Dieser Artikel wurde ursprünglich im April 2014 publiziert.
Die Herkunft der ayurvedischen Heilkunde ist unklar. Der konzeptionelle Rahmen entstand jedoch zwischen 2500 und 500 v. Chr. in Indien. Der Begriff «Ayurveda» setzt sich aus den Wörtern «ayus» (Leben) und «veda» (Wissen) zusammen; Ayurveda ist demnach die alte indische Wissenschaft des Lebens, der Gesundheit und der Langlebigkeit.
Ayurveda betrachtet den Menschen ganzheitlich. Gesundheit ist gleichbedeutend mit einem ausgewogenen Stoffwechsel, der einen gesunden Allgemeinzustand ermöglicht. Krankheit wird als Störung des Stoffwechsels definiert, die durch äussere Einflüsse oder innere Ursachen im Körper oder Geist entstehen kann. Die ayurvedische Behandlung zielt auf den Patienten als organisches Ganzes ab und besteht aus einer Kombination von Ernährung, Medikamenten sowie verschiedenen körperlichen und geistigen Aktivitäten, die vom einzelnen Menschen abhängen. Ayurveda hat eine lange und gut dokumentierte Geschichte, die hauptsächlich in Sanskrit überliefert ist und verschiedene Aspekte von Krankheit, Therapie und Pharmazie umfasst.
Ayurvedische Arzneien sind oft komplexe Mischungen, die aus pflanzlichen und tierischen Stoffen, Mineralien und Metallen hergestellt werden. Pflanzen spielen im ayurvedischen Arzneibuch eine dominierende Rolle.
Die 900 v. Chr. verfasste Abhandlung «Charaka Samhita» ist erstmals ausschliesslich ayurvedischen Konzepten und Praktiken gewidmet; der Schwerpunkt liegt auf den Therapeutika. Sie nennt 341 Pflanzen und pflanzliche Stoffe für medizinische Zwecke. Ein weiterer bedeutender Text ist die «Sushruta Samhita» (600 v. Chr.), die sich mit der Chirurgie befasst. Sie beschreibt 395 Arzneipflanzen, 57 Medikamente tierischer Herkunft sowie 64 Mineralien und Metalle als Therapeutika. Eine bekannte Autorität der ayurvedischen Heilkunde war Vagbhata, der im 7. Jahrhundert n. Chr. praktizierte. Seine Arbeit «Ashtanga Hridaya» über die Prinzipien und Praxis der Medizin gilt als Meisterwerk.
Aufgrund ihrer thematischen Breite und Detailkenntnis waren ayurvedische Texte auch in den Nachbarländern vielbeachtet, wie ihre Übersetzung ins Griechische (300 v. Chr.), Tibetische und Chinesische (300 n. Chr.), Persische und Arabische (700 n. Chr.) sowie in mehrere andere asiatische Sprachen beweist.
Rund 1250 indische Arzneipflanzen werden zur Formulierung von Therapeutika verwendet. Einen umfassenden Überblick über die frühe Forschung bis in die Neuzeit um 1930 bietet RN Chopra in seinem Werk «Indigenous Drugs of India».
Zu den bekanntesten Pflanzen gehört Rauwolfia serpentina. Die Wurzeln dieser Pflanze werden in der ayurvedischen Heilkunde zur Behandlung von Bluthochdruck, Schlaflosigkeit und Wahnsinn verwendet. Bedeutende pharmakologische, klinische und chemische Untersuchungen an der Pflanze wurden in Indien durchgeführt. Dies weckte das Interesse von CIBA, wo es 1952 gelang, das sedierend wirkende Alkaloid Reserpin zu isolieren. Auch der Balsambaum hat die moderne Medizin geprägt. Bei Verletzungen scheidet die Pflanze ein gelbliches Gummiharz aus, das rasch zu Tropfen verklumpt und einen balsamartigen Duft verströmt, der jenem der Myrrhe ähnlich ist. Dieses Gummiharz – in der Ayurveda-Heilkunde etwa zur Behandlung von Entzündungen eingesetzt – wurde in den Siebzigerjahren mit modernen Methoden getestet, die schliesslich zur Isolierung und Charakterisierung von zwei antihyperlipoproteinämischen Substanzen führte.
Ayurveda und ähnliche Systeme sind für die Entwicklung von Arzneien, funktionellen Lebensmitteln und Kosmetika wertvoll. Dieses Potenzial muss jedoch anhand moderner wissenschaftlicher Parameter kritisch beurteilt werden. Unter diesem Aspekt lässt sich ohne Übertreibung behaupten, dass das 21. Jahrhundert im Gesundheitswesen zur Ära des Pluralismus wird. Überall auf der Welt steht die Bevölkerung vor neuen Gesundheitsproblemen, die sich nicht durch einen einzigen Ansatz lösen lassen. Deshalb sollte die Suche nach ergänzenden Gesundheitslösungen unterstützt werden. Ayurveda ist in seiner 2000-jährigen Geschichte zu einer evidenzbasierten Gesundheitswissenschaft gereift und kann daher wesentlich zur Entwicklung ergänzender Gesundheitslösungen beitragen.