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Die Kunst der Fuge

Der kreisförmige und grösstenteils aus Holz bestehende Pavillon stellt hohe Anforderungen an eine präzise Planung und Arbeitsweise. Noch anspruchsvoller wird es, wenn die Konstruktion als Edelrohbau auszuführen ist, bei dem Holzelemente mit minimalen Toleranzen, sprich fugenlos, und in fixfertiger Möbelqualität angeliefert und montiert werden.

Text von Michael Mildner, Fotos von Adriano A. Biondo

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Die Holz-/Betondecke wurde speziell für den Pavillon entwickelt.

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Publiziert am 23/05/2022

Als erstes Gebäude auf dem Novartis Campus setzt der Pavillon auf Holz als prägendes Gestaltungs- und Trägerelement.

Diese Entscheidung beruht nicht nur auf den ausgezeichneten ökologischen und nachhaltigen Eigenschaften des Werkstoffs, sondern auch auf Vorteilen bei der Kons­truktion gegenüber üblichen Materialien wie Stahl und Beton.

Doch auch wenn sich so das Schöne und Natürliche mit dem Rationalen verbinden und regionale Ressourcen effizient nutzen lassen – was in der Theorie so einfach und klar erscheint, stösst in der praktischen Umsetzung auf vielfältige Herausforderungen. Diese galt es zu überwinden.

Da war einerseits die millimeterge­naue Präzision beim Aneinanderfügen der Bauelemente, die keinerlei Spielraum für Abweichungen zuliess, weil jede Fuge auf Anhieb perfekt passen musste. Andererseits hatten auch externe Faktoren wie das Wetter, die Coronapandemie und die Rohstoffknappheit einen Einfluss auf den Verlauf der Bauarbeiten.

Von Dezember 2020 bis Oktober 2021 arbeitete ein Team von rund 30 Zimmerleuten der Erne AG Holzbau im aargauischen Stein an den Elementen für den Pavillon. Im Juni 2021 kamen nochmals 15 Schreiner und Schreinerinnen hinzu, die für den Innenausbau über 7000 Stunden Schreinerarbeiten leisteten.

Als ich Ende Oktober 2021 den Pavillon besuchte, waren die Holzbau- und Schreinerarbeiten bereits abgeschlossen, und mein Rundgang durch das Erd- und Obergeschoss des Pavillons liess erahnen, wie gross der Einsatz für die fristgerechte Fertigstellung des Gebäudes gewesen war.

Edelrohbau in Möbelqualität

«Ein wesentlicher Faktor für die Einhaltung der Termine und der Kostenbudgets war, dass wir praktisch alle Holzbauelemente

in unseren eigenen Produktionshallen her­stellen und komplett vorgefertigt auf die Baustelle liefern konnten», erklärt Markus Weiersmüller, leitender Projektentwickler bei Erne.

Vor allem beim Holzbau ist es wesentlich, ruhig und bei gleichmässigen Bedingungen zu arbeiten. «Eine Montage auf der Baustelle braucht doppelt so viel Zeit, ausserdem hat man in der Halle eine wesentlich bessere Qualitätskontrolle, da dort immer die gleichen Bedingungen etwa hinsichtlich Temperatur und Luftfeuchtigkeit herrschen», so Weiersmüller.

Für die Effizienz der Holzar­beiten war auch die sorgfältig geplante Segmentierung aller Flächen wichtig. So wurden beispielsweise für das Erdgeschoss 40 vorgefertigte Pfosten-Riegelelemente mit dem Lastwagen auf die Baustelle geliefert und dort mit dem Kran montiert.

Die bereits fertig verglasten Elemente hatten es in sich: Sie waren jeweils über sechs Meter lang, 3,8 Meter hoch und aus sechs miteinander verbundenen Fenstern vorgefertigt.

Beginnend beim betonierten Liftschacht wurde jedes einzelne Pfosten-Riegelelement präzise in den Raum zwischen den Trägerpfosten aus Holz gesetzt, mit einem Spielraum von maximal fünf Millimetern auf jeder Seite.

Sobald die Pfosten-Riegelelemente fugenlos eingesetzt waren, war damit nicht nur die äussere Gebäudefront, sondern auch die Innenseite der Fensterfassade fixfertig. Die Elemente wurden bereits im Werk in Möbelqualität weiss lackiert und vorgefertigt. Zusätzliches Streichen, Nageln oder sonstige Arbeiten waren nicht mehr nötig. Das ist Edelrohbau auf höchstem Niveau.

Christian Dannenberger, Projektleiter Holz­bau bei Erne, erklärt den dazugehörigen Fachbegriff: «Der sogenannte Edel­rohbau bedeutet, dass die eingebauten Holzelemente sowohl eine aussteifende Funktion und Tragfähigkeit als auch eine fertig gestaltete, sichtbare Oberfläche haben.»

Diese Vorgehensweise stellt natürlich hohe Anforderungen an die Produktion und Montage, bringt aber eine deutliche Zeitersparnis gegenüber der üblichen Fertigstellung auf der Baustelle.

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Millimetergenaue Präzision war nötig...

Man­gel­wa­re Holz

Auch im gewölbten Obergeschoss wurde bestes Holz verbaut. Die Elemente mussten dabei mit einer Rundform gefertigt werden, was durch den Einsatz einer formgebenden Presse bei Erne in Stein erreicht wurde.

Mit einer Höhe von über fünf Metern erinnert der fertige erste Stock an einen grossen Konzertsaal oder eine Kathedrale. Die natürliche, astfreie und weiss lasierte Struktur der Oberfläche aus edlem Weisstannenholz verstärkt diesen Eindruck noch. Zudem riecht das Holz auch angenehm, so dass man sich fast in einem Bündner Chalet wähnt.

«Bei der Auswahl der Holzarten und der Lieferanten war es uns wichtig, so kurze Trans­portwege und so viel einheimisches Holz wie möglich einzusetzen», erklärt Tobias Böhmisch, der die Schreinerarbeiten bei Erne leitet. Das war aber nicht einfach.

Zum gleichen Zeitpunkt wurden noch weitere Grossprojekte mit den gleichen Baumaterialien umgesetzt. Erschwerend kam hinzu, dass der Markt durch die enorme Nachfrage praktisch leergekauft war.

«In diesem Umfeld ist rasches und entschiedenes Handeln gefragt, und wir sind glücklich, trotz der schwierigen Umstände über eine ausreichende Menge zertifiziertes europäisches Holz für die rund 1000 Qua­dratmeter Innenfläche zu verfügen», führt Böhmisch aus.

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...um die vorgefertigten Bauteile zu installieren.

La­ser und Soft­ware

Neben den Arrangements mit Rohstoff­lieferanten mussten sich die Zimmerleute und Schreiner auch mit allen anderen am Bau beteiligten Bauarbeitern – wie etwa Elektrikern, Brandschutzspezialisten oder Küchenbauern – präzise und zuverlässig abstimmen.

Bei einer so grossen und komplexen Baustelle wie dem Pavillon geschieht diese Abstimmung mithilfe eines Computermodells, des sogenannten Building Information Modelling, kurz BIM genannt.

Baumeister und Handwerker tragen jeweils ihre Arbeiten im gleichen 3D-Modell auf dem Computer ein, und dieses Modell ist für alle Beteiligten jederzeit zugänglich und massgebend. Mit einem Klick auf einzelne Bauteile, beispielsweise eine Türe, werden zusammen mit den genauen Massen auch Informationen wie Schall- und Brandschutzwerte angezeigt. Ein weiteres Element für die präzise Abstimmung der Arbeiten ist der Tachymeter, der auf der Bau­stelle das Massband ersetzt.

Anhand von Fixpunkten, die an Stellen wie betonierten Treppenaufgängen und parallel dazu im 3D-Modell gesetzt werden, kann die Vermessung mit dem Laserstrahl des Tachymeters millimetergenau und fehlerfrei vorgenommen werden.

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Montage der Fensterelemente in der Schreinerei der Erne AG. Jeweils sechs der rund vier Meter hohen Fenster und Rahmen wurden en bloc als Aussenhülle montiert.

Un­wäg­bar­kei­ten

Auch wenn Planung alles ist, mit dem Wetter muss man leben. «Bei starkem Regen, Wind oder Schnee konnten wir nicht mit dem Kran arbeiten», erinnert sich Christian Dannenberger. «Das heisst aber nicht, dass unsere Leute daheim hinter dem Ofen sassen.»

Bei schlechtem Wetter wurde die Produktion in den Fertigungshallen in Stein vorangetrieben und Arbeiten im Innern des Gebäudes wurden ausgeführt. So konnte Erne den Zeitplan trotzdem einhalten, auch wenn es viele Tage gab, an denen kaum Fortschritte auf der Baustelle zu sehen waren, so Dannenberger.

Neben dem schlechten Wetter wurde die Coronapandemie zu einem weiteren Störfaktor für das Team. Aber auch hier war das Hinter-dem-Ofen-Sitzen natürlich keine Lösung, weiss Markus Weiersmüller. «Damit wir das Ansteckungsrisiko minimieren und gleichzeitig die Produktion aufrechterhalten konnten, haben wir bei der Elementfertigung in den Hallen von einer auf drei Arbeitsschichten umgestellt.»

Kurz vor der Fertigstellung des Innenausbaus im Oktober 2021 hatte das Schreinerteam von Tobias Böhmisch noch eine kleine, aber äusserst komplexe Aufgabe zu lösen. Da die Handläufe der Treppen, die das Erd- mit dem Obergeschoss verbinden, weder rund noch geradlinig, sondern mit einem «Knick» in der Mitte verlaufen, wurden ungewöhnliche und aufwändige Schnitte für die Verbindung der einzelnen Abschnitte nötig.

Dass auch dieses Detail mit der grössten Sorgfalt behandelt und gelöst wurde, kann das Publikum demnächst selbst erfühlen: denn sämtliche Holzarbeiten wurden im November 2021 termingerecht abgeschlossen.

«Wir haben das Gebäude staubfrei und mit perfekt gesetzten Fugen verlassen», sagt Markus Weiersmüller mit einem zu-friedenen Lächeln, «nun müssen die weiteren Arbeiten zeigen, wie harmonisch das Ganze am Ende wird. Wir sind auf jeden Fall zuversichtlich und freuen uns auf die Eröffnung!»

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