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«Um die heutigen wissenschaftlichen und technologischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, wird es in Zukunft auf eine beschleunigte Kooperation ankommen.» Novartis CEO Vas Narasimhan

Publiziert am 14/09/2022

Als ich vor mehr als zwanzig Jahren als Arzt und Wissenschafter ins Berufsleben einstieg, hatte die Medizin bereits enorme Fortschritte gemacht. Durchbrüche bei Krebs, Herzleiden und entzündlichen Erkrankungen halfen Millionen von Menschen, besser und länger zu leben. Aber das war erst der Anfang. Technologische Fortschritte und vermehrte Kooperationen sollten bald neue Möglichkeiten eröffnen.

Noch während meines Studiums, ein paar Jahre vor meinem Einstieg bei Novartis, gelang der Wissenschaft die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Die ersten biologischen Arzneimittel wurden entwickelt und eröffneten der modernen Medizin, die sich mehr als ein Jahrhundert lang fast ausschliesslich auf chemische Wirkstoffe verlassen hatte, neue therapeutische Möglichkeiten.

In den folgenden Jahren schritt die Wissenschaft so rasant voran, wie man es zu Beginn meiner Karriere kaum für möglich gehalten hätte. Der Aufstieg der Genetik, der stringente Ansatz der chemischen Biologie, die Durchbrüche in der künstlichen Intelligenz und die schnellen Verbesserungen bei den bildgebenden Verfahren ermöglichten es den Forschenden, die Biologie des Menschen zu erkunden, indem sie Proteine und Zellstrukturen in atomarer Auflösung untersuchten.

Auf das Innere der Zelle einwirken

In den Anfangstagen unserer Branche waren Medikamente grundsätzlich unspezifisch. Manche gelangten in die Zelle, andere blieben draussen. Heute sind wir in der Lage, auf die Mechanismen im Inneren der Zelle einzuwirken. Zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin können wir das gesamte Kontinuum der Zellmechanismen beeinflussen, also im Grunde in den Quellcode der menschlichen Zelle eingreifen.

Allein in den letzten Jahren wurden verschiedene neuartige Therapien – eine neue Generation von Arzneimitteln – zugelassen, die jetzt zu den Patientinnen und Patienten gelangen. Dazu gehören RNA-Therapien und Impfstoffe sowie Zell-, Gen- und Radioligandentherapien, mit denen wir Verfahren zur Bekämpfung von Krankheiten entwickeln können, die zu Beginn des Jahrtausends noch als unheilbar galten.

Nur 10 Prozent der Krankheiten heilbar

Doch trotz diesen grandiosen Fortschritten sind die Herausforderungen im Gesundheitswesen heute so gross wie eh und je, denn gegen die meisten Krankheiten lässt sich mit den bestehenden Behandlungsmöglichkeiten noch immer nichts ausrichten. Bisher können wir nicht einmal 10 Prozent der 7000 bis 8000 Krankheiten, die beim Menschen bekannt sind, nennenswert beeinflussen.

Um die heutigen wissenschaftlichen und technologischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, wird es in Zukunft auf eine beschleunigte Kooperation ankommen. Dies, weil sich die Wissenschaft immer stärker spezialisiert und Innovationen oft an der Schnittstelle verschiedener Forschungsgebiete wie Biologie und Informatik entstehen.

Was durch Kooperation möglich ist, hat sich gerade in der Corona-Krise gezeigt. Entscheidend dafür, dass in Rekordzeit innovative Impfstoffe und Medikamente entwickelt werden konnten, die schliesslich zur Eindämmung der Pandemie beitrugen, war die Zusammenarbeit zwischen den vielen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren in der weltweiten Wissenschaftscommunity. Dazu zählt auch die hervorragende Kooperation zwischen den Unternehmen unserer Branche.

Wertvolle externe Partner

Für Novartis als wissenschaftsbasiertes Unternehmen, das jedes Jahr rund 9 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung ausgibt – und dabei mit den meisten anderen Unternehmen innerhalb und ausserhalb der Branche konkurrenziert –, ist Kooperation ein wichtiges Element bei sämtlichen Innovationsbestrebungen. Dazu gehört auch die externe Zusammenarbeit mit anderen Pharmaunternehmen und mit Universitäten sowie mit einer wachsenden Zahl von Anspruchsgruppen wie Patientenorganisationen und NGO.

Ohne externe Partner, die führende Köpfe aus der Welt der Wissenschaft zusammenbringen, wären unsere eigenen Durchbrüche in Bereichen wie der Gentherapie oder der Nuklearmedizin gar nicht möglich gewesen. Und auch bei der Weiterentwicklung dieser neuen Technologien werden wir diesen Weg der Kooperation weitergehen.

Ganz besonders gilt das für die Schweiz, die ihren wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg ihrer Fähigkeit zur Vernetzung und Zusammenarbeit mit der übrigen Welt verdankt.

Über 300 Forschungspartnerschaften

Wir unterhalten weltweit mehr als 300 Forschungspartnerschaften, aber die Schweiz ist einer unserer wichtigsten Forschungsstandorte. Hier haben die Kooperationen mit unseren Partnerunternehmen in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Rahmen dieser Bemühungen haben wir 2019 unseren Campus in Basel für externe Unternehmen geöffnet, um die lokale Forschungslandschaft zu stärken und die Zusammenarbeit mit hoch spezialisierten Startups zu intensivieren. Schon mehr als zwanzig Unternehmen haben sich hier bei uns in Basel angesiedelt – und es werden immer mehr.

Zudem haben wir bestehende Partnerschaften mit akademischen Akteuren wie dem Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research ausgebaut und sind Gründungsmitglied des Institute of Molecular and Clinical Ophthalmology Basel. Darüber hinaus haben wir unsere Partnerschaft mit dem Paul Scherrer Institut intensiviert, um unsere Forschung in der Nuklearmedizin voranzutreiben.

Bei Horizon Europe aussen vor

Obwohl die Schweizer Forschungslandschaft aufgrund der steigenden geopolitischen Spannungen zunehmend unter Druck steht und die akademischen Zentren des Landes keinen vollen Zugang zum EU-Forschungsprogramm Horizon Europe mehr haben, werden Kooperationen ihren hohen Stellenwert für die Wissenschaft und die Wirtschaft in der Schweiz behalten.

Zürich, Lausanne und Basel mit ihren engmaschigen Forschungsnetzwerken aus Universitäten, privaten Forschungsinstituten, einer lebendigen Startup-Szene und führenden Pharmaunternehmen wie Novartis und Roche gehören nach wie vor zu den weltweit innovativsten Forschungsstandorten. Auch wenn es wichtig ist, dass die Schweiz bald wieder an Horizon Europe teilnehmen kann, werden sich ihre Forschungszentren darum bemühen müssen, ihre Netzwerke ausserhalb Europas auszuweiten.

Öffentlich-private Partnerschaften

Angesichts des grossen Pools von weltweit mehr als 8 Millionen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern sind die Beteiligung an solchen Forschungsnetzwerken und deren Pflege für kleine wie auch für grosse Forschungsorganisationen zentral. Um dieses riesige Wissensreservoir anzuzapfen, ist Novartis beispielsweise Mitglied der Innovative Health Initiative (IHI), einer öffentlich privaten Partnerschaft, die die Pharmaindustrie mit Universitäten, Forschungszentren, Patientenorganisationen und Aufsichtsbehörden zusammenbringt.

Die IHI bündelt nicht nur das dringend benötigte Fachwissen aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen, sondern bezieht auch andere Anspruchsgruppen mit ein.

Diese Idee, Fachleute aus verschiedenen Gebieten zusammenzubringen, ist ein Element, das immer wichtiger wird, um ganzheitlichere Lösungen im Bereich der Medizin und der Technologie zu entwickeln.

Bereit sein zur Zusammenarbeit

Der Gedanke, das Spektrum der beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu erweitern, setzt sich immer mehr durch. Die Technologie wird sich künftig noch schneller weiterentwickeln. Doch unsere Fähigkeit, sie zu nutzen, wird von unserer Bereitschaft abhängen, mit anderen zusammenzuarbeiten. Mit solchen Kooperationen wird es uns gelingen, die wirksamsten und dauerhaftesten Therapien für bedürftige Patientinnen und Patienten zu entwickeln und die inspirierende Reise fortzusetzen, die wir in den letzten zwei Jahrzehnten mitverfolgen und mitgestalten konnten.

 

Das Op-Ed von Vas Narasimhan erschien erstmals am 1. September in der HandelsZeitung.

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