Vergangenheit und Zukunft verbinden
Venedig in Basel
Professionelle Stadtentwickler
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Bauen für morgen

Bevor überhaupt die ersten Bagger im Klybeck auffuhren und das Quartier für immer veränderten, trafen sich 2016 bereits vier renommierte Architekten, um einen ersten Testplan für das Gelände zu entwerfen. Und auch die Nachbarschaft kam zusammen, um an der Zukunft zu bauen.

Text von Goran Mijuk, Fotos von Adriano  A.  Biondo,  lllustration von Cyril Gfeller

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Publiziert am 11/10/2021

Als ein Grossteil der Chemiefachleute im Sommer 2017 das Klybeck verlassen hatten, wurde in der Öffentlichkeit bereits intensiv über die Zukunft des neu zu gestaltenden Stadtteils nachgedacht. Unter anderem waren vier international renommierte Architekturbüros seit 2016 im Rahmen einer vom Kanton Basel-Stadt sowie von Novartis und BASF angeregten Testplanung dabei, Ideen zu entwickeln, wie das Klybeck später einmal aussehen und an die Stadt angeschlossen werden könnte. Keine leichte Aufgabe. Denn seit sich die Chemie- und Pharmaindustrie hier angesiedelt hatte, schob sich das Quartier wie ein Keil in die städtische Topographie und war für viele Basler ein ungeliebter Fremdkörper. Industriezone eben.

Eine gigantische Chance

Doch die kreativen Köpfe schreckten vor der Aufgabe nicht zurück. Der deutsche Architekt Hans Kollhoff, der unter anderem den Masterplan für den Berliner Alexanderplatz entworfen hat, wollte die historische Gelegenheit nicht verstreichen lassen. «Es ist eine gigantische Chance, als Stadt mit zwei Eigentümern in Verhandlung zu treten und einen Plan ins Auge zu fassen – nicht für die nächsten Jahre, sondern für die nächsten Jahrhunderte. Hier kann etwas entstehen, was tatsächlich diese wunderbare Stadt Basel in eine neue Dimension hineindenkt. Dreiländereck, Kunststadt, Weltstadt der Kunst. Da liegt die Latte ganz hoch.»  

Für das Klybeck entwarf Kollhoff ein Konzept, in dem der heute etwas trostlos wirkende Horburgpark eine vitale Rolle übernimmt. Der mit einladenden Alleen bestückte Park soll nach seinen Vorstellungen in Zukunft an einen grossen, von Hochhäusern gesäumten Platz anschliessen, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft ein neuer Bootshafen liegen sollte. Schon von Weitem sollte das Klybeck dadurch wahrgenommen und seine Kraft in den Rest der Stadt und vielleicht sogar in die weite Welt ausstrahlen, so die Hoffnung.  

Das Rotterdamer Team des Office for Metropolitan Architecture um die Architektin Ellen van Loon entwarf die Idee einer Kulturmeile – einer breiten Strasse, die quer durchs Quartier führt und als Brücke bis in die Mitte des Rheins ausläuft. Die Kulturmeile, die in van Loons Plänen immer goldfarben schimmert, würde dem Quartier eine klare Prägung geben und es mit den umliegenden Stadtteilen verbinden.   

Am Flüsschen Wiese würden nach ihrer Vorstellung in quasi unberührter Natur kleine Einfamilienhäuser stehen, während sich im Zentrum des Quartiers und entlang der Kulturmeile neue und alte Gebäude abwechseln würden, so dass das Klybeck auch in Zukunft noch als ehemaliges Industriequartier erkennbar wäre.

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Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft ver­bin­den

Gerade die Verbindung mit der Vergangenheit wollte von Loon in ihrem Stadtentwurf herausarbeiten: «Früher war es oft so, dass bei Stadtneuentwicklungen die Geschichte einfach zerstört wurde. Für Basel ist es, denke ich, wichtig, dass die Geschichte als Industrie- und Hafenstadt erhalten bleibt, so dass man in der Stadt eine Gliederung der Zeit spürt.» Angetan haben es ihr – wie auch den meisten anderen Architekten und Besuchern des Klybeckareals – vor allem die industriellen Sichtbacksteinbauten, die heute zum Inventar schützenswerter Gebäude der Stadt Basel gehören.   

Die in der Nähe der Wiese nach dem Zweiten Weltkrieg vom Architekturbüro Suter + Suter erstellten Fabrikgebäude überzeugen gerade heute, wo sie im Verfall begriffen sind und das Rot ihrer Fassade eine wohlige Vertrautheit verströmt. Die symmetrische Strenge der Gebäude, die grossflächigen Fenster und ihr ausgekerntes Innenleben laden die Phantasie ein, hier Neues und Altes ineinanderfliessen zu lassen. Dem Betrachter fällt unweigerlich auch die Londoner Tate Modern ein, wo Jacques Herzog und Pierre de Meuron einen der modernen Kunst gewidmeten Tempel erbaut haben, indem sie ein altes Industriegebäude aushöhlten und ihm so zu einer nie gekannten Grazie verhalfen. Dieser «industrial chic» hat die Welt im Sturm erobert. Ob die Backsteingebäude auf dem Klybeck in Zukunft eine ähnliche Strahlkraft entwickeln werden, wird sich weisen.

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Ve­ne­dig in Ba­sel

Denn viele Fragen sind zu klären, wie Beat Aeberhard, Leiter Städtebau und Architektur im Basler Bau- und Verkehrsdepartement, während der Testplanung einwarf: «Natürlich sind wir jetzt auf einer sehr hohen Flughöhe. Das ist der Sache geschuldet. Wir bauen ein neues Stadtquartier mitten im bebauten Raum mit den unterschiedlichsten Anforderungen an Verkehr und Ökologie sowie dem Thema der Altlasten, die eine ganz wichtige und in vielen Bereichen bestimmende Kondition haben werden. Aber es gibt auch viele andere Fragen zu bedenken, darunter die Wirtschaftsflächen, Lärmempfindlichkeiten und den Umgang mit dem Inventar – verfährt man da am besten?»

Trotz dieser offenen Fragen liess es sich die Basler Bevölkerung nicht nehmen, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. Anwohner und Interessierte entwickelten zusammen mit dem Verein Zukunft Klybeck im Rahmen eines Workshops mit über 200 Beteiligten neue Ideen und brachten diese im Rahmen der Bevölkerungsbeteiligung auch in die offizielle Testplanung ein. Dabei sprudelte es nur so von Einfällen. Neben Urban-Gardening-Projekten und dem Entwurf einer wirtschaftlichen Allmend und verschiedener Strassenküchen konzentrierte sich eine ungewöhnliche Idee darauf, Orte im Quartier entstehen zu lassen, die versteckt sind und so dem Quartier etwas Mystisches geben sollen. Diese Orte, so die Ideengeber, würden ein Gegengewicht zu modernen Stadtumgebungen bilden, in denen alles klar beschildert, gegliedert und auf den ersten Blick einsehbar ist. Ein anderer, noch waghalsigerer Entwurf sieht vor, das Flüsschen Wiese zu stauen, um ein Kanalsystem durch das Areal zu legen und so etwas wie ein kleines Venedig entstehen zu lassen. 

Humbug? Verrückt? Keineswegs. Denn die Bevölkerung wollte von Anfang an eigene Vorschläge in die öffentliche Diskussion einbringen, so Christoph Mörikofer vom Verein Zukunft Klybeck. «Die im Workshop entwickelten Projekte sind ein Signal, dass die Bevölkerung sich als ein massgeblicher Teil des Planungsprozesses versteht. Wir sind nicht Laien, sondern wir verstehen uns als Experten – als Experten des Alltags.»

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Im Vordergrund: Rita Illien, Landschaftsarchitektin aus Zürich, und Jacques Herzog vom Basler Architekturbüro Herzog & Demeuron diskutieren die Bebauungspläne (2017)

Pro­fes­sio­nel­le Stadt­ent­wick­ler

Der persönliche und vom Alltag geschulte Zugang zum Klybeck war auch dem Basler Architekten Roger Diener sehr wichtig, als er und sein Team sich im Rahmen der Testplanung an die Neugestaltung des Quartiers wagten: «Ich war bis vor fünf Jahren auf dem Ackermätteli Fussball spielen. Ich habe das Klybeck vor allem in der Stille eines Sonntagmorgens erlebt und ging dort in der Nähe auch zu Abstimmungen und Wahlen. Für mich war das immer ein lebendiger Stadtteil.» In Dieners Vision soll der zentrale Klybeckplatz – dort, wo über lange Jahre das Personalrestaurant von Novartis und ihrer Vorgängergesellschaften stand – ein pulsierendes Herz bilden, aus dem heraus sich neue Dinge entwickeln. Künftig sollen dort zwei Tram- und eine S-Bahn-Linie für die Anbindung des Quartiers an den Rest der Stadt sorgen und den Keilcharakter des Quartiers ein für alle Mal aufbrechen.   

Das Architekturteam AS+P von Albert Speer sieht ebenfalls viel Potenzial im Klybeck und möchte die ehemals verbotene Stadt stärker in die urbane Landschaft einbinden, indem man den Horburgpark aufwertet und die Wiese stärker in die Stadt einbezieht. Doch Albert Speer, der im September 2017 83-jährig verstarb, wusste um die Schwierigkeit solcher Projekte, hatte der Stadtplaner doch in seiner langen Karriere ganze Städte in China, Saudi-Arabien und Nepal konzipiert und deren Gestaltung umgesetzt: «Wir versuchen hier, etwas zu machen, das eine höchstmögliche Mischung von Funktionen und Qualitäten hat. Das ist ein langfristiger Prozess, der akzeptiert werden muss. Da kann man auch ganz schön danebenliegen», gab Speer zu bedenken.

Noch etwas konventionell

Für Dieter Bäumle, einen Anwohner des Klybeckquartiers, ist viel Wahres an Speers Aussage. Für ihn waren die frühen Architektenentwürfe allesamt etwas trocken: «Mich hat es erstaunt, wie konventionell das daherkommt. Es ist mir zu wenig innovativ, zu wenig mutig.» Nicht jeder teilt diese Einschätzung, zumal auch noch kein klarer Masterplan besteht. Doch eingedenk der zahlreichen Unwägbarkeiten wünschen sich viele, dass das Klybeck auch zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern Raum für Neues lässt. Die Architekturstudentin Katrin Bhend drückt es so aus: «Ich glaube, es ist auch wichtig, dass das Klybeck flexibel bleibt. Es kann sich so vieles verändern. Und wenn es mal gebaut ist, sollten auch die Menschen, die dann hier leben, die Möglichkeit haben, das Quartier selbst zu gestalten.»

Wie das Klybeck in Zukunft aussehen soll, weiss heute niemand so recht. Die Planung wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen, bis die Bagger eines Tages auffahren, um hier der Zukunft eine Heimstatt zu geben. Auch Jacques Herzog, der im Rahmen der Testplanung als Experte die Projektvorschläge diskutierte, bleibt offen. Ein ideales Stadtbild gibt es auch für den Architekturstar nicht: «Ich glaube nicht, dass es eine Stadtform des 21. Jahrhunderts gibt. Es gibt verschiedene Stadtformen. Das Klybeck ist aber eine grosse Chance, einen neuen Teil der Stadt zu erobern.»

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