Magische Anker
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Guide als bester Freund
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Wissenschaft
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Der Klang der Forschung

Die von iart entworfene Hülle des Novartis Pavillon ist ein Hightech-Schmuckstück. Aber auch im Obergeschoss des Gebäudes hat das Basler Medienunternehmen sein Können unter Beweis gestellt. Dort haben die Besucherinnen und Besucher Gelegenheit, in die Welt der Pharmazie einzutauchen – in einer bahnbrechenden Ausstellung, in der Audio eine herausragende Rolle spielt. Hinter dem immersiven Hörerlebnis steckt allerdings einige Arbeit.

Text von Michael Mildner und Goran Mijuk, Fotos von Adriano A. Biondo

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Steckverbindungen von den Kopfhörern zum Smartphone, das jeder Besucher für die Dauer seines Besuchs im Pavillon erhält und das die Erklärungen zur Ausstellung speichert.

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Publiziert am 20/06/2022

Nathan Ornick ist der Inbegriff eines digitalen Nomaden. Der gebürtige US-Amerikaner lebt derzeit abwechselnd in Basel und Amsterdam und arbeitet im Auftrag des Basler Medienunternehmens iart an der Entwicklung eines hochmodernen Audiosystems, einschliesslich massgeschneiderter Kopfhörer und eines Smartphone-Geräts, das die Klänge der Ausstellung «Wonders of Medicine» im Novartis Pavillon übertragen wird.

Im Laufe seiner abwechslungsreichen Karriere hat der 43-Jährige bereits Game­studios, Werbeagenturen, Künstler, Designer und Technologieunternehmen unterstützt. Bei seinem neuen Auftrag leitet er nun ein multidisziplinäres Team aus Entwicklern, Ingenieuren, Designern und Kreativköpfen, das sich um die Konzeption der Audioelemente kümmert. Ein äusserst wichtiges Unterfangen, denn die Ausstellung «Wonders of Medicine» bietet den Grossteil ihrer Inhalte per Audio. Zwar werden auch Videos und Spiele eine tragende Rolle spielen, aber die wesentlichen Informationen werden vor allem über Kopfhörer vermittelt.

Audioguides für Kunst- und andere Aus­stellungen sind in der Regel unspektakulär. Es gibt sie ja schon seit Jahrzehnten, jedenfalls spätestens seit den 1980er-Jahren, als der Walkman von Sony «street coolness» prägte und Kopfhörer zur Massenware wurden. Heute sind die eleganten kabellosen AirPods von Apple der letzte Schrei.

Aber unabhängig vom Design liegt die eigentliche Stärke von Kopfhörern in ihrer Fähigkeit, ein immersives Erlebnis zu schaffen, das dem Benutzer hilft, sich zu konzentrieren und bei der Sache zu bleiben. Dieser Logik folgend haben iart und das mitbeteiligte Stuttgarter Atelier Brückner ein Konzept entwickelt, bei dem die Besucher während der gesamten Dauer der Ausstellung Kopfhörer tragen.

Im Gegensatz zu konventionellen Audioelementen, die der Besucher per Knopfdruck abruft, um beispielsweise mehr Informationen über ein Kunstwerk zu erhalten, soll hier ein nahtloses und immersives Hörerlebnis ermöglicht werden. Das heisst, jedes Mal, wenn ein Besucher sich einem Exponat oder einer Station nähert, läuft der Audioinhalt automatisch an – ohne lästigen Knopfdruck.

Zwillingsausstellung

Doch genau das ist der Haken. Was sich so einfach und fast natürlich anhört, erforderte einen hohen technischen Aufwand: «Um ein solches Erlebnis zu schaffen, mussten wir ein komplexes Hardware- und Softwaresystem entwickeln, das für die Besucher absolut intuitiv zu bedienen ist», erklärt Ornick.

Da es keine vergleichbaren Projekte gab, die über die nötige Flexibilität und Modularität verfügten, musste iart selbst ein solches System konzipieren. «Zuerst haben wir einige handelsübliche Lösungen für Teile des Systems in Betracht gezogen, aber viele Funktionen dieser Lösungen wurden entweder nicht als notwendig erachtet oder fehlten ganz. Also bauten wir unser eigenes Ding, um eine bessere Kontrolle zu haben, und fügten unsere magische Zutat hinzu.»

Die magische Zutat von iart ist das, was Ornick «Mixed Reality Platform» nennt – das technologische Gerüst, das Komponenten der erweiterten und virtuellen Realität integriert und mit realen, physischen Dingen im Raum interagiert. Dabei ist das Ganze elegant verpackt – in schicken Kopfhörern und einem Smartphone, auf dem die Inhalte gespeichert sind.

Um das massgeschneiderte Audiosystem zu entwickeln, haben Ornick und seine Kollegen die Ausstellung wie ein Videospiel behandelt und einen digitalen Zwilling des Pavillons geschaffen. «Wir haben den Pavillon als 3-D-Raum nachgebaut. Und innerhalb dieses architektonischen Raums haben wir eine Spiellogik entwickelt, um zu steuern, was wo und wann passiert», erklärt Ornick.

Wenn sich also ein Besucher in einem bestimmten Bereich befindet, wie etwa ein Spieler in einem Spiel, löst das System einen Befehl aus. Aber das System kann auch komplexere Interaktionen verarbeiten: Hat etwa ein Besucher eine Reihe von Aktionen wie A, B und C abgeschlossen, wird automatisch Aktion D ausgelöst. «Wenn Sie sich zum Beispiel einen Film bis zum Ende angesehen haben», erläutert Ornick, «schaltet unser System automatisch tiefere Inhalte für Sie frei.»

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Der modulare Aufbau mit auswechselbaren Einzelteilen ermöglicht schnelle und kosten­günstige Anpassungen an neue Bedürfnisse.

Ma­gi­sche An­ker

Das Gesamtsystem setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, darunter ein Standard-Content-Management-System, das auf einem Server gespeichert ist und den gesamten Inhalt der Ausstellung, einschliesslich Video und Audio, bereithält. Um jedoch die Komplexität der Datentransmission zu reduzieren, werden die Audioinhalte auf ein Smartphone übertragen, das den Besuchern beim Betreten der Ausstellung zusammen mit den Kopfhörern ausgehändigt wird.

Die Audioinhalte befinden sich also auf dem Gerät und müssen nicht gestreamt werden, da das Smartphone über USB mit den hochmodernen Kopfhörern verbunden ist, die iart in Zusammenarbeit mit dem dänischen Kopfhörerhersteller AIAIAI entwickelt hat. «Die ganze Magie dieser Kopfhörer liegt im Kopfband, wo sich die speziellen Chips befinden», sagt Ornick. «Sobald also der Besucher sich an einer bestimmen Stelle befindet, an der Audiomaterial abgespielt werden soll, löst das System automatisch den Kopfhörer aus, um das entsprechende Tonmaterial abzuspielen.»

Da eine kontinuierliche Standortbestimmung des Besuchers innerhalb der Ausstellung für das Abspielen der richtigen Audiosequenz entscheidend ist, hat iart 36 sogenannte Anker – etwa fünf Zentimeter lange Antennen – in die Decke des oberen Stockwerks des Pavillons integriert. Diese Anker funktionieren wie ein GPS und messen die Entfernung zwischen dem Besucher und den Antennen.

Dank der Funkverbindung mit den Chips in den Kopfhörern erkennt das System nicht nur, wo sich ein Besucher befindet, sondern auch, wohin er schaut, da die Kopfhörer auch die Ausrichtung des Kopfs registrieren können. Sobald man sich einer Installation nähert, wird das richtige Tonmaterial in der Sprache abgespielt, die der Besucher wählt. «Egal, ob Sie die Ausstellung auf Deutsch, Französisch oder Englisch verfolgen, jeder kann denselben Bildschirm sehen, hat aber den Ton in seiner eigenen Sprache.»

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Mit den elektronischen Bauteilen im Bügel lässt sich unter anderem die genaue Position des Besuchers im Raum feststellen. Diese Information ermöglicht dem Smartphone, die zur jeweiligen Position des Besuchers passenden Inhalte abzuspielen.

Neue Ein­bli­cke in Da­ten

Die Idee für dieses neuartige und revolutionäre Konzept mit seiner inhärenten Flexibili­tät stammt ursprünglich von Valentin Spiess, dem Gründer und Vorsitzenden von iart. Während seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit im Ausstellungsbereich strebte er stets danach, die Besuchererfahrung in Museen und Kunstausstellungen so stark wie möglich zu personalisieren.

Der grosse technische Durchbruch der Pavillon-Ausstellung liegt für Spiess in der Möglichkeit, Daten zu sammeln, um besser zu verstehen, wie die Menschen mit den Inhalten interagieren. «Mit unserem System können wir sehr ausgefeilte Analysen durch­führen. Wir werden in der Lage sein, einige wirklich tiefe Einblicke in das Verhalten des Publikums zu bekommen, was vorher nicht möglich war», so Spiess.

In der Vergangenheit wurde der Erfolg einer Ausstellung in der Regel nur nach der Anzahl der Besucher beurteilt. «Jetzt können wir viel über das Verhalten der Besucher erfahren. Das hilft uns, das Erlebnis laufend zu verbessern, da wir die Ausstellung an die Bedürfnisse des Publikums anpassen können.»

Diese neue Art, Ausstellungen zu gestalten, bietet sowohl für Besucher als auch für Ausstellungsmacher viele Möglichkeiten. In der Vergangenheit wurde der grösste Teil des Budgets für die Einrichtung der Ausstellung ausgegeben, und wenn sie einmal aufgebaut war, blieb sie bis zum Ende unverändert. «Aber dank unseren neuen Systemen gehört das jetzt definitiv der Vergangenheit an. Vom ersten Tag einer Ausstellung an beginnt man zu lernen und sich anzupassen, und zwar über ihre gesamte Dauer.»

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Funktionalität, Ästhetik und Modularität zeigen sich im ausgewogenen Design der Kopfhörer.

Gui­de als bes­ter Freund

Zwar steht die Eröffnung der Pavillon-Ausstellung noch aus, aber Spiess und Ornick, die kürzlich auch an einer Klanginstallation für die Camille-Pissarro-Ausstellung im Basler Kunstmuseum mitwirkten, sind bereits mit anderen techniklastigen, von künstlicher Intelligenz angetriebenen Ausstellungsprojekten beschäftigt.

Doch die Technologie ist nur ein Mittel zum Zweck, wie Spiess seine Vision für die Zukunft erklärt: «Stellen Sie sich vor, Sie ge­hen mit einem Freund in eine Ausstellung und dieser Freund weiss alles darüber und kennt auch Sie sehr gut. Dieser Freund wird Ihnen das bestmögliche Ausstellungserlebnis bieten. Und das ist das Ziel, das wir mithilfe von Technologie zu erreichen versuchen.»

Das System, das iart für den Novartis Pavillon gebaut hat, ist Ausgangspunkt für eine solche Lösung, die aus dem Verhalten der Besucher lernt und ihnen die interessantesten Informationen liefert. Mit anderen Worten: In der Welt der Ausstellungen könnte die Technologie bald Ihren besten Freund ersetzen – zumindest als Guide.

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