Permanente Innovationstätigkeit
Wissenschaftler bedient Kapselfüllmaschine
Wissenschaft
00

Permanente Innovationstätigkeit

Die zwischen Rheintal und Schwarzwald eingebettete Produktionsstätte im deutschen Wehr ist seit 1943 in Betrieb. Das Werk, an dessen Standort sich ursprünglich eine Teppichfabrik befand, konzentriert sich seit über 50 Jahren kontinuierlich auf pharmazeutische Innovationen und ist heute Teil von Novartis Operations. Bei der jüngsten Neuerung handelt es sich um eine der weltweit ersten hochpräzisen Kapselfüllmaschinen für die Arzneimittelverarbeitung.

Text von Goran Mijuk, Fotos von Bjoern Myhre, Videos von Nicolas Heitz.

scroll-down
Home
en
de
zh
jp
Share
Share icon

Die Fahrt durch die grünen Ausläufer des Schwarzwalds macht selbst an diesem regnerischen Frühlingsmontagmorgen Spass, an dem wir uns mit dem Auto durch den Asphaltdschungel des Rheintals nach Wehr aufmachen, das mitten im Grünen liegt.

Nach einer anspruchsvollen Serpentinenstrecke, auf der wir mehrmals die Wehra überqueren, verpassen wir beinahe die grossen Büro- und Produktionsgebäude des imposanten Fertigungswerks am Standort Wehr, die durch eine Allee aus stattlichen, in voller Blüte stehenden Bäumen fast vollständig verborgen sind.

Nach unserer Ankunft und dem Passieren des Sicherheitstors gehen wir durch das Werk, das aus einem grossen Bürokomplex der Vorgängerfirma Ciba und einer Reihe von Gebäuden für Produktion und Qualitätssicherung besteht, bevor wir am äussersten Ende des Geländes Rampe 18 erreichen.

Die Rampe befindet sich in einer breiten, von weiteren Rampen umgebenen Sackgasse, wo an geschäftigen Tagen lange Reihen von Lkw darauf warten, chemische Inhaltsstoffe zu entladen und fertige Produkte in alle Welt oder an andere Verpackungsstandorte von Novartis zu transportieren.

Heute Vormittag erwarten uns Manufacturing Unit Head Britta Lüchtenborg und ihr Kollege Stephan Stocker, der als Technical Transfer Lead tätig ist. Beide empfangen uns im Lager, in dem Hunderte von Paletten mit grossen weissen Fässern aufgereiht sind, in denen sich die Inhaltsstoffe für die über eine Milliarde Tabletten befinden, die hier jährlich hergestellt werden.

Innovative Kapseleinheit

Unser Besuch gilt dieses Mal jedoch keiner Massenproduktionsanlage. Wir sind angereist, um eine kleinere, spezialisierte Produktionseinheit näher anzuschauen, in der das Team aus Wehr einen neuen Wirkstoff in Kapseln verpackt. Dabei kommt eine Vielzahl von Prozessinnovationen zum Einsatz, die das Resultat von über zehn Jahren permanenter Innovationstätigkeit von Novartis Technical Research & Development (TRD) und Novartis Operations sind.

Marc Wohler und Giuseppe Ingui bereiten den Produktionsprozess vor.

Während wir durch das Lager zur Produktionseinheit gelotst werden, passieren wir die obligatorischen Personalschleusen mit entsprechendem Hygienekonzept, wo wir spezielle Unterbekleidung, einen glänzenden gelben Overall, Spezialschuhe sowie Haar- und Bartschutz anziehen und uns immer wieder die Hände waschen müssen, bevor wir den Reinraum betreten.

«Diese Sicherheitsmassnahmen sind notwendig», so Stephan Stocker, «denn im Gegensatz zu anderen Betriebseinheiten arbeiten wir hier, wo wir Arzneimittel in Kapseln verpacken, mit einem hochwirksamen Wirkstoff, der nicht auf herkömmliche pharmazeutische Weise formuliert ist.» Die geschlossene Produktionseinheit benötigt daher ein hohes Mass an Containment, ähnlich wie bei einer biotechnologischen Anlage.

Als wir den Reinraum betreten und vor der Verkapselungsmaschine stehen, sind wir jedoch – wie so oft bei modernen Produktionsanlagen – etwas ernüchtert, denn die Innovationen, die in der Maschine stecken, fallen kaum ins Auge. Der Grossteil des technischen Wunderwerks verbirgt sich hinter Glas und ist zudem vollständig durch Metallummantelungen abgeschirmt, die den Eindruck eines ganz gewöhnlichen Kastens entstehen lassen.

Doch das täuscht gewaltig: Wir stehen vor einer der ersten Verkapselungs­anlagen, die in der Lage sind, den reinen Wirkstoff direkt in Hartgelatinekapseln abzufüllen, ganz ohne Anwendung eines Formulierungsschritts, bei dem der Wirkstoff eines Arzneimittels üblicherweise in eine für den Transport zum betreffenden Körperteil besonders geeignete Form eingearbeitet wird.

Technische Details des Kapselzuführungsmechanismus.

Die Innovationen, die für diese Art der Verkapselung erforderlich sind, sind komplex und erforderten mehrere Jahre intensiver Zusammenarbeit mit Novartis TRD und einem externen Engineering-Unternehmen, so der Anlagenbediener

Giuseppe Ingui, der seit gut 20 Jahren bei Novartis in Wehr tätig ist. «Wir haben einige Jahre daran gearbeitet, die Anlage in ihrer heutigen Form betreiben zu können. Dazu waren etliche innovative Schritte erforderlich, die es uns ermöglichen, die Anlage nahezu vollautomatisch zu betreiben», so Ingui, der die Anlage gemeinsam mit seinem Kollegen Marc Wohler bedient.

Schritt für Schritt

Bei einem der wenigen manuellen Schritte, die bei diesem Prozess erforderlich sind, entnehmen die beiden die Arzneimittelsubstanz aus der Umverpackung und verbinden den Beutel fest und gut abgedichtet mit der Maschine. Von dort aus passiert die Substanz ein Sieb in der Leitung, bevor sie in Form kleiner Pucks in die Kapseln gefüllt wird.

Ein weiterer Schritt besteht darin, den Behälter mit den leeren Kapseln an der Produktionseinheit anzubringen und eine weitere Maschine anzuschliessen, in

die die gefüllten Kapseln vor dem Transport zur Verpackungseinheit abgegeben werden. Der Rest läuft vollautomatisch ab. Den beiden Experten kommt dabei die Aufgabe zu, die Produktion über eine Softwareschnittstelle zu verfolgen und die Prozessschritte zu dokumentieren.

Sobald der Wirkstoff an die Verarbeitungseinheit angeschlossen ist, läuft alles automatisch.

Zunächst passiert der Wirkstoff ein Sieb, was die pulverförmige Substanz homogenisiert. Nach diesem Schritt wird die Arzneimittelsubstanz in einer Vakuumtrommel zu Pucks komprimiert, die dann mithilfe von Druckluft in die Kapseln gepresst werden.

Die Scheiben werden beim Einpressen in die Kapseln mithilfe eines Advanced-Mass-Verification-Sensors gewogen, der eine hundertprozentige Füllgewichts­kontrolle ermöglicht. «Das ist eigentlich eine der wichtigsten Neuerungen bei diesem Verfahren», so Ingui.

Die unscheinbaren Pucks sind das Ergebnis jahrelanger Forschung.

Bei diesem hochpräzisen Wirkstoffverarbeitungsschritt, der mithilfe eines kapazitiven Feldes durchgeführt wird, kann das Team den Wirkstoff exakt auf einen Milligrammwert abwiegen. Das trägt nicht nur zur Reduzierung möglicher Fehler bei, sondern beschleunigt auch den Produktionsprozess. Dies erlaubt dem Team, mehr als 72000 Kapseln pro Stunde herzustellen, und bietet dem Werk ausreichend Kapazität, um die Produktion in kürzester Zeit hochzufahren. Im Vergleich dazu beträgt die Produktionskapazität der Pilotanlage auf dem Novartis Campus in Basel, in der Kapseln für klinische Versuche hergestellt werden, weniger als ein Viertel der Produktionsleistung des Werks in Wehr.

Um die Messgenauigkeit des Sensors zu gewährleisten, werden in regelmässigen Abständen Frequenzfunktionsprüfungen durchgeführt. Diese erfolgen in einem separaten Verfahren, bei dem das Taragewicht der leeren Kapseln – zwölf pro Durchlauf – mit einer herkömmlichen Waage ermittelt wird. Anschliessend werden die Kapseln geöffnet, damit sie mit dem Wirkstoff befüllt werden können.

Gefüllte Kapseln
Verpackungsanlage

Die gefüllten Kapseln ...

... werden später zur Verpackungsanlage transportiert.

Kontinuierliches Lernen

Lüchtenborg und Stocker, die nun ebenfalls zu uns in die Produktion gestossen sind, erläutern uns, dass der Prozess so weit automatisiert werden konnte, dass derzeit nur zwei Anlagenbediener zur Überwachung der Produktion benötigt

werden.

Bevor die Bediener die Produktionsanlage betreuen können, benötigen sie in der Regel allerdings eine vier bis sechs Monate dauernde Schulung. «Natürlich gibt es individuelle Unterschiede», so Stocker. «Doch auf jeden Fall sind hier aufgrund der Komplexität der Materie Menschen mit Fertigungshintergrund gefragt. Dieses Einkapselungsverfahren unterscheidet sich von anderen Verfahren, weil wir direkt mit dem Wirkstoff arbeiten. Dies setzt Know-how und Spezialwissen voraus.»

Für Britta Lüchtenborg, die die Produktion am Standort leitet, sind solche Schulungsprogramme fester Bestandteil der Wehrer Strategie. «Während sich der Standort Wehr in den vergangenen Jahren äusserlich kaum verändert hat, sind die wahren Unterschiede in dessen Innern zu finden, wo wir die Fertigungsprozesse kontinuierlich verbessern.»

Aufrecht halte Wehr sein Innovationstempo dank der engen Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Schweizerhalle und im slowenischen Menges, wo der Wirkstoff hergestellt wird, sowie mit den Mitarbeitenden der Abteilung Technische Forschung & Entwicklung, die mit neuen Synthese- und Produktionsschritten experimentieren, unterstreicht Lüchtenborg. «Der Standort Wehr wurde im Laufe seiner Geschichte immer wieder für seine herausragenden Fertigungsfähigkeiten ausgezeichnet», ergänzt sie. «Mit konsequenter Zusammenarbeit, Innovationsgeist und kontinuierlichem Lernen streben wir danach, innovative Produkte auf den Markt zu bringen und eine zuverlässige Versorgung auf hohem Niveau zu gewährleisten. All dies steht im Einklang mit unserer Motivation, den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden.»

Home
en
de
zh
jp
Share
Share icon