Die Synthese einer Verbindung ist nur ein erster Schritt. Neu entstandene Verbindungen müssen mit einer breiten Palette leistungsfähiger Instrumente wie der NMR-Bildgebung untersucht werden.
Publiziert am 05/12/2022
In der Geschichte der Medizin gibt es nur selten Medikamente, die auf einem völlig neuen Wirkmechanismus aufbauen. Aber genau diese Möglichkeit eröffnete sich vor einigen Jahren, als bei einem alten Arzneimittel eine zufällige Entdeckung gemacht wurde.
Seitdem liefern sich Forscher auf der ganzen Welt einen Wettlauf um die Entwicklung neuer Medikamente, die diesen neuen Mechanismus für sich nutzen – ein Rennen, das ein Wissenschaftlerteam von Novartis möglicherweise für sich entscheiden wird.
Die Wirkungsweise dieses kleinmolekularen Wirkstoffs besteht darin, dass es ein Krebs auslösendes Protein in das Entsorgungssystem der Zelle schickt, wo es dann zerstört wird. Diese Strategie, der sogenannte gezielte Proteinabbau, wurde bereits Ende der 1990er-Jahre vorgeschlagen und bei Novartis beschleunigt, als Jay Bradner 2016 zum Unternehmen stiess.
Das Verfahren könnte eine Forschungsrevolution auslösen, weil es die Möglichkeit bietet, jedes krankheitsauslösende Protein gezielt zu eliminieren. Eine Vielzahl solcher Proteine liess sich bislang nicht bekämpfen. Darüber hinaus bietet das Verfahren einen Weg, die Arzneimittelforschung von Grund auf neu zu konzipieren.
Die Chemie nutzen, um die Biologie zu verstehen
«Das Versprechen der chemischen Biologie besteht darin, dass wir uns nicht scheuen, das vermeintlich Unmögliche anzugehen», sagt Ulrich Schopfer, Leiter von Chemical Biology and Therapeutics bei NIBR in Basel. «Wir erforschen die molekularen Details der Biologie und der menschlichen Erkrankungen, um neue Ziele und Arzneimittelkandidaten zu entdecken.»
Im Rahmen der chemischen Biologie arbeitet eine ganze Reihe spezialisierter Wissenschaftler zusammen, um Testmoleküle zu entwickeln, die ihnen neue Erkenntnisse und eine bessere Kontrolle über Proteinaktivitäten liefern.
Strukturbiologen nutzen Methoden wie Röntgenkristallographie und Kryo-Elektronenmikroskopie, um die Form dieser Proteine zu enthüllen. Medizinchemiker entwerfen ihrerseits eine Vielzahl von Molekülen mit unterschiedlichem Bindungsverhalten, bis sie die beste Passform finden – und möglicherweise den Ausgangspunkt für die Arzneimitteloptimierung.
Während sich viele Bemühungen in der Arzneimittelentwicklung auf Moleküle konzentrieren, die Proteine abschalten, indem sie wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch passen und so die Bindungstaschen der Proteine blockieren, erfordert die relativ neue Strategie des gezielten Proteinabbaus einen noch anspruchsvolleren Ansatz.
Statt an ein Protein müssen die kleinen chemischen Moleküle an zwei Proteine binden: an das krankheitsauslösende Protein, das die Forscher abbauen wollen, und an das Protein, das den Abbauprozess in Gang setzt.