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Wissenschaft
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Grundlagen für eine digitale Revolution

Das Projekt Pathology 2.0 der internen Start-up Plattform Genesis Labs hat nicht nur Novartis in Sachen Pathologie weitergebracht. Vielmehr lieferte es auch die Blaupause für eine europäische Initiative zum Aufbau einer öffentlich zugänglichen globalen Ressource, mit der sich die digitale Pathologie voranbringen lässt.

Text von K.E.D. Coan, Fotos von Adriano A. Biondo

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Aline Piequet präpariert Zellproben auf traditionelle Weise.

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Publiziert am 01/06/2020

In den 1970er- und 1980er-Jahren wurde durch die DNA-Sequenzierung und die Fortschritte in der Biotechnologie eine Flut von molekularen und genetischen Daten freigesetzt. Mit jeder neuen Entdeckung wuchs das einschlägige Know-how weiter. Doch schon bald wurde klar, dass sich der wissenschaftliche Wert und das Potenzial dieses wachsenden Wissensfundus nur dann maximieren lassen, wenn die Informationen in einer zentralen, öffentlich zugänglichen Ressource für Forscher weltweit gebündelt werden. 

Mit diesem Auftrag wurde das National Center for Biotechnology Information (NCBI), das 1988 von den U.S. National Institutes of Health gegründet worden war, betraut. Seitdem dienen die Datenbanken und Tools des NCBI Forschern in den Bereichen Molekularbiologie, Biochemie, Bioinformatik und Genetik als Referenz.

«Ohne das NCBI wären wir in diesen Bereichen nicht annähernd so weit wie heute», erklärt Pierre Moulin, Pathologe bei den Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR), der gleichzeitig das funktionsübergreifende Projekt Pathology 2.0 von Genesis Labs leitet, in dessen Rahmen maschinelles Lernen und Pathologie verknüpft werden. 

Auch die Pathologie ist an einem Wendepunkt angelangt. So sind leistungsfähige computergestützte Hilfsmittel inzwischen in der Lage, Bestände pathologischer Daten, die bislang viel zu komplex waren, um von Menschen detailliert ausgewertet zu wer­den, zu erfassen, zu analysieren und zu ex­trahieren. 

Die Idee des Pathology-2.0-Teams, Computern die Identifizierung verschiedener Gewebe beizubringen, entsprach dem Paradebeispiel eines äusserst lohnenswerten Forschungsprojekts, das von der Novartis Genesis Labs Initiative gefördert wird. Wenngleich die 18-monatige Finanzierung im Juni 2019 auslief, sind die Leistungen des Teams inzwischen so bedeutend, dass dessen Arbeit als gemeinsame Initiative zwischen Preclinical Safety und NIBR Informatics fortgesetzt wird. 

Trotz des schnellen Erfolgs war Moulin und seinen Kollegen aber auch bewusst, dass ihnen selbst und den Fortschritten des gesamten Forschungsbereichs durch den Umfang der verfügbaren Datensätze Grenzen gesetzt sein würden. Für Moulin Grund genug, eine Innovative Medicines Initiative (IMI) zu starten, um das Gegenstück zum NCBI für digitale Pathologie zu entwickeln. 

«Das Ziel ist recht hoch gesteckt, aber ich möchte eine öffentlich zugängliche Ressource schaffen, die im Bereich der digitalen Pathologie das erreichen wird, was dem NCBI in der Genetik, Genomik und Bioinformatik gelungen ist», betont Pierre Moulin.

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Die Proben werden in sehr dünne Scheiben geschnitten ...

Voll­tref­fer!

Pathologen leiten ihre Diagnosen aus der Beschaffenheit von Zellen und Geweben ab, die als hauchdünne Scheiben auf Glas- oder Kunststoffobjektträgern aufeinander geschichtet werden. In der Pharmazie trägt die Pathologie wesentlich dazu bei, Hinweise zur Toxizität potenzieller Therapien zu liefern. 

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Vorbereitung einer Probe

Um die vielen möglichen Konstellationen erkennen zu können, müssen Pathologen beinahe ein ganzes Jahrzehnt ausgebildet werden. Doch im Kontext der präklinischen Sicherheit, in dem die Gewebe in der Regel gesund sind, verbringen sie nicht weniger als 80 Prozent ihrer Zeit damit, lediglich den ordnungsgemässen Zustand eines Gewebes zu bestätigen. 

«Pathologen sind hoch ausgebildete Spezialisten, die über ein unglaubliches Wissen bezüglich Krankheiten und über bemerkenswerte kognitive Fähigkeiten verfügen. Doch wenn sie überwiegend normale Gewebeproben aus toxikologischen Studien untersuchen, gleicht ihre Arbeit zumeist der eines Roboters», macht Page Bouchard, Vice President und Global Head of Preclinical Safety, deutlich.

«Dieser Schritt ist ohne Frage wichtig und muss sorgfältig erfolgen. Aber wenn ein Com­puter diesen Routinejob erledigen würde, könnten sich die Pathologen auf anspruchsvollere geistige Tätigkeiten konzentrieren, beispielsweise auf die Untersuchung von Wirkungsmechanismen und Empfehlungen für die Entdeckung und Entwicklung neuer medizinischer Wirkstoffe.

 »Neben dem repetitiven Charakter ihrer Arbeit mussten sich Pathologen bislang ebenfalls darauf beschränken, die Komplexität jedes Bildes in einen kurzen schriftlichen Archivbericht zu zwängen, was dem eigentlichen Bildfundus nie gerecht wurde.

«Die Pathologie ist eine visuelle Wissenschaft, die auf dem Erkennen von Mustern basiert. In diesem Bereich lassen sich mit maschinellem Lernen Spitzenleistungen vollbringen», erklärt Bouchard, der zum Mentor des Pathology-2.0-Teams wurde. «Der Bereich ist ein gefundenes Fressen für die künstliche Intelligenz.»

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... und dann auf Objektträger aufgebracht.

Er­geb­nis­se in Re­kord­zeit

Zusammen mit einigen weiteren Freiwilligen* machte sich das Team um Pierre Moulin, Holger Hoefling, Tobias Sing, Imtiaz Hossain und Oliver Turner an die Entwicklung von Trainingsmodellen. Ihr Ziel war zunächst, sämtliche Gewebe von Ratten erkennen zu können und dann weitere Modelle für andere Arten zu entwickeln, auch für Menschen. Ebenso machten sie den Prozess bedeutend schneller und senkten die Zeitspanne, die für die Implementierung und Anwendung eines Modells erforderlich ist, von mehreren Monaten auf nur wenige Tage.

«Wir haben nunmehr den Beweis, dass man einem Computer beibringen kann, wie verschiedene Gewebe unter dem Mikroskop zu erkennen sind», so Moulin weiter. «Unsere Forschung beinhaltet ebenfalls die Quantifizierung von Merkmalen in bislang einmaliger Weise. So können wir über die Gewebemorphologie erstmals eine echte Datenextraktion betreiben.»

Ein weiteres, besonders spektakuläres Ergebnis besteht darin, dass die computer­gestützten Modelle zwischen Merkmalen unterscheiden können, die ihnen das Team nicht eigens aufgezeigt hat. 

«Wenn man sieht, dass die Modelle Gewebestrukturen erfassen, die sie gar nicht kennen können, weiss man, dass man auf dem richtigen Weg ist», freut sich Holger Hoefling, Lead of Scientific Data Analysis, Machine Learning and Quantitative Analysis. «Diese Ergebnisse machen uns überglücklich.»

Ein lohnenswertes Projekt

Die Fortschritte des Teams sind so überzeugend, dass es ihm nicht schwerfiel, NIBR Informatics und Preclinical Safety für die Finanzierung einer gemeinsamen Initiative zur Fortsetzung der Forschung zu gewinnen. Die nächsten Ziele umfassen die Umsetzung und Teilautomatisierung von Modellen für die Qualitätskontrolle. Ebenso soll weiter auf Modelle hingearbeitet werden, die Pathologen ermöglichen, Routineaufgaben schneller zu erledigen.

Doch Moulin erkannte, dass über diese Bemühungen hinaus eine noch grössere Revolution erforderlich war, um einen echten Durchbruch zu schaffen. «Das Know-how für die Modellentwicklung ist von grundlegender Bedeutung. Doch mindestens genauso wichtig ist ein besserer Zugang zu histologischen Schnittpräparaten», ergänzt Moulin. «Wenn wir die Voraussetzungen für die Entwicklung künftiger Modelle schaffen wollen, müssen wir auch das im Blick behalten.»

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Ein Blick ins Büro von Pierre Moulin, in dem er mit seinen Kollegen die digitalisierten Gewebeproben diskutiert.

Zu­sam­men­bau ei­ner glo­ba­len Res­sour­ce

«Viele Unternehmen im Bereich der auf künstlicher Intelligenz gestützten Pathologie arbeiten mit äusserst bescheidenen Probensätzen», bemerkt Moulin. «Digitale Pathologie kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn wir über uneingeschränkten Zugang zu einem riesigen Bestand an Schnittpräparaten verfügen. Und den gibt es derzeit nirgends.» 

Um eine solche Ressource aufzubauen, setzte sich Moulin mit Partnern aus der Industrie sowie der Leitung der Innovative Medicines Initiative (IMI) in Verbindung, der weltweit grössten Einrichtung zur Förderung öffentlich-privater Partnerschaften im Lifescience-Bereich. 

Zusammen mit der IMI und dem Europäischen Dachverband der Pharmaindustrie (EFPIA) verfasste Moulin einen Vorschlag für den Aufbau eines öffentlich zugänglichen Archivs digitaler Schnittpräparate von Spitälern, Forschungszentren und Pharmaunternehmen. Das Budget ist 70 Millionen Euro schwer. 32 Millionen steuert die Europäische Union und 38 Millionen die Pharmaindustrie (6 Millionen von Novartis) in Form von Millionen kommentierter digitaler Schnittpräparate bei. 

Die IMI hat die Ausschreibung für das zentrale Verzeichnis digitaler Schnittpräparate zur Unterstützung der Entwicklung von Instrumenten der künstlichen Intelligenz Ende Juni 2019 veröffentlicht. Bewerben können sich Hochschulkonsortien, Forschungszentren sowie kleine und und mittlere Unternehmen. Das Projekt soll  ab 2020 sechs Jahre lang finanziell unterstützt werden.

«Wir wollen diese Ressource europa- und weltweit teilen, um die Entwicklung der digitalen Pathologie auf nicht gewinnorientierte Weise zu beschleunigen. Denn die Partner aus der Pharmaindustrie erhalten von der Initiative kein Geld», macht Moulin deutlich, der im Konsortium die Seite der Industrie vertritt. «Diese Initiative wird eine ganze Armada an Möglichkeiten hervorbringen, mit denen sich Krankheiten besser verstehen lassen und das Mitwirken der Pathologen bei Patientenprognosen und allfälligen Therapien aufgewertet wird.»

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Imtiaz Hossain, Alessandro Piaia, Kuno Würsch (sitzend), Holger Hoefling und Pierre Moulin.

Kul­tu­rel­le Bot­schaf­ter

«Wie schnell, flexibel, leidenschaftlich und unternehmerisch die Genesis-Labs-Teams gearbeitet haben, war bislang absolut bemerkenswert. Und die Rückmeldungen waren unglaublich positiv», freut sich Ian Hunt, Head of Novartis Genesis Labs und Mitgründer der Initiative. Seit der ersten Runde wurde die Initiative auf Global Drug Development und Novartis Technical Operations ausgedehnt und hat elf Projektteams finanziell dabei unterstützt, ihre eigenen zukunftsträchtigen Ideen auszuloten und weiterzuentwickeln. 

Das Pathology-2.0-Team macht sich schon jetzt für die neuen Arbeitsweisen stark, die es über das Genesis-Projekt kennengelernt hat. «Die äusserst eigentümliche Dynamik der Genesis Initiative war ausschlaggebend für unseren Erfolg», stellt Moulin klar. «Wenn man mit einer heterogenen Gruppe von Wissenschaftlern zusammenarbeitet, die – statt stur ihre Linienfunktionen zu verkörpern – ihr Bestes geben wollen, kommt es zu einer gegenseitigen Beeinflussung und Motivation, die das Projekt einträglicher und schneller machen.»

«Ohne die stark interdisziplinäre Struktur der Genesis Initiative wäre das Projekt äusserst schwierig gewesen», schliesst Hoefling. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese durch Genesis Labs begründete neue Arbeitsweise fantastische Ergebnisse hervorbringen kann.»

* Weitere Teammitglieder: Alessandro Piaia, Arno Doelemeyer, Carlo Ravagli, Chandra Saravanan, Elaine Tritto, Gianluca Santarossa, Kuno Würsch, Michael Steeves, Vincent Romanet und Wolfgang Zipfel.

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