Stadt als Problem
Wunsch wird Wirklichkeit
Urbanes Wissenszentrum
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Treibhäuser des Wissens

Die Entwicklung der Städte ist ein Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Mit der Entstehung urbaner Strukturen vor rund 5000 Jahren kommt es zu einer ungeahnten Wissens- und Innovationsexplosion. Doch der Siegeszug der Städte wurde seit jeher kritisch begleitet, was im wiederkehrenden Wunsch nach Plan- und Idealstädten zum Ausdruck kommt, die sich an politischen, wirtschaftlichen oder ästhetischen Utopien orientieren. Dazu gehört auch das Konzept des Campus. Im 18. Jahrhundert spezifisch auf Universitätsgelände bezogen, bezeichnet der Begriff heute öffentliche und private Wissenscluster, die sich wie der Novartis Campus in Basel in den Dienst der Innovation und des Fortschritts stellen. In ihnen pulst noch die ursprüngliche Idee der Stadt als Ort des Wissens.

Text von Goran Mijuk

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Wunsch und Wirklichkeit fallen zusammen. Das von Filarete...

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Dieser Artikel wurde ursprünglich im August 2013 publiziert.
Publiziert am 01/06/2020

«Die Stadt», so schreibt der britische Kulturhistoriker Peter Watson in seinem Buch «Ideen», «ist die Wiege der Kultur, der Geburtsort fast aller Ideen, die wir so hoch schätzen.» Schulen, Bibliotheken, Rechtskodizes oder das politische Zweikammersystem wurden vor rund 5000 Jahren im sumerischen Ur entwickelt. Auch das Rad und die Schrift, so vermuten Experten, wurden in diesen Treibhäusern des Wissens erfunden, in denen sich Menschen erstmals in der Geschichte zu einer einzigartigen, von der Sippelosgelösten Gemeinschaft zusammengefunden haben, um eine neue Form des kooperativen Zusammenlebens zu erproben. Eridu, die älteste bekannte Stadt der Welt, deren Überreste auf dem Territorium des heutigen Irak liegen, galt den Sumerern als Quelle der Weisheit, an deren Spitze der Gott des Wissens stand. Kultur und Zivilisation, so argumentiert Watson, konnten erst durch die Errichtung dicht besiedelter urbaner Komplexe entstehen, die intensive Kommunikation und Zusammenarbeit forderten. Städte, im Unterschied zu Dorfgemeinschaften oder versprengten Gehöften, boten ein Umfeld, das wesentlich konkurrenzbetonter und experimentierfreudiger war als andere Siedlungsformen. In den frühen urbanen Zentren Mesopotamiens, die bereits über städtische Agglomerationen verfügten, entstand ein Spezialistentum, das zur Herausbildung neuer Berufe und Fertigkeiten führte. Eine der Wirtschaft förderliche Arbeitsteilung setzte mit der Entstehung der Städte ein: Bäcker, Metzger, Bierbrauer, Köche, Korbmacher, Ärzte, Lehrer und Priester, um nur einige der frühen städtischen Berufsentwicklungen zu erwähnen, erarbeiteten neues Wissen und eranden Techniken, die den Fortschritt in einer noch nie da gewesenen Weise beflügelten und Kultur und Zivilisation im modernen Sinn erst möglich machten.

Die Einstellung gegenüber Städten war aber bereits früh von einem moralisierenden Skeptizismus geprägt. Babylons Grösse, Schönheit und Macht weckten neben Bewunderung auch Neid, Missgunst und bitteren Hass. Noch heute gebräuchliche Begriffe und Wendungen wie «Sündenbabel» oder «babylonisches Sprachgewirr» verraten ein tief sitzendes Unbehagen gegenüber mächtigen Städten, die mit dem Ideal einer ethnisch homogenen und der Sippe verbundenen Gemeinschaft brechen und sich an die Grenzen des technisch Machbaren wagen. Stark wachsende und experimentierfreudige Metropolen sehen sich deshalb immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, mit ihren kulturellen und technischen Innovationen die Grenzen von Natur und Moral zu überschreiten. Nicht selten fällt auch der Vergleich mit dem biblischen Sodom und Gomorra, der die Stadt als Ort schrankenloser Ausschweifungen im schlechthin Bösen ansiedelt.

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«Der Mensch steht im Zentrum», sagt Felix Räber über den Campus in Basel.

Stadt als Pro­blem

Dieses problematische Verhältnis zur Urbanität findet auch früh Ausdruck in alternativen und idealisierenden Stadt- und Staatskonzeptionen. Diese möchten die schwer zähmbare, intrinsisch kooperative und kommunikative Dynamik urbaner Zentren in geregelte Bahnen lenken und die Folgen negativer politischer Entwicklungen und ökonomische wie auch gesellschaftliche Missstände eindämmen. Ein frühes Beispiel dieser zuerst vor allem literarischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Stadt findet sich in Platons «Politeia». In der für Platon und die Philosophen seiner Zeit typischen Dialogform, die durchaus als urbane Denkfigur beschrieben werden kann, formuliert er die Vision eines idealen Staatskörpers aus. Rund 300 Jahre später nimmt der römischen Architekt Vitruv den platonischen Faden auf und beschreibt in seinem zehnbändigen Werk «De architectura libri decem» die Grundzüge einer idealen Architektur. Mit «Utopia» von Thomas Morus und «La città del Sole» von Tommaso Campanella setzt im Mittelalter und der frühen Renaissance eine intensive Auseinandersetzung mit politischen und urbanen Alternativprogrammen ein. Unter dem Eindruck eines von Krieg, Krankheit und Armut gezeichneten Europa, das während der Pestepidemie im 15. Jahrhundert rund einen Drittel der Bevölkerung verliert und dem ein Rückfall in feudale frühmittelalterliche Verhältnisse droht, entstehen utopische Gegenwelten, die sich als Lösungen oder ironische Kommentare zum Status quo verstehen. Auch Maler und Architekten nehmen an der Ausgestaltung und Formulierung dieser Utopien teil und bereiten so den theoretischen Boden für eine Vielzahl städtebaulicher Projekte, die in der Neuzeit und in der Moderne in Angriff genommen werden.

Einer der wichtigsten Vertreter dieser Denkschule ist der italienische Architekt Filarete. Seine utopische und heute eher befremdend wirkende Stadtvision Sforzinda wurde zwar nie gebaut. Aber Filarete, dessen 25-bändiges Hauptwerk «Trattato d’architettura» lange gattungsbestimmend war, gilt als entscheidender Ideengeber für die Entstehung des norditalienischen Palmanova im Jahr 1593, dessen klar strukturierter, geometrischer Grundriss zum prägenden Element vieler Planstädte wurde und an dem sich spätere Idealstädte wie Mannheim, Karlsruhe oder Washington orientieren. Vor allem die Errichtung von Hauptstädten wie Sankt Petersburg, Islamabad, Canberra oder Brasilia, die vollständig auf dem Reissbrett konzipiert wurden, nährte sich von diesem reichen Ideenfundus.

Auch wenn viele Idealstädte wie das von Claude-Nicolas Ledoux entworfene Chaux in Frankreich blosse Wunschgebilde blieben, so trugen diese Arbeiten zu einem lebendigen Diskurs bei, der Zeugnis der schöpferischen und bildnerischen Kraft der Architektur ablegt. Die bloss als Blaupausen existierenden Pläne lieferten aber Gedanken- und Ideenmaterial für zukünftige Entwürfe wie beispielsweise die Umgestaltung von Paris durch den Städteplaner Georges-Eugène Haussmann, dessen im 19. Jahr- hundert durchgeführte Modernisierung der französischen Hauptstadt noch heute als Paradebeispiel einer geglückten Stadtplanung bezeichnet werden kann, auch wenn zum Zeitpunkt der Umgestaltung nicht mit Kritik an Haussmanns Umsetzung gespart wurde.

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Die Cadbury-Stadt Bournville in England und...

Wunsch wird Wirk­lich­keit

Richtig Aufwind erhielten die Planstädte erst während der Industrialisierung, vor allem in den USA und England, wo aufgeklärte Unternehmer im 19. Jahrhundert damit anfingen, ganze Städte für ihre Fabriken und Arbeiterschaft aus dem Boden zu stampfen. Über 2500 dieser sogenannten Company Towns gab es bis im frühen 20. Jahrhundert allein in den USA, in denen rund 3 Prozent der amerikanischen Bevölkerung lebte und arbeitete. Zu dieser Zeit errichtete auch der Schuhproduzent Thomas Bata ganze Arbeiterstädte im tschechischen Zlin oder im indischen Batanagar und baute eine Arbeitersiedlung im aargauischen Möhlin, die noch heute Bewunderer und Touristen anlockt. Idealstädte wie das in England gelegene Bournville, das vom Schokoladehersteller Cadbury gebaut wurde, dienten als Inspirationsquelle für die Gartenstadtbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts als städteplanerisches Leitmotiv bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wirkte und auch Architekten wie Le Corbusier inspirierte. Im gleichen Geist entstanden zur selben Zeit auch neue Universitätskomplexe. Vor allem in den USA wurden diese Wissenszentren auf einem unbebauten Feld, oder Campus, errichtet, ein Konzept, das auch heute noch viele Nachahmer findet. Denn angesichts der Tatsache, dass viele Metropolen stark überlastet sind, scheint es naheliegend, auf der grünen Wiese abseits der städtischen Zentren ein urbanes Paradies zu bauen. So ist es nicht erstaunlich, dass Unternehmen wie Google, Apple, Samsung und Facebook gegenwärtig Milliardenbeträge in neue Unternehmensstandorte investieren und in ideeller Anlehnung an den amerikanischen Universitätscampus, der symbolhaft als Ort des Wissens und der Innovation gilt, ihre neuen Hauptsitze ausserhalb dicht besiedelter Stadtzentren bauen.

Anders als in den USA, wird in Europa ein eher urbanerer Planstadt-Typus gepflegt. Grossen Zuspruch von Architekten und Designern erhält die von Adriano Olivetti konzipierte Arbeiterstadt im norditalienischen Ivrea. Sie hat heute noch Vorbildcharakter, obschon das Städtchen und die Firma Olivetti, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts dank ihrer kühn konzipierten Schreib- und Rechenmaschinen Weltruhm erlangt hatte, ihre Blütezeit schon längst hinter sich haben. Die Idee aber, eine Idealstadt mit Forschungszentren, Sozialeinrichtungen, Wohnsiedlungen und Kindergärten innerhalb einer Stadt entstehen zu lassen, hat vor allem im dicht besiedelten Europa viele Befürworter, weil durch solche Projekte ganze Städte neu belebt werden können.

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...Olivettis Ivrea.

Ur­ba­nes Wis­sens­zen­trum

Auch der von Vittorio Magnago Lampugnani entworfene Masterplan des Novartis Campus reiht sich in diese urbane Tradition ein. Im Unterschied zum amerikanischen Campus, der in der Regel von der städtischen Infrastruktur losgelöst ist, fügt sich das Werk St. Johann ins urbane Raster Basels ein. Der Campus gleicht, wie Architekt Jacques Herzog jüngst meinte, in seiner Funktion als Wissenszentrum und als vitaler Stadtteil einer städtischen Klosteranlage, die in den urbanen Kontext eingebettet ist und sich nicht wie ein Fremdkörper ausnimmt. Anders als viele in der Vergangenheit errichteten Agglomerationssiedlungen und Geschäftsviertel, die sich heute als hartnäckige städtische Problemzonen zu erkennen geben, besticht Lampugnanis Plan dadurch, dass er den Campus in den städtischen Grundriss einfügt und weder auf soziale Elemente verzichtet noch die Wechselwirkung zwischen öffentlichem Raum und der Diversität der Stadtbewohner ignoriert.

Im Rückgriff auf historische Vorbilder ist für Lampugnani der öffentliche Raum nicht als Restraum zwischen Gebäuden zu verstehen. Der Mensch und sein kreatives Potenzial sollen in den Mittelpunkt gerückt werden. Antike und mit-telalterliche urbane Freiräume wie die Agora, das Forum und überdachte Strassen müssen als Knotenpunkte menschlicher Interaktion verstanden und gesetzt werden. Denn in ihnen und durch sie erfüllt sich das Geheimnis erfolgreicher und innovativer Städte, die ihre Kraft aus der Kommunikation und Kooperation der in ihnen lebenden und arbeitenden Menschen schöpfen. Diesen baulichen und zutiefst sozialen Grundgedanken hat Lampugnani auch im Novartis Campus in Basel verwirklicht, indem er vorhandene urbane Strukturen wie die Fabrikstrasse in einem identitätsstiftenden Sinn beibehalten und die Plätze und Parks so gelegt hat, dass sie ein kommunikatives Eigenleben besitzen, das ihnen eine tiefe Bedeutung und überaus wichtige Funktion als Kreativitäts- und Erholungsräume gibt. Vorbild für diesen klaren baulichen Stil ist die vorindustrielle Stadt, deren Logik im Zwischenmenschlichen und nicht im Prozesshaften liegt. Plätze, Parks, Cafés und Kolonnaden sind dabei nicht bloss Simulationen einer urbanen Struktur. Durch ihre inhärente Offenheit, Flexibilität und Dynamik sind sie essenzielle Knotenpunkte, die Kommunikation, Wissen und damit auch Fortschritt ermöglichen.

Mit dieser Umsetzung erfüllt Lampugnanis Masterplan die Vision von Daniel Vasella, der um die Jahrtausendwende die Idee zu Errichtung eines Innovationscampus hatte, der «den Menschen und sein Wohlbefinden [und seine Schöpfungskraft] ins Zentrum» stellt. Gleichzeitig spannt der Novartis Campus aber auch einen 5000-jährigen Bogen und schliesst sich ideell an die prähistorischen Städte an, die als erste Treibhäuser des Wissens dem menschlichen Fortschritt Bahn gebrochen haben.

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