In vino veritas
Kriegsschauplatz
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Auf zum Schloss

Vom einstigen Naturidyll im Klybeck, das früher «Bi Kluben im Grien» genannt wurde, ist nicht mehr viel zu sehen. Doch Strassennamen verraten, wie es hier früher ausgesehen haben könnte und was sich in den vergangenen 500 Jahren ereignet hat. Dank dem Grabmacherjoggi lebt diese Geschichte wieder auf.

Text von Maren Potgeter, Illustration von Cyril Gfeller

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Die Wiesemündung, Stich von Matthäus Merian.

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Publiziert am 29/06/2021

Wenn man etwas über die Geschichte der Stadt am Rheinknie wissen möchte, ist ein Spaziergang mit Roger-Jean Rebmann schon beinahe ein Muss. Internet und Bücher kann man getrost beiseitelegen. Denn dieses Basler Original ist nicht nur bestens über die offizielle Geschichte der Stadt  informiert. Der Grabmacherjoggi, wie ihn die Leute hier nennen, ist mit Geheimnissen vertraut, die selbst für viele Alteingesessene überraschend sind.

Rebmann erzählt nicht nur lebendig vom Treiben der Altvorderen. Er wirft sich gerne auch in Schale und zieht für seine Spaziergänge immer wieder eine passende Tracht oder Uniform an, um seinen Gästen – mitunter als Nachtwächter oder als Soldat verkleidet – über Bischöfe, Henker oder Dirnen aus dem alten Basel zu berichten.

Um die lange vorindustrielle Geschichte des Klybeck zu ergründen, haben auch wir den Stadtführer aufgesucht und wollen uns mit ihm auf eine Zeitreise begeben. Wir  treffen ihn am Münsterplatz, wo es im Sommer vor Touristen nur so wimmelt. Auch  Rebmann trägt – ganz unauffällig – Jeans und T-Shirt. Doch seine Worte ziehen uns bald in ihren Bann, und wir fühlen uns  plötzlich ins frühe 15. Jahrhundert versetzt, als Basel noch vollständig von Stadtmauern umgeben war.

Damals war der Platz vor dem imposanten, rot schimmernden Münster das Zentrum des öffentlichen Lebens: Hier wurden feierliche Prozessionen, Feste, Turniere sowie Märkte abgehalten, erklärt Rebmann. Es muss ein geschäftiges Treiben gewesen sein. Edelleute, Geistliche, Bauern, Arbeiter, Schausteller – ein kunterbuntes Völkchen tummelte sich hier, um zu handeln, zu  streiten, sich zu vergnügen und, natürlich, zu beten.

Vom Münsterplatz begeben wir uns langsam hinunter zum Rhein und überqueren die Mittlere Brücke, die älteste Brücke Basels, die früher nicht viel mehr als ein Holzsteg war. Wir laufen an der etwas erschöpft dreinblickenden bronzenen Helvetia vorbei ins Quartier Kleinbasel und gehen ein Stück am Fluss entlang bis zur Kaserne, die ihren militärischen Look längst abgelegt hat und heute ein Bollwerk der alternativen Szene ist. Dann verlassen wir das Rheinufer und biegen entlang der Kaserne scharf rechts ab, bis wir die Klybeckstrasse erreichen.

Wasserschlösschen

Wo heute der Boxclub Basel und das Hotel Basilisk stehen, verlief im 15. Jahrhundert die Stadtmauer. Dahinter ging es vergleichsweise ruhig zu: Das einzige Gebäude, das sich zu jener Zeit an diesem Ort befand, war ein Wasserschlösschen, das später im Volksmund als Klybeckschlösschen bekannt war.

Vor dem Haus Klybeckstrasse 248 bleiben wir einen Augenblick stehen: Genau hier, wo man heute einen Mehrfamilienblock findet, stand über 550 Jahre lang das Schlösschen. Vermutlich 1402 erbaut, wich es Mitte des 20. Jahrhunderts einem Arbeiterquartier. Lediglich die nahgelegene Schlossgasse erinnert noch an die alten Zeiten, als das Gebäude, das auf alten Zeichnungen und Stichen eher wie eine trutzige Burg aussieht, die Landschaft regierte.

Trotzdem verdankt das Quartier dem Klybeckschlösschen seinen Namen, wie Rebmann weiss: «Der Name Klybeck, der kommt aus dem Mittelalter, denn zu der Gegend dort hat man damals gesagt ‹bei den Kluben› oder ‹in den Kluben›. Das ‹Eck› ist dann im 15. Jahrhundert dazugekommen. Zu dieser Zeit wurde nämlich das Wasserschloss zum ersten Mal erwähnt, und das hat man Kluben-Eck genannt – also Klybeck.»

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Emmanuel Buechel - Lage  Kluebin von 1751.

In vino ve­ri­tas

Woher der Ausdruck «bei den Kluben» stammt, lässt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen. Die wahrscheinlichste Begründung, so Rebmann, ist, dass der Name auf einen ehemaligen Landbesitzer zurückgeht.

Beim Klybeckschlösschen wurde damals vor allem Acker- und Weinbau betrieben: «Also hier im Klybeck hat man im  Mittelalter, als noch alles unbebaut war und das Klybeckschlösschen alleine stand, viel Landwirtschaft betrieben. Nach Kleinhüningen raus gab es Fischer, die Felder wurden von den Bauern bearbeitet, und es gab sogar ein bisschen Rebbau. Aber Sie müssen bedenken, dass man damals noch bescheidener gewesen ist, was den Anspruch an Gekeltertes betrifft. Heutzutage dürfte man so etwas nicht mehr ausschenken – aber damals hat man es tatsächlich getrunken.»

Der Name Klybeck, so fanden wir später heraus, könnte auch auf die alte Weinbautradition zurückgehen. Kluben bedeutet im Mittelhochdeutschen so viel wie «aufspalten», und ein altes Schweizer Sprichwort besagt, «Früh kluben gibt schöne Truben», also Trauben und Wein.

Spanferkelschmaus

Im Mittelalter führte die Landstrasse von Basel nach Kleinhüningen durch das  Klybeck. Das Fischerdörfchen Kleinhüningen gehörte bis 1640 zur Markgrafschaft Baden-Durlach, so dass das Klybeck bis zur Wiese – einer der drei Stadtflüsse neben dem Rhein und der Birs – den äussersten Rand des Basler Territoriums darstellte.

Diese Lage, hart an der Peripherie, prägte die Geschichte des später entstehenden Quartiers. Die Abgeschiedenheit brachte aber auch Nachteile mit sich, wie Roger-Jean Rebmann aus alten Aufzeichnungen in Erfahrung gebracht hat: «Weit draussen ist ja das Klybeckschlösschen  gewesen, sehr abgelegen von der Stadt, und das war auch der Grund, warum es 1445 von einem österreichischen Reitertrupp überfallen wurde. Der hat geplündert und gebrandschatzt – das machte man eben an einem Ort, der ein bisschen weiter weg war und wo weniger Widerstand zu erwarten war.»

Bis zu seinem Abriss 1955 hat das Klybeckschlösschen vieles miterlebt: Von einem grossen Rechtsstreit zwischen dem Kloster St. Blasien und der Äbtissin von Säckingen, über den skandalträchtigen Schlossherrn Simon von Aug, der 1513 gegen den Willen der katholischen Kirche zu Palmsonntag ein Spanferkelessen auf dem Schloss veranstaltete, bis hin zu seiner Verwandlung in eine soziale Einrichtung in den 1920er-Jahren durch den Arzt Eduard Koechlin.

An diesem Punkt, erklärt Roger-Jean Rebmann, kreuzt sich die Geschichte der Chemieindustrie und ihrer Arbeiter mit der des Klybeckschlösschens: «Zur Schlussphase des Klybeckschlösschens zählt auch die Ulme – eine gemeinnützige Institution, die der Arzt Eduard Koechlin ins Leben gerufen hat. Er hat im Arbeiterquartier, das rund um das Schlösschen entstanden war, die Ängste, Nöte und Leiden der Arbeiterschicht erkannt und sich der Leute auch angenommen. In der Ulme konnte man in Kursen Handarbeiten, Kochen, Krankenpflege und andere Sachen lernen.»

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Cosmographia Basel, 1544

Kriegs­schau­platz

Nach einem langen Aufenthalt unweit des ehemaligen Schlösschens geht es weiter in Richtung Wiesenschanzenweg, vorbei am heutigen Novartis-Personalrestaurant und den noch erhaltenen roten Backsteingebäuden der Färbereien aus dem Jahr 1950 entlang. Unterwegs erzählt Roger-Jean Rebmann von einem bedeutenden Jahr des Wandels für das Klybeck: «Fürs Klybeck besonders interessant war das Jahr 1640, denn damals kam Kleinhüningen dazu, und plötzlich befand sich das Klybeck nicht mehr ganz am äussersten Rand der Stadt.»

Diese neue Situation stellte das Klybeck auch vor neue Herausforderungen – besonders während der Neuenburgerkrise um das Jahr 1856, als ein militärischer Konflikt zwischen der Eidgenossenschaft und Preussen auszubrechen drohte. Während Kleinhüningen aus kriegstaktischen Gründen lediglich als Vorposten dienen sollte, wurde das Klybeck aufgerüstet. So wurden zwei Schanzen für bis zu dreihundert Mann Besatzung beim Klybeckschlösschen und auf der Insel am alten Rhein angelegt und eine dritte dort, wo heute der Wiesenschanzenweg auf die Mauerstrasse stösst.

«Das Klybeck hätte zu einem Schlachtfeld werden können, wenn sich die Krise nicht auf diplomatischem Weg hätte lösen lassen. Mit den drei Schanzen verbunden gab es ja auch Staudämme an der Wiese, mit denen man das Klybeck einfach überflutet hätte, um dem Gegner den Zugang zu verunmöglichen.» Ob der Aufbau der ersten Seidenfärberei in einem derart verwüsteten Gebiet wenige Jahre später möglich gewesen wäre, ist fraglich, so Rebmann.

Die Industrie zieht ein

Mit diesen Eindrücken biegen wir in die Gottesackerstrasse ab und erreichen in wenigen Schritten den nahe gelegenen, 1889 ursprünglich als Friedhof angelegten Horburgpark. Heute erinnert neben dem Strassennamen noch ein Teil der alten Friedhofsmauer an die ursprüngliche Zweckbestimmung.

Dass sowohl der alte Friedhof als auch die Chemieindustrie im Klybeck eine Heimstatt fanden, war kein Zufall. Denn die Basler wollten weder den Friedhof noch die Färbereien innerhalb der alten Stadtgrenzen haben. So kam es, dass sich Alexander Clavel 1864 mit seiner Färberei im Klybeck niederliess, als man ihn aus Kleinbasel vertrieb, wo er als Färber angefangen hatte. «Alexander Clavel aus Lyon war ein Färber, der nach Basel kam und von einem verstorbenen Freund gleichermassen die Färberei und die Witwe übernahm. So konnte er sich schnell in Kleinbasel etablieren mit einer Färberei, die später noch eine grosse Zukunft haben sollte. Vor der grossen Zukunft lagen aber noch ein paar Probleme: Zum Beispiel wollte Kleinbasel die Färbereien mit ihren Emissionen loswerden, woraufhin  Clavel in den 1860er-Jahren die Stadt verlassen und sein Glück ausserhalb suchen musste. Das Glück fand er dann im Klybeck, wo er günstig Land erwerben konnte. Dort richtete er seine Färberei und seine chemische Fabrik ein, und die ist dann später zur bekannten Ciba geworden.» 

Als im 20. Jahrhundert die Ciba ihr Geschäft immer weiter ausbaute, war das Klybeck rund um den wachsenden Firmenkomplex zu einem dicht besiedelten Arbeiterquartier geworden. Der alte Rhein beim Klybeckschlösschen wurde 1895 aufgefüllt. Das Quartier bekam Anschluss ans Basler Bus- und Tramsystem, und es entstanden Eisenbahnverbindungen und Hafenanlagen. Aus der ehemals idyllischen Landschaft ausserhalb der Stadtmauern war ein  Stadtteil geworden, dessen industrieller Charakter über Jahrzehnte Bestand haben sollte.

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