsweise eine Hautzelle in eine Stammzelle umwandeln, die sich dann in eine Gehirn-, Herz- oder Nierenzelle umprogrammieren lässt.

Indem sie diese Zellen züchten, können Forscher auch Organoide wie Minigehirne oder Mininieren erzeugen, die ähnlich wie echte Organe funktionieren. Das hat den grossen Vorteil, dass die Forscher organspezifische Zellen in ihrem 3D-Kontext untersuchen können, was sonst schwierig oder ganz unmöglich wäre.

Mit dem Aufkommen der CRISPR/Cas9-Methode erlebte das Feld einen weiteren Durchbruch. Diese genverändernde Methode übertraf bestehende Technologien wie Zinkfinger-Nukleasen und TALENs sowohl hinsichtlich Effizienz als auch Präzision.

Die Technologie, für die die beiden Entdeckerinnen kürzlich den Nobelpreis erhielten, wurde 2011 von Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier entwickelt. Sie setzt auf Bakterien, mit denen Gene sehr präzise durchtrennt und ersetzt werden können.

Die Technologie hat aufgrund ihrer Anwendungsmöglichkeiten nicht nur zu einem weltweiten Aufstieg der Genforschung geführt. Sie hat auch der Branche frischen Aufwind gegeben, nachdem die Gentherapie um die Jahrtausendwende in einer Art Sackgasse steckte.

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Vor dem Versand an das Arzneimittelforschungsteam werden die Organoide...

Neue Fra­gen stel­len

Für Ungricht und Hoppe ging es bei der Verschmelzung der beiden Methoden nicht nur darum, modernste Technologien einzusetzen, sondern auch darum, die Türen der Wissenschaft zu öffnen und neue Ansätze zu testen, die mit konventionellen Methoden schwierig wären.

«Unsere Art des Vorangehens eröffnet neue Horizonte, weil man andere Fragen stellen kann», so Rosemarie Ungricht, die im Rahmen ihres Postdoc-Studiums 2017 die Arbeit an diesem Projekt initiierte. «Da wir Stammzellen verwenden, können wir die fetale Entwicklung der Nieren rekapitulieren und beispielsweise die Frage stellen, welche Gene tatsächlich notwendig sind, um einen bestimmten Entwicklungspunkt zu erreichen.»

Solche Fragen sind in Standardzellmodellen, in denen Forscher isolierte Zellen verwenden, nicht darstellbar. Während zellbasierte Studien noch immer nützlich sind, etwa um grundlegende Zellmechanismen zu verstehen, liefern Organoide den Wissenschaftlern ein viel realistischeres Bild des eigentlichen Organs.

Darüber hinaus lassen sich auch krankheitsrelevante Untersuchungen durchführen. «Mit dieser Methode kann man wichtige Prozesse wie die Kommunikation zwischen zwei verschiedenen Zelltypen untersuchen, die bei einer Nierenverletzung auftreten, etwa die Frage, welche Gene diese Kommunikation beeinflussen. Und ich denke, dass wir mit diesen Modellsystemen tatsächlich einen neuen Horizont erschliessen», so Hoppe.

Laut Hoppe verlief die Einrichtung der Systeme sowohl für die Organoide als auch für die anspruchsvolle CRISPR/Cas9-Methode relativ problemlos. Doch das allein war kein Erfolgsgarant. «Als wir dieses Projekt im Rahmen von Rosemaries Postdok­torandenarbeit bei Novartis starteten, wussten wir nicht, ob es erfolgreich sein würde, da es vorher noch nie versucht wurde, vor allem nicht im Bereich der Niere», so Hoppe. «Dank eines sehr aufwendigen technischen Aufbaus konnten wir aber verschiedene Fragestellungen der Biologie beantworten.»

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...während eines bestimmten Zeitraums bebrütet.

Neue Krank­heits­mo­del­le

Wenn man die Organoide, die in einer farbigen Flüssigkeit schwimmen, zum ersten Mal sieht, kann das für Laien enttäuschend wirken, denn das Ganze sieht eher aus wie ein etwas dickflüssiger Energy Drink. Doch man muss bedenken, dass es sich bei den winzigen schwebenden Teilchen um Mini-Organe handelt, deren Entwicklung jahrzehntelanger intensivster Forschung bedurfte.

Kein Wunder, dass Ungricht und Hoppe begeistert sind von dem, was sie in den vergangenen fünf Jahren erreicht haben. Ihre Erfolge gipfelten in einer in Cell Stem Cell veröffentlichten Forschungsarbeit, die grosses Echo auslöste. In dieser beschrieben sie ihre Studien mit Nierenorganoiden und den Einsatz von CRISPR zum genaueren Verständnis der zugrunde liegenden biologischen Vorgänge.

Doch Hoppe und Ungricht gaben sich damit nicht zufrieden. Ihre Forschungsarbeit war auch ein Beitrag zur Bestimmung, welche Gene für bestimmte Nierenerkrankungen verantwortlich sind, und sie lieferte ihnen neue, realistischere Krankheitsmodelle.

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Neue Zie­le

«Mit unserer Methode können wir sehr genau untersuchen, welche Gene in einzelnen Zelltypen dieser Nierenorganoide exprimiert werden», so Hoppe.

Darüber hinaus kann das Team nun einzelne Krankheitsmodelle beleuchten. «Wenn man also weiss, dass ein bestimmtes Gen für eine bestimmte Nierenerkrankung relevant ist, kann dieses Gen ausgeschaltet und die Krankheit bis zu einem gewissen Grad im Labor simuliert werden. Das ist, was unsere Arbeit ausmacht», erläutert Hoppe.

Bisher hat das Team ein Krankheitsmodell für eine monogenetische Nierenerkrankung erstellt, das nun auf die Wirkung von chemischen Verbindungen getestet wird. Ungricht und Hoppe gehen davon aus, dass ihre Methode auch bei verschiedenen Nierenerkrankungen und anderen organoiden Systemen eingesetzt werden kann. «Wir sind davon überzeugt, dass uns dieses System wirklich dabei unterstützen wird, experimentell neue Ziele zu entwickeln», so Ungricht.

Aus medizinischer Sicht wäre die Identifizierung neuer Ziele mehr als begrüssenswert. Nach Angaben der International Society of Nephrology leiden weltweit rund 850 Millionen Menschen an Nierenerkrankungen. Und die Zahl der betroffenen Patienten steigt von Jahr zu Jahr.

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Die Nierenorganoide werden in der chemischen Substanzbibliothek getestet. Robotersysteme beschleunigen diesen Prozess.

Die Arz­nei­mit­tel­for­schung be­schleu­ni­gen

Die beiden Forschenden sind ebenfalls zuversichtlich, dass ihr Konzept eines Tages dazu beitragen könnte, die Entwicklungszeiten von Arzneimitteln zu verkürzen und so die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass auch Arzneimittel in der Frühphase der Entwicklung bereits zu den Patienten kommen.

Sie räumen zwar ein, dass die Verwendung von Organoiden für das chemische Screening eine logistische Herausforderung darstellt. Doch die Tatsache, dass die zugrunde liegenden Krankheitsmodelle realistischer sind, ermöglicht dem gesamten Wirkstoff-Screening-Team, potenziell erfolgreiche Wirkstoffe zu entdecken.

Anstatt alle chemischen Strukturen aus der Substanzbibliothek von Novartis zu verwenden – es sind mehr als eine Million –, reduzieren Hoppe und Ungricht diese Zahl, indem sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Vermutungen über diejenigen Substanzen anstellen, die mit grösserer Wahrscheinlichkeit Wirkung zeigen.

Dadurch könnte die Arzneimittelentwicklung langfristig beschleunigt werden. «Wir hoffen, mit dem richtigen Zielmolekül und dem richtigen Wirkstoffkandidaten zu beginnen, was die Wahrscheinlichkeit von erfolgreicheren Arzneimittelentwicklungsprogrammen erhöhen sollte», so Hoppe.

Bislang wird von etwa 100 Präparaten im Frühstadium im Durchschnitt nur eines zu einem vollentwickelten Medikament. «Natürlich möchten wir ein besseres Verhältnis als bisher erreichen», so Hoppe.

Um dies zu realisieren, brauche das Team laut Hoppe und Ungricht nicht nur Zeit, sondern müsse auch weiter an noch robusteren Krankheitsmodellen arbeiten. Nach den ersten organoiden Krankheitsmodellen, die bereits mehr als ein Dutzend verschiedener Zelltypen umfassen, arbeitet das Team nun an der Weiterentwicklung der Modelle.

«Wenn wir der Realität näherkommen und die zugrunde liegende Ursache der Krankheiten besser verstehen, ist dies ein weiterer wichtiger Schritt in unserem Bemühen, die Wirkstoffforschung effizienter zu gestalten», so Hoppe. «Es ist ein Traum, und es wird lange dauern, bis er wahr wird. Doch die Chancen, dass wir damit Erfolg haben, stehen gut.»

Wenn Organoide Erfolg haben, sind sie ein Modell für die Zukunft.

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