Eine alte Wissenschaft
Wasserchemie
Ökologische Vorteile
Neue Norm
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    Zurück zur Natur

    Organische Lösungsmittel sind in der Chemie genauso selbstverständlich wie Reagenzgläser. Doch der fossile Ursprung einiger weitverbreiteter Lösungsmittel, die ebenfalls für die Medikamentenentwicklung verwendet werden, stellt eine Gefahr für die Umwelt dar. Spezielle Seifen, die wie Nanogeneratoren funktionieren, könnten diese toxischen Lösungsmittel teilweise ersetzen und die Chemie natürlich werden lassen.

    Text von Goran Mijuk, Fotos von Nicolas Heitz, Illustration von Alan Abrams

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    Bruce Lipshutz war einer der ersten Wissenschaftler, die sich mit Designer-Tensiden als Ersatz für toxische Lösungsmittel befassten. Diese seifenartigen Partikel, die sich zu Kugeln formen, können chemische Reaktionen im Wasser auslösen. Fabrice Gallou von Novartis unterstütze Lipshutz sehr früh in diesen Aktivitäten.

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    Publiziert am 03/09/2020

    Rauchende Schornsteine und der beissende Geruch brennender Kohle waren einst Symbole der modernen Zivilisation und des technischen Fortschritts. Dahinter standen bahnbrechende Entdeckungen in der Chemie, welche die Wissenschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert voran brachten.

    Diese Zeiten sind längst vorbei. Die Chemie hat ihren einstigen Zauber verloren, da viele ihrer Errungenschaften wie Plastik und Düngemittel, die unser Leben vollständig verändert und die Industrialisierung der Gesellschaft erst ermöglicht haben, nun ihre giftige Kehrseite zeigen und das Leben auf der Erde bedrohen.

    Seit Rachel Carsons Bestseller «Der stumme Frühling» aus dem Jahr 1962, der die Folgen industrieller Umweltverschmutzung beschreibt, scheinen Zivilisation und Chemie, einst nahezu im selben Atemzug genannt, zwei unversöhnliche Gegensätze darzustellen. 

    Obwohl gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer intensiver versucht wurde, die Chemie umweltverträglicher zu machen und andere Verfahren zur Herstellung neuer umweltfreundlicher Materialien zu nutzen, werden diese bislang nur begrenzt eingesetzt, weil sich herkömmliche chemische Prozesse auf der Grundlage fossiler Ausgangsstoffe schwer ersetzen lassen.

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    Detailansichten eines Grosslabors auf dem Campus in Basel, das von Fabrice Gallou und seinem Team genutzt wird, um neue chemische Prozesse auf Wasserbasis zu testen.

    Eine alte Wis­sen­schaft

    «Chemie ist eine alte Wissenschaft», so der Chemiker Fabrice Gallou, der bei Novartis im Bereich Chemical & Analytical Development als leitender Forscher tätig ist. «Viele Prozesse haben sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Und auch wenn sie für die Umwelt positiv wären, ist es aufgrund technischer wie auch kultureller Gründe schwer, herkömmliche Prozesse zu ändern.»

    Herausforderungen bei der Umstellung auf andere Technologien stellen sich nicht nur im Hinblick auf die Verbrennung und die weitverbreitete Nutzung von Kunststoffen und anderen fossilen Produkten, die die Umwelt belasten. In Alltagsanwendungen benötigte chemische Verbindungen werden zu Hunderten mithilfe fossiler Lösungsmittel hergestellt, die giftig, entzündlich und schwer abbaubar sind.

    Gleiches gilt für die Medizin. Bei der Medikamentenherstellung sind Dutzende chemischer Reaktionen erforderlich, um einen pharmazeutischen Wirkstoff zu produzieren. Zumeist, wenn nicht gar immer, werden dabei erdölbasierte Lösungsmittel eingesetzt. Ohne diese Lösungsmittel gäbe es die moderne Medizin nicht.

    Ineffizienzen verstehen

    Gallou, dessen berufliche Laufbahn 2001 nach seiner Promotion an der Ohio State University in den USA begann, hat alle Seiten der chemischen Industrie erlebt und als Chemiker in Forschungslaboren und grossen Produktionsanlagen gearbeitet.

    «Meine Zeit in der Produktion war äusserst lehrreich für mich», erklärt er dazu. «Ich lernte den Job in all seinen Facetten und mit sämtlichen Herausforderungen kennen und begriff mehr und mehr, wo der Schuh drückte. Für meine berufliche Entwicklung musste ich diese Schwierigkeiten verstehen, um zu erkennen, worauf sich die Branche längerfristig konzentrieren sollte.»

    Als Gallou 2006 zu Novartis stiess, erhielt er die Möglichkeit, neue Ansätze zu entwickeln, um einige der chemischen Standardprozesse bei der Medikamentenentwicklung zu verbessern. Er nutzte seine Chance und stellte die sogenannte Green Chemistry Group auf die Beine, einen lockeren Zusammenschluss von etwa zehn Personen, die sich auf die Einführung neuer Prozesse und Syntheseverfahren mithilfe neuer Lösungsmittelklassen spezialisiert haben.

    «Als wir anfingen, gab es kaum Möglichkeiten, die Chemie umweltfreundlicher zu machen. Doch der echte Durchbruch gelang vor rund zwölf Jahren, als Bruce Lipshutz von der University of California in Santa Barbara ein seifenartiges Lösungsmittel entwickelte, das in Wasser nutzbar war», macht Gallou deutlich. «Das war der Anlass, sich ausgiebiger mit dieser neuen Materie zu beschäftigen und neue Herangehensweisen zu entwickeln.»

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    Zur Vorbereitung des chemischen Prozesses werden Wasser und Seife vermischt.

    Was­ser­che­mie

    2008 zählten Lipshutz und sein Team zu den Ersten, die mit neuen Lösungsmitteltechnologien experimentierten und zu den sogenannten Designer-Tensiden vorstiessen. Diese seifenartigen Partikel, die aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften meist in Reinigungsmitteln enthalten sind, können Schmutzpartikel von Wasser trennen.

    «Die Idee, sich mit Tensiden zu befassen, entstand nach einem Gespräch mit der für Umweltschutz betrauten Person auf unserem Campus in Santa Barbara, die mir irgendwann 2005 mitteilte, mein Labor sei der grösste Umweltsünder der Region», erinnert sich Lipshutz an die Zeit, in der er sich zum Bruch mit der traditionellen erdölbasierten Chemie entschloss. «Das öffnete mir wirklich die Augen. Unser Team begann, nach Möglichkeiten zu suchen, um neue, milde Lösungsmittel zu verwenden und chemische Prozesse ganz natürlich im Wasser ablaufen zu lassen.»

    Lipshutz und sein Team forschten seinerzeit an Tensiden auf Vitamin-E-Basis, die mit Lösungsmitteln vergleichbare, vielversprechende Eigenschaften aufwiesen. «Für mich war das eine Art Wink mit dem Zaunpfahl, da wir bereits mit diesen Nanopartikeln forschten. Also versuchten wir, sie als Lösungsmittel bei bestimmten chemischen Reaktionen zu verwenden.»

    Dass das von Anfang an funktionierte, erstaunt Lipshutz selbst heute noch. «Wir verstanden den gesamten Prozess nicht von Anfang an. Erst als wir allmählich erforschten, was da eigentlich passierte, begannen wir ihn zu begreifen, und es gelang uns, immer wirksamere Tenside zu konzipieren, die Reaktionen auslösten, die zuvor nur mit klassischen Lösungsmitteln möglich waren.»

    Als Lipshutz seine Untersuchungen intensivierte, stellte sich heraus, dass die auf Vitamin E basierenden Tenside kugelartige Nanoreaktoren bilden, in denen sich der chemische Prozess vollzieht. So waren die Reaktionen im Wasser nicht nur ungiftig, sondern erfolgten auch bei niedrigeren Temperaturen und in weniger Schritten. 

    Darüber hinaus brachte das Team neue Tenside hervor, die pharmazeutisch wichtige chemische Reaktionen wie Amidkupplungen und Suzuki-Miyaura-Kreuzkupplungen auslösen konnten und unter anderem das Interesse von Fabrice Gallou und seinem Team weckten.

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    Das Verfahren wird in einem grösseren Reaktor wiederholt.

    Öko­lo­gi­sche Vor­tei­le

    Gallou, der die Arbeit von Lipshutz früh verfolgte und bei anderen Projekten eng mit ihm zusammenarbeitete, entwarf zunächst Pläne für allfällige künftige Projekte bei Novartis. «Zuerst wollten wir Prozesse entwickeln und diese in einem Konzept festschreiben, statt uns auf die Optimierung bestehender Verfahren zu konzentrieren.»

    Gallou zufolge war dieser umsichtige Ansatz «wahrscheinlich die richtige Entscheidung», zumal neue chemische Prozesse im Unternehmen anfangs auf Skepsis stiessen. So konnte das Team klare Prinzipien festlegen, die später wichtig waren, um die Kollegen zu überzeugen und mehrere frühe Medikamentenentwicklungsprojekte in Angriff nehmen zu können. «Dies half uns, innerhalb von Novartis auf Resonanz zu stossen und eine immer stärkere Dynamik zu entfalten», freut sich Gallou. 

    Ein wesentliches Ziel der letzten Jahre bestand darin, Dimethylformamid, häufig abgekürzt als DMF, zu ersetzen. Das Lösungsmittel kommt bei vielen industriellen Anwendungen zum Einsatz; der weltweite Verbrauch liegt bei rund 360 000 Tonnen pro Jahr. Ungefähr 10 Prozent hiervon entfallen auf die Pharmaindustrie und den Lifescience-Bereich. 

    Gallou ist überzeugt, dass das von seinem Team neu entwickelte Lösungsmittel, ein Tensid auf Vitamin-E-Basis, DMF irgendwann vollständig ersetzen könnte. Das käme gerade zur rechten Zeit, zumal die Europäische Union die Verwendung toxischer Lösungsmittel wie DMF vor dem Hintergrund der REACH-Verordnung zum Schutz von Umwelt und Gesundheit reduzieren will. 

    «Wir konnten nicht nur beweisen, dass DMF überflüssig ist. Es gibt noch viele weitere Vorteile. Wir sparen zum Beispiel Wasser», so Gallou weiter. «Der Clou ist, dass wir es in der Regel mit äusserst günstigen Bedingungen zu tun haben, sodass wir bei niedrigeren Reaktionstemperaturen arbeiten können und Energie sparen. Das führt zu weniger Zersetzung und weniger Abfall. Hinzu kommt, dass dieser neue Prozess keine zusätzlichen Investitionen erfordert und im Normalfall 20 bis 30 Prozent weniger kostet als Standardverfahren.»

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    Sind alle Aspekte des Verfahrens auf Herz und Nieren geprüft, wird es auf eine Produktionsumgebung übertragen und von Nikola Kovacic erneut sorgfältig analysiert und überwacht. In der industriellen Produktionsumgebung kann er wichtige Erfahrungen für eine spätere Implementierung sammeln.

    Neue Norm

    Seit der Gründung des Green-Chemistry-Teams hat die Gruppe mehrere Dutzend Verbindungen erforscht. Einige davon sind nun in der späten Entwicklungsphase, werden aber noch nicht kommerziell hergestellt.

    «Es wird noch einige Jahre dauern, bis unsere neuen Prozesse in bestehende industrielle Praktiken einfliessen», räumt Gallou ein. «Allerdings konnten wir zeigen, dass uns dieses Konzept eines Tages helfen könnte, die Chemie umweltverträglicher zu machen. Natürlich werden wir auf kurze Sicht nicht alle fossilen Lösungsmittel über Bord werfen können. Aber unser Wissen und unsere Möglichkeiten werden breiter. Der Weg ist lang, aber die Mühen werden sich auszahlen.»

    Unterdessen ist Lipshutz, der weiter intensiv auf dem Gebiet der wasserbasierten Chemie forscht, der Auffassung, dass sein Ansatz zur Norm wird, weil sein Verfahren, das von der Natur über Millionen von Jahren erprobt wurde, sauber und effizient ist. «Die erdölbasierte Chemie hat uns seit 200 Jahren fest im Griff», stellt Lipshutz klar. «Aber natürliche chemische Vorgänge laufen auch im Wasser ab – und das bereits seit mehreren Hundert Millionen Jahren. Was also hat mehr Zukunft?»

    Als ihn ein Kritiker einst bat, in einem Forschungsartikel die Kehrseiten der wasserbasierten Chemie darzulegen, schrieb er Folgendes: «Worin liegt das Problem beim Übergang zur wasserbasierten Chemie? Welches Problem? Man fragt doch auch nicht, was die Natur falsch macht, wenn sie chemische Reaktionen ablaufen lässt. Also überrascht es nicht, dass bis jetzt keine generellen Nachteile ersichtlich sind. Bis die wasserbasierte Chemie zum Standard wird, ist es also nur noch eine Frage der Zeit.»

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