Wie zukunftsweisend die Fusion von Ciba und Sandoz war, lässt sich eigentlich erst heute richtig erfassen. Die Bedeutung des Zusammenschlusses geht weit über die Firma und die Pharmaindustrie hinaus, hat sie doch den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz nachhaltig beeinflusst.
Publiziert am 02/03/2021
von Gerhard Schwarz*
Ciba-Geigy Greensboro (North Carolina, USA); Forschungslabor für Farbstoffe, 1990.
Die Anfänge der Pharmaindustrie liegen, wie bei so vielen Erfolgsgeschichten der Schweizer Wirtschaft, im Ausland. Zu einem Entwicklungsschub führte das französische Patentgesetz von 1844, das nicht das Herstellungsverfahren, sondern das Produkt schützte. Ganze Scharen von erfindungsreichen Chemikern wichen deshalb ins nahe Basel aus, wo es vor allem in der Seidenbandindustrie Bedarf an synthetischen Farben gab. Dass die Schweiz bis 1888 kein Patentrecht kannte und die schweizerische chemische Industrie auf eigenen Wunsch sogar bis 1907 davon ausgeschlossen blieb, gab den Chemiefirmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtige Impulse. Zudem nützte ihnen die Neutralität der Schweiz angesichts der Konflikte zwischen Frankreich und Deutschland, die 1870/71 und 1914–18 in Kriegen kulminierten. Deshalb stiegen die Schweizer Chemieexporte zwischen 1913 und 1920 auf das Siebenfache. In diese Zeit fällt auch eine nur durch den damaligen Zeitgeist erklärbare Entwicklung: 1918 schlossen sich Ciba, Geigy und Sandoz zur Basler IG zusammen, um sich gegen die deutsche Konkurrenz zu wehren. Hinter dem harmlosen Namen verbarg sich ein strenges Kartell, das neben gemeinsamem Einkauf und Preisabsprachen sogar einen starren Gewinnverteilungsschlüssel und eine klare Aufteilung der Geschäftsfelder kannte.
Früher Vorstoss Richtung Pharma
Doch die Branche setzte sich nicht nur protektionistisch zur Wehr, sie passte sich auch an das widrige Umfeld an – und das bedeutete, den Export durch Produktion in den jeweiligen Märkten zu ersetzen. So beschäftigte die Basler chemische Industrie 1925 bereits mehr als die Hälfte ihrer Belegschaft im Ausland. Diese frühe Globalisierung ging einher mit dem Ausbau des Pharmageschäfts. Ciba und Sandoz begannen ab Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts mit der Diversifikation. Geigy, durch die Aufteilung der Geschäftsfelder in der Basler IG zunächst vom Pharmageschäft ausgeschlossen, folgte erst später, konnte aber von der Sonderentwicklung des 1939 patentierten Insektenvertilgungsmittels DDT profitieren. Der Vorstoss der chemischen Industrie in Richtung Pharma erwies sich als matchentscheidend. Hohe Wertschöpfung, starke Wissensbasierung, eine ausgeprägte Internationalisierung und ein insgesamt besseres Image, als es bei einem Verharren in der Chemie im engeren Sinne möglich gewesen wäre – das sind alles Elemente, die für eine kleine, offene Volkswirtschaft wie jene der Schweiz geradezu essenziell sind.
Fusionitis
Bei der Neustrukturierung ihrer Branche mittels Fusionen waren die Basler Pharmaunternehmen geradezu pionierhaft – mit zwei der spektakulärsten Zusammenschlüsse der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Schon die «Basler Heirat», also die Fusion von Ciba und Geigy zu Ciba-Geigy am 20. Oktober 1970, sorgte für Empörung, die beträchtliche Zeit anhielt. Es war nicht die Angst vor einem Stellenabbau, die die Aufregung auslöste, denn die Mitarbeiter hatten von der Fusion wenig zu fürchten, weil sich die beiden Firmen gut ergänzten. Die Kritiker beklagten vielmehr das Aufgehen zweier so traditionsreicher Unternehmen in einem neuen Konzern. Dazu kam, dass aus steuertechnischen Gründen die 212-jährige Firma J. R. Geigy AG von der noch nicht einmal 100-jährigen Ciba übernommen werden sollte. Noch weit entscheidender für die Entwicklung der Pharmaindustrie in der Schweiz war aber am 7. März 1996 die Fusion von Ciba (wie sich Ciba-Geigy ab 1992 nannte) und Sandoz zu Novartis. Auch bei diesem Schritt herrschten weitherum grosse Sorgen – vor allem um den Basler Arbeitsmarkt. Dass die Börse jubelte – die Kurse beider Titel stiegen nach der Ankündigung der Fusion innert Stunden um 25 Prozent –, überraschte nicht, doch entscheidend war, was der Schritt strategisch bedeutete, nicht nur für die beiden Firmen, sondern für die ganze Schweizer Pharmaindustrie. Man erlebte davor und danach in der Schweiz noch genug verpasste oder zu spät vorgenommene Strukturanpassungen.
Aufs richtige Pferd gesetzt
Aussergewöhnlich war die Fusion zu Novartis unter anderem, weil sie nicht aus zwei Firmen eine machte, sondern im Gegenteil aus zwei Unternehmen drei oder sogar vier entstehen liess. Das Pharmageschäft wurde zwar in der neuen Firma zusammengeführt, aber die Produktion von Chemikalien wurde in zwei neue Unternehmen ausgelagert, Clariant vor und Ciba SC nach der Fusion von Novartis. Dies ging nicht ohne Abbau von Arbeitsplätzen. Als Ciba SC 2008 «nach langer Leidensgeschichte» («NZZ») von der deutschen BASF übernommen wurde, hatte das Unternehmen weltweit nur mehr 12 000 Mitarbeiter; nach der Herauslösung aus der «alten» Ciba waren es noch 24 000 gewesen. Auch Clariant machte eine ähnliche Entwicklung durch. Damit bestätigte sich die Einsicht der Fusionsarchitekten von 1996, dass sich Chemikalien angesichts des Preisdrucks vor allem aus China auf Dauer in Westeuropa und erst recht in der Schweiz kaum mehr in grösserem Umfang kompetitiv produzieren lassen würden. Neben der Industriechemie lagerte Novartis im Jahr 2000 auch ihre Agrochemiesparte aus und schloss sie mit jener der schwedischen AstraZeneca zu Syngenta zusammen, heute weltweit Marktführerin beim Pflanzenschutz und Nummer 3 beim Saatgut. Dem schmaler gewordenen Leistungsausweis von allen möglichen Sparten, die einst unter dem Sammelbegriff «Chemie» subsumiert wurden, steht der Erfolg der Vision gegenüber, sich auf Pharma zu konzentrieren und dabei auf forschungsintensive Bereiche mit hoher Wertschöpfung zu fokussieren. Dass dieser Prozess fortwährender Anstrengungen bedarf, zeigte eine grundlegende Strategieüberprüfung, die 2014 eingeleitet wurde.
Wachstums- und Exportmotor
Erfreulicherweise baute die Pharmaindustrie in der Schweiz trotz der Fusionen und des Strukturwandels Arbeitsplätze auf, teils sogar durch Verlagerungen aus dem Ausland. Und sowohl Novartis als auch Roche, der zweite Basler Pharmariese, scheinen weiter auf ihr Stammland zu setzen. Das findet in Basel mit dem Bau des Novartis Campus und des Roche-Hochhauses einen weithin sichtbaren Ausdruck und führte auch am Zugersee zu einem Pharmacluster. Noch beeindruckender als die Entwicklung der Arbeitsplätze ist jene der Wertschöpfung und damit der Exporte.
Forschungsschwerpunkt Schweiz
Ein besonderer Aspekt der Pharmaindustrie liegt darin, dass sie höchstqualifizierte Arbeitskräfte benötigt und dass sie der ganzen Forschungslandschaft Impulse gibt. Dank Pharma und Chemie ist die Schweiz auf der Weltkarte der Forschung weit stärker präsent, als es der Bevölkerungszahl des Landes entspricht. Die Hochschulen in Zürich, Basel, Lausanne und Genf gehören in den Life Sciences zur Weltspitze. Doch auch wenn alle Hochschulen intensiv Grundlagenforschung betreiben und daneben zu Firmengründungen führen – aufwendige Forschung und Entwicklung leisten vor allem die Pharmaunternehmen selbst.
Gelungene Aufholjagd
Im Zentrum der Pharmaforschung steht heute die Biotechnologie. Die Schweiz hielt zwar in deren Anfängen an der Spitze mit, erkannte zunächst aber zu wenig, welches Potenzial die Biotechnologie auf dem Markt und auch an der Börse hat. Die ersten kommerziellen Erfolge erzielten die kalifornischen Firmen Amgen und Genentech. Die Schweizer Pharmaindustrie schaffte den Anschluss an die Weltspitze erst wieder mit einem Kraftakt, als Roche 1990 eine Mehrheitsbeteiligung an Genentech erwarb und sich danach auch Ciba und Sandoz in amerikanische Biotechfirmen einkauften. Die Erfolge der letzten Jahre zeigen aber, dass die Schweizer in der Grundlagenforschung mithielten und beim Geschäftssinn aufholten. Die Schweiz bleibt ein wichtiger Forschungsstandort. Ausschlaggebend für die gelungene Aufholjagd und die Bewahrung des Forschungsstandorts war zweifelsohne die Entstehung von Novartis. Damals kommentierte ich in der NZZ: «Die am Donnerstag angekündigte Fusion von Ciba und Sandoz zur Novartis stellt das bedeutendste industriepolitische Ereignis der jüngeren Wirtschaftsgeschichte der Schweiz dar. Die Führungskräfte der beiden Unternehmen haben damit den Mut aufgebracht, zur Erhaltung der weltweiten Konkurrenzfähigkeit ‹ihrer› Konzerne aus eingefahrenen Traditionen auszubrechen, Besitzstände aufzugeben und Ballast abzuwerfen. Und sie haben zugleich die Weitsicht bewiesen, dies aus einer Position der Stärke heraus zu tun.» Die letzten Jahre stellen dieses Urteil keineswegs in Frage – im Gegenteil.
*Der 1951 geborene Gerhard Schwarz gehört zu den bedeutendsten Wirtschaftsbeobachtern der Schweiz. Ab 1981 war er Mitglied der Wirtschaftsredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung», ab 1994 deren Leiter, ab 2008 zusätzlich stellvertretender Chefredaktor. Bis 2016 war er Direktor des Thinktanks Avenir Suisse in Zürich. Die Originalversion dieses Artikels erschien in der Printausgabe von live im März 2016.
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