Beschleunigung der Arzneimittelentwicklung
Neue Governance-Struktur
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Wissenschaft
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Ein folgenreicher Anruf

Grossartige Ideen gibt es im Überfluss, ebenso gestrandete Projekte. Doch was macht den Unterschied aus zwischen einer guten Idee, die in die Realität umgesetzt werden kann, und einer, die in der Schublade verschwindet?

Text von Goran Mijuk und K.E.D Coan, lllustration von Lehel Kovács, Fotos von Andy Kwok und Laurids Jensen

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Marty Lefkowitz: Zuhören schafft neue Möglichkeiten.

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Publiziert am 20/09/2023

Börje Haraldsson, früher als Wissenschaftler an den Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR) tätig, konnte sich keinen anderen Ansprechpartner als Marty Lefkowitz vorstellen, als er seinen Kollegen 2017 anrief, um über einen innovativen Wirkstoff zu sprechen, der möglicherweise in klinischen Studien getestet werden könnte.

Seine Wahl fiel deshalb auf Lefkowitz, weil sie beide Nephrologen waren und Novartis damals über keine gesonderte Abteilung für die Entwicklung von Nierenmedikamenten verfügte. «Als Nierenspezialisten kannten wir uns aus früheren Begegnungen», so Lefkowitz. «Und das war wohl eigentlich der Hauptgrund, warum er mich angerufen hat, um seine Idee zu besprechen.»

Lefkowitz brauchte nicht lange, um die Bedeutung dessen zu begreifen, was Haraldsson anzubieten hatte – einen neuen Wirkstoff, der in Teile des Immunsystems eingreifen konnte und bei der Behandlung von Nierenerkrankungen und anderen Krankheiten potenziell wirksam zu sein schien.

Lefkowitz, der am Novartis Campus im US-amerikanischen East Hanover im Bereich klinischer Studien arbeitet, reiste nach Basel, um mit Haraldsson und dem Forscherteam, das in den vergangenen Jahren am Wirkstoff gearbeitet hatte, die Idee zu vertiefen.

«Nach dem Gespräch in Basel habe ich das Projekt meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Global Drug Development (GDD) vorgestellt, die die Idee wegen ihres wissenschaftlichen und auch medizinischen Wertes relativ schnell aufgriffen», so Lefkowitz. «Das Projekt war wie ein Katalysator für eine neue Art der Zusammenarbeit.»

Aufbau einer neuen Struktur

Das Gespräch der beiden Nephrologen veranlasste Novartis, ein neues Projekt im Bereich Nierenerkrankungen zu starten. Es hatte auch weit darüber hinausreichende Auswirkungen, da das Unternehmen begann, neue Schnittstellen aufzubauen, um Forschungs- und Entwicklungsteams besser aufeinander abzustimmen und die Zusammenarbeit zu intensivieren.

Bis zu diesem Zeitpunkt konzentrierten sich die meisten Forschungsarbeiten bei NIBR hauptsächlich auf die Wirkstofferforschung im Rahmen pharmazeutischer Wissenschaft und weniger auf die Vorbereitung der vielen nachfolgenden Schritte, die notwendig sind, um einen neuen Wirkstoff erfolgreich in die klinische Praxis zu bringen und den komplexen Entwicklungs- und Vermarktungsprozess zu durchlaufen.

Dank der initialen Verbindung zwischen Lefkowitz und Haraldsson entwickelte sich ein offenes Gespräch zwischen den beiden Forschungsgruppen. Dies ermöglichte es, Studien in die Forschungsarbeit und in die Arbeit im Bereich der translationalen Medizin bei NIBR einzubeziehen, und vermochte die Entwicklung des Arzneimittels zu fördern und es schneller in die klinische Praxis zu bringen.

Zu diesem Zweck baute Novartis unter anderem das heutige Global Program Team auf – ein divisionsübergreifendes Entscheidungsgremium, das die klinische Entwicklung eines Wirkstoffs überwacht und an dem auch Kollegen von GDD und NIBR beteiligt sind.

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Guido Junge: Zusammenarbeiten – vom ersten Tag an. Das ist die Magie.

Be­schleu­ni­gung der Arz­nei­mit­tel­ent­wick­lung

«Wir haben uns voll und ganz auf die klinischen Probleme konzentriert, die wir lösen wollten, und auf die für eine effiziente Vorgehensweise erforderlichen Schritte, damit wir einen wunderbaren Wirkstoff in die klinische Praxis bringen konnten, der den Patienten nützt», so Guido Junge, Wissenschaftler bei NIBR, der von Anfang an Teil des Kernteams war.

Diese Einstellung sei denn auch entscheidend dafür gewesen, Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen und Funktionen miteinander in Verbindung zu setzen, um zum Erfolg dieses Wirkstoffs beizutragen. Dessen frühe Entwicklung war erratisch verlaufen, da er zunächst in der Ophthalmologie getestet wurde, bevor Wissenschaftler bei anderen Indikationen mit dem Wirkstoff experimentierten. «Novartis verfügte nicht über gesonderte Abteilungen für diese Krankheitsbereiche. Doch unsere Wissenschaftler sahen das Potenzial dieses Wirkstoffs und setzten sich über ihre üblichen Geschäftsprioritäten hinaus dafür ein, ihn zum Erfolg zu führen», so Junge.

Dank der Kooperation und Beratung von GDD modifizierten die Kollegen bei NIBR beispielsweise ihre erste Proof-of-Concept-Studie, bei der in der Regel nur ermittelt wird, ob ein Medikament tatsächlich eine physiologische Reaktion auslöst. Die breiter gefasste Studie vermochte nicht nur den biologischen Mechanismus und die Wirkungsweise zu belegen, sondern schuf auch die Grundlagen für die anschliessenden klinischen Studien.

Nach dieser engen Zusammenarbeit und Schwerpunktverschiebung identifizierten die Wissenschaftler von NIBR auch eine biologische Signatur, einen Biomarker, der noch weitere Beweise dafür liefern sollte, dass das Molekül den Weg in die klinische Praxis verdient hat.

«Der wirkliche Unterschied besteht aus meiner Sicht darin, dass wir vom ersten Tag an gemeinsam agiert haben», resümiert Guido Junge: «Alle haben zusammen daran gearbeitet, die Entwicklungszeitpläne in einem sehr wettbewerbsorientierten Umfeld zu übertreffen. So konnte das Team den Wirkstoff innerhalb von fünf Jahren nach der ersten klinischen Studie zur Zulassung einreichen, viel schneller als üblich.»

Voller Einsatz für den Wirkstoff

Zwar hatte auch das Schicksal seine Hand im Spiel, aber die Teams packten die sich bietende Gelegenheit beim Schopf. «Was wirklich den Unterschied ausmachte», erinnert sich Marty Lefkowitz, «ist, dass wir die wissenschaftlichen Zusammenhänge verstanden hatten und davon überzeugt waren, dass sich aus diesem Wirkstoff etwas hervorbringen lässt, das den Patienten echten Nutzen bringt.»

Junge betont zudem, die Kommunikation unter den Forschungs- und Entwicklungsgruppen sei eine unerlässliche Voraussetzung; die Forscher hätten ihre Ziele im Hinblick auf die Beschleunigung des Projekts abgestimmt, das gegenwärtig in klinischen Studien für verschiedene Erkrankungen getestet wird.

Einige der frühen Teammitglieder engagierten sich so sehr für das Projekt, dass sie sogar ihre Stellen wechselten, um den Fortschritt des Wirkstoffs weiter zu unterstützen. Einer von ihnen war der pädiatrische Nephrologe Nicholas Webb.

Als das Projekt offiziell von NIBR zu GDD überging, wechselte Webb zusammen mit dem Wirkstoff an eine Stelle in der Entwicklung, wo er nun als medizinischer Direktor für mehrere Entwicklungsprogramme in der Nierenheilkunde tätig ist. «NIBR zu verlassen, tat schon weh, doch die Chance, diesen Wirkstoff bis zur Zulassung zu verfolgen, konnte und wollte ich mir nicht entgehen lassen», so Webb.

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Nicholas Webb: Die Rollen tauschen, um dem Patienten zu helfen.

Neue Go­ver­nan­ce-Struk­tur

Der Erfolg des Programms hat Novartis dazu veranlasst, eine Abteilung für die Behandlung von Nierenerkrankungen einzurichten und in den neuen Bereich Cardiovascular-Renal-Metabolism einzugliedern. Darüber hinaus ist das Unternehmen nach den wertvollen Erkenntnissen aus diesem Arbeitsmodell auch dabei, seine Governance-Struktur zu überarbeiten, damit die Zusammenarbeit zwischen den Forschungs- und Entwicklungsteams zu einem viel früheren Zeitpunkt einsetzen kann.

«Die neue Struktur soll gewährleisten, dass wir bereits in der Anfangsphase unserer Forschungsprogramme noch ergebnisorientierter arbeiten und uns bei der Auswahl der Forschungsprojekte grundsätzlich stärker von unserem Produktportfolio leiten lassen», betonte Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt anlässlich der Generalversammlung 2023.

«Für uns geht es in erster Linie darum, vielversprechende Wirkstoffe aus der Frühphase unserer Forschung besser in die Entwicklungsorganisation einzubinden, damit sie schneller in klinische Studienprogramme aufgenommen werden können», erläuterte er.

Diese Strategie soll die Innovationskraft noch weiter voranbringen. Novartis zählt bereits heute zu den innovativsten Pharmaunternehmen der Welt und hat in den vergangenen 20 Jahren mehr als 40 neue Medikamente entwickelt. Mit einem jährlichen Forschungs- und Entwicklungsbudget von rund neun Milliarden US-Dollar und mehreren tausend Wissenschaftlern und medizinischen Experten in Zentren wie Basel, Cambridge, Emeryville und San Diego wird sich die Dynamik weiter beschleunigen.

Der Erfolg hängt nach wie vor davon ab, wie gut Wissenschaftler und Ärzte miteinander kommunizieren. «Neben dem Aufbau einer neuen Struktur im Rahmen unseres Projekts konnten NIBR und GDD auch viel früher miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten, als dies sonst der Fall war», so Nicholas Webb. «Dies hat vermutlich den entscheidenden Unterschied ausgemacht, und dies dürfte in Zukunft auch so weiter gemacht werden.»

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