Ein Interview mit Shiva Malek, globale Leiterin Oncology bei den Novartis Institutes for BioMedical Research.
Das Interview führte Goran Mijuk, Foto von Laurids Jensen
Publiziert am 12/12/2022
Für Shiva Malek hängt die Entdeckung bahnbrechender Wirkstoffe von drei Schlüsselelementen ab: «Grundlagenforschung, technologische Innovationen und ein ausdauerndes Dranbleiben an einem schwierigen Problem», erklärte sie in einem Interview mit dem live-Magazin im Sommer 2022.
Aber Malek, die Anfang 2022 von Genentech zu Novartis stiess und seither die Position der globalen Leiterin Oncology an den Novartis Institutes for BioMedical Research bekleidet, ist sich auch bewusst, dass Zufälle, oder das, was man in den USA in der Regel mit Serendipität umschreibt, das Zünglein an der Waage sein können: «Zufall ist natürlich keine Strategie. Aber wenn man an einem Problem dranbleibt, kann man die Chance ergreifen, wenn sie sich bietet.»
In ihrem Berufs- und Privatleben kam es immer wieder zu Zufällen. Während sie als Kind mit ihrer Familie Urlaub in den USA machte, brach in ihrem Heimatland Iran die Revolution aus. Dies zwang die Familie, für immer in den USA zu bleiben. Malek räumt ein, dass sie anfangs eine schwierige Phase durchmachte. Aber sie konnte aus dieser herausfordernden Zeit wertvolle Lehren ziehen.
«Unsere Einwanderungsgeschichte unterscheidet sich sehr von der anderer, da sie einem Zufall geschuldet war. Dennoch war die Situation für eine Familie aus dem Iran schwierig », erinnert sich Malek. «Dies führte zu einem starken Zusammenhalt mit unseren Landsleuten. Wir hatten in den USA nicht nur Verwandte, sondern bereits auch eine iranische Community. Auf diese Weise habe ich gelernt, dass die Vernetzung mit anderen Menschen sehr wichtig ist und grosse Auswirkungen hat.» Diese Erfahrung wirkt noch heute nach. «Einige dieser Grunderfahrungen beeinflussen mein heutiges Wirken als Führungskraft», sagt sie. «Was mir geblieben ist, ist die Erkenntnis, dass Teamgeist, Networking und enge Beziehungen zu anderen Menschen wichtig sind.»
Mit ihren beiden Schwestern wuchs sie in der Kleinstadt Logan im US-Bundesstaat Utah auf. «Als Kind spielten meine Schwestern und ich ziemlich viel draussen, da Logan wirklich sehr ländlich ist. Beim Spielen merkte ich, wie sehr ich mich zum Erforschen und Erschaffen von Dingen hingezogen fühle, und ich spürte eine unersättliche Neugierde in mir.» Dass Englisch nicht ihre Muttersprache war, festigte ihre spätere berufliche Orientierung ebenfalls, und sie entdeckte ihre Liebe zu den Naturwissenschaften. «Englisch war für mich die Zweitsprache. Deswegen war es in der Schule für mich viel einfacher, dem Unterricht in Mathematik und in naturwissenschaftlichen Fächern zu folgen. Zudem zeigte sich, dass mein Interesse an diesen Themen meine grosse Stärke war.»
Nachdem sie mit ihrer Familie in einen anderen Bundesstaat gezogen war, wuchs ihr Interesse an den Naturwissenschaften. «In Kalifornien, in der Oberstufe und an der Highschool, machte mir der naturwissenschaftliche Unterricht grossen Spass. Wir sezierten damals Tiere. So etwas hatten wir schon in der Grundschule mal gemacht. Diese Experimente faszinierten mich sehr.»
Später studierte sie Biochemie an der University of California, Los Angeles (UCLA). Anfangs erwog sie, eine medizinische Laufbahn einzuschlagen. «Damals wusste ich noch nicht, dass es auch Karrierechancen in der Industrie oder in der Biotechnologie gibt. Das war für mich keine Option. Niemand machte das.» Aber der Zufall war wieder Türöffner, als Malek begann, an der UCLA im Labor von Juli Feigon zu arbeiten. «Ich war 17, als ich ans College kam. Daher habe ich davon gar nichts verstanden. Wenn ich jetzt jedoch auf diese Erfahrung zurückblicke, denke ich, wow, was für eine erstaunliche Person sie doch war! Ich erinnere mich an keine andere Frau auf diesem Stockwerk oder im Gebäude. Sie war zäh, aber auch enorm klug. Und ich habe viel von ihr gelernt.»
Zu Maleks wichtigsten Erkenntnissen aus diesen frühen Jahren mit Feigon zählt eine disziplinierte Herangehensweise an die Wissenschaft «Das Grundprinzip, das mich dort inspiriert hat, war wohl die Idee, dass man die Biologie, wenn man sie auf der fundamentalen strukturellen Ebene versteht, letztlich mit Krankheiten in Verbindung bringen kann.»
Dieser Idee blieb sie stets treu, während sie ihre Master- und Ph.D.-Studien an der University of California in Irvine und später an der University of California in San Diego fortsetzte, bevor sie eine Stelle in der Industrie antrat. Dazu gehörten Stationen bei Vertex und später bei Genentech, wo sie 15 Jahre lang tätig war und bemerkenswerte Entdeckungen im Bereich der Onkogene machte.
Diese Erfahrungen in Verbindung mit ihrer zutiefst wissenschaftlichen, von Neugierde geprägten Denkweise werden auch ihr Leitstern sein, wenn sie ihre Führungsaufgaben bei NIBR fortsetzt.
Frau Malek, Sie starteten Ihre wissenschaftliche Laufbahn an der Hochschule und wechselten bald in den Onkologie-Bereich der Pharmaindustrie. Was hat Sie all die Jahre angetrieben?
Was mir an der Wissenschaft gefällt, ist, dass es eine endgültige Antwort gibt. Stösst man auf ein Problem, so gibt es dafür eine Lösung. Und die ist nicht subjektiv. Sie hängt nicht von Meinungen ab. Es sind die Daten. Von ihnen hängt die Antwort ab. Das hat mich seit meiner Kindheit fasziniert und mein Denken während meiner gesamten Laufbahn geprägt.
Warum haben Sie sich entschieden, in die Onkologie zu wechseln?
In der Onkologie weiss man, dass genetische Mutationen Krebs verursachen. Das wirft die Frage auf: Was machen diese Mutationen mit der Struktur und Funktion der Proteine? Wir können das untersuchen und auf der Ebene einer einzigen Aminosäure verstehen. Das haut mich einfach um.
Wie hängt das mit der Wirkstoffentdeckung zusammen?
Dass wir die grundlegenden Mechanismen auf atomarer Ebene verstehen und dann über das Entwickeln selektiver Wirkstoffe für ein mutiertes Onkoprotein nachdenken, ist wirklich wie ein Traum. Das inspiriert mich immer. Darüber hinaus stehen uns heute mehr denn je viele neue Technologien zur Verfügung, wie beispielsweise Zell- und Gentherapien oder Radioligand-Therapien. Dies eröffnet spannende neue Möglichkeiten und Ansätze für die Erforschung von Krebsmedikamenten.
Die meisten Menschen möchten sich am liebsten die Ohren zuhalten, wenn sie das Wort Krebs hören. Wie gehen Sie emotional mit der Krankheit um?
Ich hatte auch in meinem persönlichen Umfeld schon mit Krebs zu tun. Bei meiner besten College-Freundin wurde in der Studienzeit Brustkrebs diagnostiziert. Sie war in den Zwanzigern. Das hat mich tief geprägt. Ausserdem litt eine meiner engsten Mitarbeiterinnen bei Genentech jahrelang ebenfalls an Brustkrebs. Ich weiss noch, wie sie zu mir sagte: «Wenn ich einfach weiter diese Medikamente nehme und sich nichts ändert, könnte alles gut werden. Alles wird gut ausgehen.» Leider hatte sie einen Rückfall und erlag der Krankheit. Sie war in meinem Alter und hatte zwei junge Töchter. Es ist zwar emotional schwierig, aber nicht zuletzt das Persönliche an dieser Krankheit treibt mich dazu an, trotz der erheblichen technischen Hürden einige der grössten wissenschaftlichen Herausforderungen anzugehen.
Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Bei vielen Krebserkrankungen gibt es im zeitlichen Verlauf keine dauerhafte Wirksamkeit. Meiner Freundin ging es ein paar Jahre lang gut, schliesslich ist sie dann doch an der Krankheit gestorben. Das war schwer. Gegen Ende wollte sie mit aller Macht herausfinden, wie sie sich selbst heilen könnte. Für mich bedeutet das, dass wir unsere Anstrengungen, unsere Energie und unsere Ressourcen auf Entdeckungen richten müssen, die das Leben der Patienten wirklich verändern.
Was braucht es, damit die Wirksamkeit neuer Therapien länger anhält, sodass für die Patienten tatsächlich etwas bewirkt werden kann?
Die Entwicklung von Arzneimitteln ist sehr anspruchsvoll, und wir müssen langfristig denken. Aus wissenschaftlicher Sicht liefert die Geschichte um die Entwicklung eines Inhibitors für das sogenannte KRAS-Onkogen (ein Krebs auslösendes Gen) meiner Meinung nach wertvolle Erkenntnisse. Jahrzehntelang arbeiteten Wissenschaftler an diesem heiligen Gral der Krebsmedikamentenforschung, bevor 2013 der erste grosse Durchbruch gelang. Aber einige bezweifelten, dass diese Entdeckung zur Entwicklung eines Medikaments führen könnte, weil Kevan Shokat, der den Mechanismus entdeckte, als Target den inaktiven Zustand des Proteins verwendet hatte.
Warum waren die Wissenschaftler so skeptisch?
Man dachte damals, Mutationen im KRAS führten dazu, dass es in einem aktiven Zustand «eingesperrt» wird. Dass das Anvisieren des inaktiven Zustands einen therapeutischen Nutzen haben könnte, schien daher unwahrscheinlich. Doch es stellte sich heraus, dass KRAS-G12C – die spezifische mutierte Version von KRAS, die Shokat untersuchte – einige ganz spezielle Eigenschaften aufwies, die damals noch unbekannt waren. Wie es der Zufall will, machten diese speziellen Eigenschaften KRAS-G12C empfindlich gegenüber Inhibitoren des inaktiven Zustands. Ich glaube, dass nicht einmal Shokat selbst dieses Wissen hatte, als er das Projekt startete, also spielte zum Teil der Zufall eine Rolle. Auf den Zufall zu hoffen, ist natürlich keine Strategie, aber er kann das Ergebnis einer Strategie sein. Eine echte Strategie ist es, sich für etwas zu engagieren, von dem man weiss, dass es enorm wichtig ist. Wir wussten alle in der Branche, dass mutiertes KRAS als Target den Patienten nützen würde. Deshalb setzt man sich für die Lösung eines solchen Problems ein, auch wenn es zwanzig Jahre dauert, um ans Ziel zu gelangen.
Wie werden Sie diese Erfahrungen in der Onkologie bei NIBR nutzen?
Weiterhin fokussiert bleiben und immer die wichtigsten Faktoren von Krebserkrankungen im Auge behalten, die einen direkten genetischen Zusammenhang mit der Krankheit haben. Grosse wissenschaftliche Herausforderungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln angehen, vom Einsatz neuer Technologien über die Förderung von Kooperationen bis hin zur Nutzung der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Nicht jedes Problem verdient maximales Engagement. Hat man jedoch die zugrunde liegenden Zusammenhänge erst einmal genau erfasst, sollte man daraus das für den nächsten Schritt erforderliche Mass an Zuversicht schöpfen. Das sind die Dinge, von denen man nicht abrückt.
Sie haben neue Technologien erwähnt. Was erwarten Sie von ihnen?
Ich denke, Novartis verfügt über eine Vielzahl neuer Technologien, die für die Patienten wirklich von Nutzen sein können. Nehmen Sie beispielsweise unsere neue T-Charge-Plattform im Bereich der Zelltherapie, die die Herstellungszeit verkürzt und die Produktionskosten für Medikamente senkt. Dies hilft Patienten, schneller an die Medikamente zu kommen. In der Nuklearmedizin können wir nicht nur das Anwendungsspektrum erweitern, sondern die Therapie auf neuartige Weise weiterentwickeln, indem wir verschiedene Arten radioaktiver Partikel nutzen, die eine stärkere und breitere Wirkung auf Krebszellen haben können.
Gibt es weitere Vorteile, die sich aus diesen Plattformen ergeben?
Ja. Unsere Technologieplattformen ermöglichen es uns, Kombinationen von Therapien mit differenzierten Wirkungsmechanismen aufzubauen. Wir wissen ja, dass Krebs eine komplexe und heterogene Erkrankung ist und dass eine einzige Technologie bzw. ein einziger Ansatz allein oft nicht ausreicht, um bei den Patienten eine Langzeitreaktion zu erzielen. Jede Technologieplattform hat ihre Vor- und Nachteile, und wir sind in der Lage, für spezifische Krebserkrankungen, etwa für Lungen- oder Brustkrebs, die jeweils passende(n) Plattform(en) oder genetische Zusammenhänge auszuwählen.
Wo sehen Sie andere Anwendungsmöglichkeiten für neue Technologien?
Meiner Meinung nach sollten wir unsere Technologien und Tools auch intensiver nutzen, um zu verstehen, warum Patienten auf gewisse Medikamente ansprechen und wie sie gegen bestehende Therapien resistent werden. Ich denke, es ist von grundlegender Bedeutung, diese Erkenntnisse zu vertiefen und darauf aufzubauen. Wir müssen existierende Ansätze verbessern und die Wirkstoffe der nächsten Generation entwickeln.
Hat das auch etwas mit Ihrer Einstellung zu tun, an einem Problem dranzubleiben, das man im Grundsatz verstehen kann?
Ja. Es ist von grösster Wichtigkeit, an einem Problem dranzubleiben und es insbesondere im Zusammenhang mit den Patienten wirklich zu verstehen und anhand der daraus gewonnenen Erkenntnisse herauszufinden, wie wir einen Wirkstoff verbessern können. Novartis hat in der Vergangenheit grosse Durchbrüche wie Glivec® erzielt. Wir sollten das Wissen, das wir bei diesen Medikamenten gewonnen haben, weiter ausbauen.
Wie lässt sich dieser Innovationsdrang mit dem Bedürfnis vereinbaren, eine nachhaltige Wirkung für die Patienten zu erzielen?
Das ist einer der spannendsten und schwierigsten Aspekte der Arbeit in unserer Branche. Wir stehen hier vor dem Paradoxon, dass wir unseren Wunsch nach Innovationen – d. h. das naturwissenschaftliche Forschen, grundlegende Entdeckungen und das Entwickeln neuer Technologien – mit dem Fokus auf die Entwicklung hochwertiger und transformativer Arzneimittel für Patienten in Einklang bringen müssen. Diese beiden Aspekte unserer Arbeit schaffen ein gesundes organisatorisches Spannungsverhältnis. Ich erinnere mich noch, was mir meine College-Freundin sagte, als sie mir von ihrer Brustkrebsdiagnose erzählte. Sie sagte: «Ich beende mein Leben nicht. Ich werde mich dazu entscheiden, weiterzuleben.» Das macht mir immer noch Gänsehaut und ich denke immer wieder darüber nach. Wenn wir es schaffen, den Patienten diese Aussage leichter zu machen, und wenn wir ihnen die Wahl geben können, Ja zum Leben zu sagen, dann haben wir wirklich etwas bewirkt. Ich kann mir keine bessere Aufgabe vorstellen, als die Chance wahrzunehmen, genau das zu tun: den Patienten die Wahl zu geben, Ja zum Leben zu sagen.
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