Antonio Risitano mit seinen Kollegen im klinischen Labor.
Publiziert am 23/10/2023
Die Stadt Avellino, eine Autostunde von Neapel entfernt, wurde im Lauf ihrer Geschichte immer wieder durch kriegerische Zerstörung, politische Umwälzungen und die todbringenden Ausbrüche des nahe gelegenen Vesuvs erschüttert. Doch die Stadt erhob sich immer wieder aus der Asche, um noch schöner wiederaufzuerstehen.
Die jüngste Katastrophe traf die 60000 Einwohner zählende Stadt 1980, als ein Erdbeben einen grossen Teil von Avellino zerstörte. Dies löste einen Bauboom aus und brachte einen bis heute anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung mit sich.
Wie ein Symbol für diesen Kreislauf von Zerstörung und Wiedergeburt erstrahlt das Spital San Giuseppe Moscati triumphierend auf einem Hügel, der den Blick auf die majestätische Landschaft der süditalienischen Region Campagna mit ihren von Kastanien- und Haselnussbäumen grün strahlenden Bergen eröffnet.
Im Krankenhaus, das den Namen des ersten heiliggesprochenen Wissenschaftlers trägt, der für seine tiefgreifende Fürsorge für die Patienten bekannt war, treffen wir Antonio Risitano, mit dem wir schon seit einigen Monaten ein Gespräch führen wollten.
Risitano ist einer der wenigen Fachleute in Italien, die zugleich als Arzt und Wissenschaftler tätig sind. Neben seiner Tätigkeit als Klinikarzt im Spital San Giuseppe Moscati leitet er in dessen Hämatologieabteilung ein Forschungslabor. Trotz seiner natürlichen Zurückhaltung und Schüchternheit ist er ein gefragter Referent mit einem vollen internationalen Terminkalender.
Frühe Inspiration
Als wir uns schliesslich die Hand geben, freuen wir uns, endlich persönlich mit ihm sprechen zu können. Ausserdem verbringen wir den Vormittag damit, sein Labor und die Krankenstation zu besichtigen. Dabei führt er uns auch durch einen fast 50 Jahre zurückreichenden Zeittunnel, entlang des langen und hindernisreichen Wegs seiner wissenschaftlichen und medizinischen Laufbahn.
«Es war mein Vater, der mich für die Wissenschaft und die Medizin begeistert hat», verrät uns Risitano beim Betreten seines Klinikbüros, dessen Schreibtisch mit Dokumenten übersät ist. An den Wänden hängen naturwissenschaftliche Poster und Fotos von Menschen, die ihn geprägt haben. «Mein Vater war ebenfalls Hämatologe, so wie ich heute.»
«Mit sechs oder sieben Jahren habe ich schon angefangen, das Mikroskop auszuprobieren und Zellen zu untersuchen, natürlich auf ganz spielerische Weise. Das weckte meine Liebe zu den Naturwissenschaften: Biologie, Chemie, Mathematik», erinnert sich Risitano und zeigt auf das Porträt seines Vaters.
Daneben hängt ein Porträt von Bruno Rotoli, seinem Lehrer und Kollegen, als Risitano in seiner wissenschaftlichen und medizinischen Laufbahn bereits weit vorangekommen war. «Bruno Rotoli war mein Mentor, als ich in Neapel arbeitete. Ihm verdanke ich mein tieferes Interesse für das Gebiet der Bluterkrankungen.»
Rotoli war es auch, der Risitanos Faszination für Labor und Klinik förderte. «Ich hatte grosses Glück, denn Bruno schlug mir zu Beginn meiner Karriere vor, an die National Institutes of Health (NIH) in Bethesda im US-Bundesstaat Maryland zu gehen, wo ich drei Jahre lang Grundlagenforschung betrieb und gleichzeitig als Arzt in der Klinik arbeitete», so Risitano.
Die Jahre, die er in Bethesda verbrachte, waren für Risitano prägend, denn damals kam er zum Schluss, dass es genau das war, was er in seiner weiteren beruflichen Laufbahn tun wollte. «Bei den NIH habe ich erkannt, dass es mein Lebensziel ist, so zu arbeiten. Ich wollte Arzt und Wissenschaftler sein und sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Praxis arbeiten.»
In Italien stiess sein Wunsch jedoch auf Widerstand. «Der Beruf des ärztlichen Wissenschaftlers ist in den USA häufiger anzutreffen, nicht jedoch in Europa und noch seltener in Italien. Doch als ich nach Italien zurückkehrte, blieb ich auf diesem Weg, auch wenn es nicht immer einfach war.»
Obwohl es in den USA mehr Mediziner gibt, die sowohl als Arzt in der Patientenversorgung als auch als Wissenschaftler tätig sind, bleibt ihre Zahl doch bescheiden. Man geht davon aus, dass nur etwa 2 Prozent aller Ärzte in den USA auch im Labor forschen. In Europa ist die Zahl deutlich geringer, was auch bedeutet, dass Aspekte wie Organisation und Finanzierung der Arbeit eine grössere Herausforderung darstellen.