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Pensionierte von Novartis bei einem gemeinsamen Spaziergang bei Basel.

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Alter ist gestaltbar.

Gesundes Altern, wie geht das?

Gerade wieder ist das Thema Gesundes Altern brandaktuell. Es vergeht kaum ein Tag, an dem kein Artikel darüber in der Presse zu lesen ist. «Longevity» heisst das neue Zauberwort, zu Deutsch Langlebigkeit.

Text von Susanne Szabo Meyer, Pharmazeutin und Altersberaterin — Fotos von Adriano A. Biondo.

Die Longevity-Forschung befasst sich mit der Frage, welche Faktoren für die Lebenserwartung respektive unser biologisches (im Gegensatz zum chronologischen) Alter von Bedeutung sind und wie wir sie beeinflussen können. Das ist zum Teil bekanntes mit neuen Studien untermauertes Wissen hinsichtlich Lifestyle, Herz-Kreislauf-Gesundheit, Krebsprophylaxe, Demenzprophylaxe, zum Teil geht es um die Suche nach neuen Erkenntnissen oder Präzisierungen aufgrund neuer technischer Möglichkeiten. Im Moment geht man davon aus, dass der Mensch eine biologische Veranlagung hat, 120 Jahre alt zu werden, wenn alles wie am Schnürchen läuft. Doch wie erreicht man das Optimum? Kann man es übertreffen? Dahinter verbirgt sich legitime Grundlagenforschung, aber auch ein riesiges neues Geschäftsfeld und der Druck, möglichst nichts dem Zufall oder dem Schicksal zu überlassen. Die Lebenserwartung steigt, nicht zuletzt dank den medizinischen Möglichkeiten, doch damit vergrössert sich meist auch die Lücke zwischen beschwerdefreier und gesamter Lebenserwartung. Diese Lücke möchte man in Zukunft gezielt verkleinern oder schliessen.

Bis es so weit ist, möchte ich mich auf die De­finition der WHO (Weltgesundheitsorganisation) fokussieren, nämlich auf das «Wohlergehen trotz Einschränkungen». Meine Ausführungen richten sich daher zuallererst an Leser und Leserinnen, die schon das dritte oder vierte Lebensalter erreicht haben und somit möglicherweise schon die eine oder andere gesundheitliche Herausforderung meistern müssen, an deren erwachsene Kinder, aber auch an Kollegen und Vorgesetzte von älteren Mitarbeitern und an alle, die sich fürs Altern interessieren. Ich möchte besonders die wissenschaftliche Erkenntnis mit ihnen teilen, dass es nie zu spät ist, das eigene Wohlbefinden und seine Zufriedenheit positiv zu beeinflussen, solange man selbstbestimmt entscheiden kann. Das Altern beginnt nicht erst «im Alter», sondern schon bei der Geburt. Von Geburt weg prägen unsere Gene sowie der kulturelle Hintergrund, in den wir hineingeboren werden, wie wir altern, allerdings nur zum geringeren Teil von 20 bis 30 Prozent. Den weit grösseren Teil können wir beeinflussen. Dazu möchte ich zuerst zwischen normalen Alterserscheinungen und krankhaften Alterserscheinungen oder Defiziten unterscheiden. Da das fortgeschrittene Alter ein Risikofaktor für die krankhaften Defizite ist, wird manchmal fälschlicherweise angenommen, sie seien unvermeidbar.

Normale Alterserscheinungen

  • Verlangsamte Hirnleistung
  • Muskel-und Knochenabbau
  • Hörverlust, vermindertes Hörvermögen
  • Altersweitsichtigkeit, grauer Star

Krankhafte Alterserscheinungen

  • Reduzierte Hirnleistung
  • Osteoporose
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Diabetes Typ II
  • Krebs
  • (Alzheimer-)Demenz
  • Zahnverlust

Die gute Nachricht: Muskelaufbau und Stärkung der Knochen ist in jedem Alter möglich. Die Erhaltung kognitiver Fähigkeiten wird durch körperliche Be­tätigung unterstützt, einerseits über die bessere Durchblutung und andererseits über die Freisetzung von Botenstoffen, den sogenannten Zytokinen. Das Gehirn besitzt eine hohe Plastizität und bleibt lernfähig (!) bis zum Schluss; neue Synapsen können sich in jedem Alter bilden, und gesunde Hirnregionen können Aufgaben von geschädigten Regionen übernehmen, etwa nach einem Schlaganfall.

Hörgeräte können Hörverluste kompensieren; Brillen und Operationen sind in der Lage, (natürliche) Verluste zu korrigieren. Kaum jemand wehrt sich gegen eine Lesebrille, wenn die Arme zu kurz werden, um im Restaurant die Speisekarte zu entziffern, doch manch einer schämt sich immer noch, ein Hörgerät zu tragen. Dabei leiden schon 20 Prozent der 60- bis 69-Jährigen an einer Hörverminderung. Bei den über 80-Jährigen sind es bereits mehr als 70 Prozent. Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund von Hörverminderung können zu sozialem Rückzug, Stress, Angst und Einsamkeit führen. Es resultiert eine Zunahme der allgemeinen Gebrechlichkeit und es besteht ein erhöhtes Sturzrisiko. All dies beeinträchtigt die allgemeine Befindlichkeit und vermindert die Lebensqualität bis hin zu einer Depression.

Wandergruppe von Senioren im Bus.
Wandergruppe beim Spaziergang blickt auf den See.

Wandern gehört mit zu den Freizeitaktivitäten, die einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben. 2017 haben wir die die Wandergruppe St. Johann portraitiert, die jedes Jahr mehr als 20 Ausflüge in der Region Basel organisiert, bei denen das gemütliche Beisammensein nicht zu kurz kommt.

Eingeladen sind Pensionierte von Novartis und ihren Vorgängerfirmen, aber auch Interessierte, die in keiner dieser Firmen gearbeitet haben.

Des Weiteren beschleunigt ein Hörverlust die Abnahme kognitiver Fähigkeiten, wenn kein Signal mehr ins Hirn gelangt. Er gilt als Risikofaktor Nummer eins für die Begünstigung einer Demenzentwicklung. Darum unbedingt auch das Gehör regelmässig testen lassen. Egal ob altersbedingte oder krankheitsbedingte Defizite, die folgenden Faktoren tragen erwiesenermassen zum guten Altern und zur Demenzprophylaxe bei, wobei soziale Kontakte die wichtigste Rolle spielen. Sie gehen jedoch mit den anderen Faktoren meist Hand in Hand:

Soziale Kontakte / Partnerschaft:
den ersten Schritt machen, «wotsch e Brief, so schriib e Brief», alte Bekanntschaften auffrischen (wenn sich der Kreis ausdünnt), Angebote wahrnehmen.

Korrektur von Hör- und Sehverlust, Zahnhygiene:
Wie Augen und Ohren ist auch ein funktionierendes Gebiss für das Wohlbefinden und die Gesundheit von grosser Bedeutung.

Körperliche Mobilität:
Jede Bewegung zählt, auch mit dem Rollator; alle 20 Minuten kurz aufstehen macht schon einen Unterschied! Gilt auch für Büroangestellte.

Ernährung:
frisch, saisonal, abwechslungsreich, farbig, erhöhten Eiweissbedarf im Alter beachten, sich nicht von Modeerscheinungen leiten lassen, das Geniessen nicht vergessen!

Geistige Aktivität:
neugierig bleiben, Neues erlernen (Sprache, Instrument, Sportart, Tanz).

Gefühl, gebraucht zu werden:
z. B. Enkel hüten; Haustiere.

Weiterarbeiten / sinnstiftende Tätigkeit:
z.B. Ehrenamt.

Lifestyle:
wenig Alkohol, Rauchstopp, Bewegung.

Und was sagen die Altersforscher?

  • Alter ist nicht nur Schicksal – das Alter ist gestaltbar. Je früher wir uns damit auseinandersetzen, am besten ab 50, desto grösser werden die Spielräume für Kompensationsstrategien.
  • Wichtig für einen selbstbestimmten Umgang mit dem Älterwerden ist die Erkenntnis, dass Entwicklung in jeder Lebensphase möglich ist. Statt von «gutem» spricht die Forschung lieber von «zufriedenem» Altern.
  • «Zufriedenheit ist eine Sache der eigenen Bewertung und trägt den grossen Unterschieden zwischen den Betagten besser Rechnung.»
  • «Zufriedenheits-Paradoxon»: über 65-Jährige vs. junge Erwachsene.
  • Wer Altern nur mit Verlust, Krankheit und Tod in Verbindung bringt, hat tatsächlich eine verringerte Lebenserwartung *

Nun möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, noch mit der sogenannten Rubinstein-Methode bekannt machen. Offiziell heisst diese Methode respektive dieses Modell Selektive Optimierung mit Kompensation (SOK). Nach Baltes und Baltes (1991) beschreibt das SOK-Modell ein Konzept erfolgreicher Altersentwicklung, bei dem Personen ihre Lebensführung durch Selektion, Optimierung und Kompensation an Veränderungen und Einschränkungen anpassen. Arthur Rubinstein hat dieses Modell für sich perfektioniert. Er war ein begnadeter Pianist, der noch mit über 90 Jahren erfolgreich und mit viel Freude Konzerte gab. Sein Geheimrezept: Repertoire kürzen (Selektion), mehr üben (Optimieren) und die Abnahme der Fingerfertigkeit durch Verlangsamen sowohl der virtuosen wie der langsameren Passagen ausgleichen (Kompensieren). Rubinstein hat sich, ohne je von SOK zu hören, wunderschön und exemplarisch an seine altersbedingten Einschränkungen angepasst. Es erlaubte ihm weiterzuführen, was ihm besonders wichtig war.

Zusammenfassend lässt sich gesundes Altern wie folgt definieren:

  • Verlängerung der beschwerdefreien Lebenszeit (so weit noch möglich)
  • Lebensqualität und Zufriedenheit trotz Defiziten erleben
  • Autonomie erhalten
  • Auf Ressourcen statt auf Defizite fokussieren
  • Hilfe/Hilfsmittel annehmen
  • Lebenserfahrung für Kompensationsstrategien nutzen

Buchcover, "Wer älter wird braucht Spaß am Leben".

Zuallerletzt noch eine Buchempfehlung: «Wer älter wird, braucht Spass am Leben» von Bernd Stelter. Der Autor ist ein deutscher Kabarettist und Schriftsteller. In seinem Buch stellt er sich zu seinem 60. Geburtstag allen Themen rund ums Älterwerden und fasst mit Experteninterviews, lustigen Anekdoten und richtig guten Tipps auf unterhaltsame und verständliche Weise den Stand der heutigen Alterswissenschaften zusammen.

Zur Person:

Portrait Susanne Szabo Meyer.

Susanne Szabo Meyer ist eidg. diplomierte Pharmazeutin und hat über 30 Jahre in der pharmazeutischen Industrie gearbeitet, die letzten 20 Jahre bis 2021 bei Novartis Oncology. Die Unterstützung ihrer hochbetagten Eltern hat sie dazu inspiriert, sich auf dem Gebiet der Gerontologie und der Beratung zum Leben im Alter an der Universität Zürich weiterzubilden und die Beratungsfirma Vademecum zu gründen. Sie hält sich mit Krafttraining, Tanzen, Rudern und ausgedehnten Hundespaziergängen fit und engagiert sich ehrenamtlich im Altersbereich. Nebenbei arbeitet sie Teilzeit in einer Apotheke in Basel und ist auch im Ressort Seniorenpolitik des NPV tätig.

www.vademecum.me