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Novartis-Wissenschaftler John Dominy erinnert sich gerne an die Zeit, als er mit John Diener und Michael Romanowski an einem Projekt arbeitete, an dessen Erfolg nur wenige glaubten. Ihr Ziel war die Aktivierung eines Signalwegs mithilfe eines biologischen Moleküls, das eine Therapiemöglichkeit für Herzinsuffizienz und resistente Hypertonie in Aussicht stellte, wovon weltweit mehr als 20 Millionen Menschen betroffen sind.

«Ein ähnliches Projekt hatte bereits einer unserer Mitbewerber vorangetrieben», erinnert sich Dominy. «Aber die Ergebnisse waren nicht überzeugend, das Programm wurde auf Eis gelegt.»

John Dominy

John Dominy:
Herausforderungen annehmen.

Die dazu in einer wissenschaftlichen Publikation veröffentlichten Daten wiesen wenig bis gar keine Aktivität nach. Doch Diener, der Novartis inzwischen verlassen hat, entdeckte auf einem der Graphen einen kleinen Ausschlag und sagte zu Dominy: «Wir könnten wahrscheinlich mehr Aktivität herausholen, vielleicht mit anderen Ansätzen.» Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, in der die Liebe zum Detail und der Mut, neue Forschungswege auszutesten, zum Erfolg führten.

Seltener Ansatz

Einen biologischen Signalweg zu verstehen, der für eine Krankheit verantwortlich ist, ist eine Sache. Die andere ist es, ihn entweder zu sperren oder zu aktivieren. Dies ist die Domäne der pharmazeutischen Wissenschaftler, die molekulare Interventionen zum Abschwächen der Auswirkungen einer Erkrankung entwickeln. Was im Prinzip einfach klingt, braucht oft Jahrzehnte und kann zum Scheitern verurteilt sein oder durch glückliche Zufälle zum Erfolg führen.

Während das Sperren von Signalwegen in der Branche als Standardansatz gilt, wird die Aktivierung von Signalwegen viel seltener eingesetzt, da dies ein sehr schwieriges Unterfangen ist. Dominy formuliert es so: «Es ist einfacher, etwas zu brechen, als etwas zu verbessern.» Dennoch traf sich Dominy, der an einem anderen Programm zur Erzielung einer ähnlichen Wirkungsweise arbeitete, regelmässig mit Diener. Sie erörterten dabei ihre Ergebnisse und arbeiteten neue Methoden aus, um einen Rezeptor-Agonisten zur Aktivierung eines bestimmten Ziels im Körper zu entwickeln.

Diener beschäftigte sich insbesondere mit NPR1. Wird das Herz belastet, produziert es in der natürlichen biologischen Kaskade sogenannte natriuretische Peptide. Diese Peptide wirken sich auf NPR1 aus, das selbst eine weitere Kaskade auslöst. Diese wiederum nützt dem Herz und hilft dabei, unter anderem den Blutdruck und die arterielle Belastung zu senken.

Die Idee von Dominy und Diener war es, den Wirkstoff zur Behandlung von Herzinsuffizienz sowie zur Behandlung von resistentem Bluthochdruck einzusetzen. Bei Herzinsuffizienz hat das Herz Schwierigkeiten, Blut durch den Körper zu pumpen. Bluthochdruck kann unbehandelt zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen.

Mut zum Risiko

Diener hatte die Idee, NPR1 mithilfe eines monoklonalen Antikörpers zu aktivieren. Dazu führte er eine Reihe von Tests durch, um ein Molekül zu finden, mit dem dies gelingen könnte. Zwar trugen seine ersten Versuche dazu bei, mehr Aktivität zu erzeugen, dennoch war er noch weit davon entfernt, ein Medikament zu entwickeln. Dann kam Michael Romanowski ins Spiel, der an neuartigen Methoden zur Verbesserung der Proteinexpression und zur Bestimmung der Proteinstruktur arbeitete. Er erkannte, dass die Veränderung eines kleinen Protein-Oberflächenrückstands, der bei anderen Spezies, aber nicht beim Menschen üblich ist, die Expression potenziell erheblich steigern könnte. «Es war ein kleines Detail, aber es stabilisierte das Protein enorm und ermöglichte die weltweit erste Bestimmung der Struktur des menschlichen NPR1», sagt Dominy. «Das Team musste jedoch weiter an der Verbesserung des Antikörpers arbeiten, weil die Aktivierung des Rezeptors noch ziemlich schwach war.»

Gemeinsam mit dem Biotechunternehmen Morphosys, mit dem Novartis bereits 2007 eine umfassende Forschungskooperation eingegangen war, startete das Team eine Forschungskampagne zur Entwicklung von Antikörpern, die besser an NPR1 binden. Mithilfe eines traditionellen Prozesses, der sogenannten Affinitätsreifung, konnte das Team die erhofften Ergebnisse nicht liefern. Doch Diener gab nicht auf. Er begann, verschiedene Klone von Antikörpern zu mischen und aufeinander abzustimmen, um ein Protein zu erzeugen, das in der Lage sein sollte, NPR1 zu aktivieren. Der Heureka-Moment liess nicht lange auf sich warten: «Durch Mischen und Abstimmen konnten wir Hybrid-Klone herstellen, die zu einer enormen Steigerung der Aktivität des Antikörpers führten. Und genau das hat zur Entwicklung des endgültigen Kandidaten geführt», erklärt Dominy.

Auf die Wissenschaft vertrauen

Die unkonventionellen und couragierten Bemühungen von Diener und seinen Kolleginnen und Kollegen erfolgten nicht im Alleingang. Jennifer Allport-Anderson, Leiterin der In-vivo-Pharmakologie im kardiologischen Forschungsbereich von

Novartis, erklärt, dass sich das Team vollständig auf vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse stützte. «Wir hatten eine sehr gute Vorstellung von den genetischen und molekularen Signalwegen bei Herzinsuffizienz und wussten, dass NPR1 ein geeignetes Ziel sein könnte», sagt sie.

Jennifer Allport-Anderson

Jennifer Allport-Anderson:
Wissenschaft ist Zusammenarbeit.

Neben dem Programm von Diener hatte Novartis auch an einem klassischen chemischen Wirkstoff gearbeitet. Dieses Projekt erwies sich jedoch als dornenreich, da nicht das Blockieren des krankheitsauslösenden Signalwegs, sondern die Aktivierung von NPR1 das Ziel war. «Patentliteratur zu diesen chemischen Strukturen war zwar vorhanden», so Allport-Anderson. «Doch da gab es diese grossen, hässlichen, niedermolekularen Wirkstoffe. Auch deren Entwicklung wäre aufgrund der schlechten physikalischen Eigenschaften schwierig gewesen.»

Dass ein biologisches Präparat viel besser wirken würde, war von Anfang an klar. Doch es war zu Beginn unwahrscheinlich, dass Diener und sein Team Erfolg haben würden. Eine Proteinaktivierung mit einem Antikörper war in der Branche bis zu diesem Zeitpunkt selten durchgeführt worden, und Novartis selbst hatte trotz der erfolgreichen Entwicklung einiger Biomoleküle weniger Erfahrung mit solchen Strukturen als mit klassischen chemischen Wirkstoffen.

Das Team musste also neue Wege ausprobieren. Dieners Ansatz, mehrere Biomoleküle miteinander zu mischen, war ein Novum. Auch die Arbeit von Romanowski mit mutierten Proteinen bedeutete, Neuland zu betreten und erhebliche Risiken einzugehen. Das Ergebnis erwies sich jedoch als ebenfalls äusserst innovativ. Das fertige Molekül, das sich gegenwärtig in der klinischen Frühphase befindet, band nämlich nicht an jener Stelle, an der die natürlichen natriuretischen Peptide andocken. Sein Rezeptor ist ausserhalb der natürlichen Tasche, was es zu einer völlig einzigartigen Molekülklasse macht, wie Dominy bemerkt und dazu ergänzt: «Wir haben spannende Jahre voller innovativer Schritte erlebt. Die Zusammenarbeit mit John und das Ausprobieren von Ideen haben uns sehr weit gebracht. Und es belegt den Mut des Unternehmens, neue Wege zu gehen.»

Zusammenarbeit und technisches Fachwissen waren entscheidend, um das Projekt XXB750 voranzutreiben.

Um den Prozess zu beschleunigen, werden viele Schritte in den Forschungslaboren automatisiert.

Ein Treffer kann auf Zufall zurückzuführen sein. Aber Forscher müssen miteinander reden, um einen Weg nach vorne zu finden.

Vorteile von Biologika

Obwohl die Wissenschaftler für die Entwicklung des Wirkstoffs mehrere Jahre brauchten, wird Novartis dank ihrer Bemühungen in der klinischen Studienphase Zeit gewinnen können. Denn im Gegensatz zu chemischen Wirkstoffen, die im menschlichen Körper ungeahnte Nebenwirkungen auslösen können, sind mögliche negative Effekte bei Biologika begrenzt, da sie in der Regel nur an einen einzigen Rezeptor binden. «Das bedeutet, dass das Sicherheitsprogramm deutlich schneller laufen kann als bei anderen Wirkstoffen», erklärt Allport-Anderson.

Darüber hinaus lassen sich biologische Medikamente so gestalten, dass sie im menschlichen Körper viel länger zu wirken vermögen. Dies ist ein grosser Vorteil bei Herzerkrankungen, bei denen die Patienten oft Schwierigkeiten haben, ihre Therapie einzuhalten, weil sie nicht selten mehrere Tabletten pro Tag einnehmen müssen.

«Einer der Vorteile dieses Wirkstoffs ist, dass es sich um ein Medikament für eine monatliche Anwendung handelt», so Allport-Anderson. «Jetzt versuchen wir, noch länger wirkende Versionen zu entwickeln, welche die Patienten beim Umgang mit Adhärenzproblemen unterstützen.» Zwar können langwirksame Medikamente auch Nachteile haben – Novartis arbeitet deshalb bereits an einem Reversal Agent, der die Wirkung des Medikaments bei Patienten mit unerwünschten Ereignissen umkehrt –, doch Allport-Anderson ist überzeugt, dass solche medikamentösen Therapien einen enormen Nutzen für die Patienten haben.

Patientenbedürfnisse verstehen

Allport-Anderson weiss aus erster Hand, wie Herzkrankheiten das Leben auf den Kopf stellen können. Ihr Schwager erlitt mit 40 Jahren einen Herzinfarkt und entwickelte später eine Herzinsuffizienz, sodass er sein Leben völlig neu gestalten musste. Sie hat deshalb nicht nur über Veränderungen ihres eigenen Lebensstils nachgedacht, sondern sich auch intensiver mit den Patientenbedürfnissen auseinandergesetzt. Die regelmässigen Patiententage, die ihre Gruppe organisiert, liefern wichtige Erkenntnisse für sie und ihre Kollegen. «An den Patiententagen in unserer Abteilung erfahren wir oft, was den Patienten wirklich am Herzen liegt», erläutert Allport-Anderson. «Für uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die tief in das Innere eines Signalwegs eingedrungen sind, ist das eine sehr wichtige Information.»

Sie erinnert sich noch lebhaft an die Geschichte eines 18-jährigen Fussballspielers, der in der Premier League auflaufen sollte, dann jedoch eine Herzmuskelentzündung erlitt, an Herzinsuffizienz erkrankte und plötzlich kaum noch aus dem Bett kam. «Wenn man solche Geschichten hört und sich bewusst wird, welch schädliche Auswirkungen diese Krankheiten auf das Leben eines Patienten haben können, wird man nachdenklich und arbeitet noch härter daran, Lösungen zu entwickeln, die den Patienten wirklich nachhaltig helfen», sagt sie. Für Allport-Anderson machte die Begegnung deutlich, dass diese stumme Krankheit nicht nur, wie man gemeinhin denkt, ältere Menschen, sondern Millionen von Menschen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten auf der ganzen Welt betrifft.

Forscher im Labor.

Die Forscherinnen und Forscher haben mehrere Jahre gebraucht, um den Wirkstoff zu entwickeln, ...

... der Novartis schliesslich helfen soll, Zeit in der klinischen Testphase zu gewinnen.

Die Zusammenarbeit war eine wichtige Triebfeder für die Entwicklung von XXB750.

Gesundheit der Bevölkerung

«Das hat auch grossen Einfluss auf unsere Arbeitsweise», erläutert sie. «Im Hinblick auf die allgemeine gesellschaftliche Gesundheitssituation wollen wir nicht bloss eine Krankheit bekämpfen, sondern nachhaltige Lösungen entwickeln, die einen starken Einfluss auf die Lebensqualität haben können.» Im Rahmen der Bemühungen, das allgemeine Gesundheitsniveau der Bevölkerung zu heben, verfolgt Novartis einen Ansatz, der darauf abzielt, die körperliche und psychische Verfassung der Menschen zu verbessern, das Wohlergehen zu fördern und gesundheitliche Ungleichheiten in der gesamten Bevölkerung zu verringern. Dazu zählt – neben der Konzentration auf allgemeinere Determinanten der Gesundheit – die Entwicklung von Medikamenten, welche die Lebensqualität der Patienten zu verbessern vermögen, was sich wiederum positiv auf die Gesellschaft insgesamt auswirkt.

«Für Patienten, die an Herzerkrankungen oder ständigem Bluthochdruck leiden, dürfte sich die Umstellung auf eine langanhaltende medikamentöse Therapie nicht nur positiv auf ihre Herzgesundheit auswirken», wie Allport-Anderson betont. «Sie könnte auch zum Schutz der Nieren und Blutgefässe beitragen, was langfristig ihre allgemeine Gesundheit und Lebensqualität verbessern und sie wieder in die Gesellschaft integrieren würde.»

Ihr Schwager, der nach einem Herzinfarkt und der Diagnose Herzinsuffizienz aus dem Alltag geworfen wurde, konnte dank innovativer Medikamente, Veränderungen der Lebensweise und verbesserter Versorgung wieder Fuss fassen – ein gutes Vorbild für die mehr als 20 Millionen Patienten, die heute an Herzinsuffizienz oder resistenter Hypertonie leiden und wieder ein Stück Normalität erleben möchten. Dass diese Entwicklung mit einem kleinen Ausreisser auf einer Datengrafik begann, zeigt einmal mehr, dass es beim Thema Gesundheit auf jedes Detail ankommt.