Publiziert am 01/06/2020
Tomasz Palka, Production Director in der Warschauer Feststoffanlage, befand sich Anfang 2019 in einer absoluten Notlage: Ein wichtiges Maschinenteil der Verpackungslinie am Standort hatte den Dienst versagt. Das fehlerhafte Stück einfach zu reparieren, hätte laut Auskunft des Herstellers mindestens vier Wochen gedauert, wenn nicht sogar länger. Angesichts eines längeren Produktionsstillstands, hoher Kosten und der Gefahr, die starke Kundennachfrage nicht bedienen zu können, kam Tomasz Palka auf die Idee, das Teil durch ein 3-D-gedrucktes Objekt zu ersetzen.
Dieser Gedanke kam ihm übrigens nicht zufällig. Denn der 35-Jährige besitzt einen Masterabschluss in Mechatronik und hatte sich im Laufe seines Studiums auch mit 3-D-Druck und der Fertigung von Prototypen mittels 3-D-Druckverfahren befasst. Deshalb wusste er, dass ihm die neuesten Fortschritte in diesem Bereich helfen konnten, aus der Not eine Tugend zu machen.
«Als ich nach dem Ausfall des Maschinenteils mit dem 3-D-Druck-Anbieter gesprochen hatte, sah ich mir zum Vergleich ein traditionelles Angebot an. Die Entscheidung fiel mir leicht: Der 3-D-Druck war mit drei Tagen Vorlaufzeit und potenziellen Einsparungen von 70 Prozent verbunden», macht Palka deutlich.
Zukunftstechnologie 3-D-Druck
3-D-Druck gibt es seit vielen Jahren, und das Verfahren gilt als bahnbrechende Technologie. Dementsprechend hoffen die Investoren, dass sich dieser aufkommende Produktionsstandard in allen Branchen durchsetzen wird.
Die Vorteile sind erheblich. Denn diese Technologie ermöglicht es, Prototypen und massgeschneiderte Einzelteile anders als bei traditionellen Verfahren wesentlich kosteneffizienter und praktisch in Echtzeit zu produzieren.
Besonders offensichtlich ist dies bei der Werkzeugherstellung: Bislang werden Maschinenteile mithilfe der sogenannten rechnergestützten numerischen Steuerung (CNC) gefertigt. Bei diesem Verfahren wird Schicht für Schicht vom Rohling abgetragen, bis die gewünschte Form erreicht ist. 3-D-Druck dagegen ist ein Additivverfahren, in dessen Rahmen das Ausgangsmaterial – zumeist Kunststoff, Metall oder Verbundstoff – schichtweise zur gewünschten Form zusammengesetzt wird.
Noch einen Schritt weiter geht die neueste Technologie, die sogenannte Multi Jet Fusion. Weil dabei, statt schichtweise Material aufzutragen, ein einziges Teil aus Pulver produziert wird, entsteht ein homogenes Endergebnis. Das gedruckte Teil weist eine ähnliche Härte auf wie ein mit Injektionstechnik hergestelltes Stück.
Ein wesentlicher Vorteil des 3-D-Drucks besteht darin, dass die Produktionszeit statt mehrerer Wochen nur wenige Tage beträgt und die Kosten substanziell sinken. Und da es sich bei der Technologie um ein Additivverfahren handelt, gilt sie darüber hinaus als umweltfreundlich, weil so gut wie kein Müll anfällt – eine weitere gute Nachricht für die Branche.
Laut dem branchenführenden Wohlers Report wird sich der Markt für 3-D-Druck und -Prototyping bis 2024 nahezu verfünffachen, zumal die Nachfrage nach massgefertigten Werkzeugen und Prototypen rasch steigen dürfte. 2017 betrug das Marktvolumen rund 7 Milliarden US-Dollar.
So erwarten Analysten beispielsweise in der Medizin, dass Zahnimplantate und Hörgeräte wesentlich häufiger mit der neuen Technologie hergestellt werden.
Der nächste Schritt
Nachdem Palka und sein Team das defekte Maschinenteil erfolgreich mit einem 3-D-gedruckten Stück ersetzt hatten, gingen sie dieses Jahr noch einen Schritt voran: Sie begannen, auf der Verpackungslinie sogenannte Cobots einzusetzen. Das sind kollaborative Roboter, die «Hand in Hand» mit Menschen arbeiten.
Der Grundgedanke war, den Cobot die sogenannten Pockets (mit Thermofolie versiegelte Tablettenverpackungen) aufnehmen und sie dann in die für den Kunden bestimmte Pappschachtel stecken zu lassen. Die grösste Herausforderung bei der Konzeption des Cobots bestand darin, die passende Form für den Greifkopf zu finden, der die Pockets richtig herum in die Pappschachtel steckt. Dieser Prozess nahm mehrere Wochen in Anspruch. Bei den ersten Greifköpfen kam es gelegentlich zu Kollisionen, wenn die Pockets in die Schachtel geschoben wurden. Hierdurch wurde das Produkt beschädigt.
Ebenfalls schwierig war die Wahl der richtigen 3-D-Drucktechnologie. «Wir entschieden uns dafür, den Greifkopf nach der neuesten Machart zu fertigen, dass heisst per Multi-Jet-Fusion-Verfahren. Damit lassen sich die Teile mit dem von uns gewünschten Härtegrad herstellen, und auch die Überarbeitung des Prototyps geht wesentlich schneller. Mit der neuen Technologie sind die Teile dicht, robust, detailliert ausgearbeitet und formgenau», so Palka weiter.
Nach ersten Tests fanden Tomasz Palka und sein Team eine tragfähige Lösung, die ihren Erwartungen gerecht wurde. «Wir haben nun eine Lösung für den Greifkopf und den Cobot-Arm und warten auf die behördliche Sicherheitszertifizierung der Linie.»
3-D-Druck macht’s möglich!
«Heutzutage lässt sich beinahe jedes Teil im 3-D-Druckverfahren herstellen. Die von uns bis dato mit diesem Verfahren ersetzten Teile haben sich sehr gut bewährt – in bestimmten Bereichen sogar besser als die Originalteile», erläutert Palka. Und er fügt hinzu: «Wir versuchen nun, so viele Teile wie möglich durch ihre 3-D-gedruckten Pendants zu ersetzen.»
Der Ausfall der Verpackungslinie und die rasche Abhilfe sowie die schnellen Fortschritte mit dem Cobot betrachtet Palka als eine Art Proof-of-Concept dafür, dass 3-D-Druck bei NTO künftig einen echten Unterschied bewirken und die Division effizienter und innovationsorientierter machen kann.
«Solche Produkte machen uns zukunftsfähig», freut sich Palka. Und er ergänzt: «Die Technologien werden sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Wir – das heisst die gesamte Belegschaft einschliesslich Fachkräften und Bedienpersonal – müssen dabei so früh wie möglich eingebundenwerden.»
Sinneswandel
Die Bemühungen Tomasz Palkas beschränken sich gleichwohl nicht auf die technische Seite. Tatsächlich geht es ihm darum, die Menschen für die Innovation zu begeistern und eine Kultur aufzubauen, die es Mitarbeitenden ermöglicht, neue Ansätze zu testen und damit ihre eigene Entwicklung zu fördern.
Hierzu rief er das sogenannte Innovation Friday Meeting ins Leben. Die Teammitglieder haben dabei die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge vorzubringen, die sich in der Produktion umsetzen lassen. Anregungen finden Palka und seine Kollegen auf YouTube, bei Konferenzen oder auf anderen Plattformen.
Eine der jüngsten Ideen geht auf einen innovativen Produktionsprozess in einem BMW-Motorradwerk zurück. Eine Folge der freitäglichen Meetings war, dass das Warschauer Werk seine interne Logistik durch die Vergrösserung des Produktionsbereichs neu organisierte.
Fit für die Zukunft
«Ich möchte nicht auf neue Vorschriften warten, sondern der Entwicklung lieber vorgreifen», stellt Tomasz Palka klar. Er ist denn auch davon überzeugt, dass die wichtigsten Lieferanten, mit denen sie in Warschau zusammenarbeiten, ihre Technologie verbessern und künftig wesentlich günstiger produzieren müssen. «Wenn sie mit uns zusammenarbeiten möchten, müssen sie ihre Arbeitsweise ändern und sich für die Zukunft rüsten. Die Additivtechnologie steckt noch in den Kinderschuhen, aber sie birgt gewaltige Chancen.»
Laut zahlreichen Experten wird an 3-D-Druckverfahren künftig kein Weg mehr vorbeiführen. Die Technologie wird sich weiterentwickeln und die Herstellungsverfahren vollständig modernisieren.
«In Zukunft wird es mehr und mehr Industrie- und Konsumgüter geben, die sich dank 3-D-Druckverfahren einfacher, schneller und günstiger herstellen lassen», hält Tomasz Palka abschliessend fest.