Die Farbe des Erfolgs: Ciba PF7 Fuchsin Musterbuch II, L. Peyer, 1863.
Es war ein eisiger, wolkenverhangener Tag im Winter des Jahres 1859. Der Wind pfiff über die eng beieinanderliegenden Dächer des «minderen Basel», wie die Kleinbasler Seite des Rheins damals genannt wurde. Mitten in dieser dicht besiedelten Gegend, an der unteren Rebgasse, hatte Alexander Clavel wenige Jahre zuvor eine Farbenmanufaktur und das zugehörige Labor übernommen. In der hintersten Ecke der Fabrik machte sich der französische Chemiker und Wahlbasler jetzt an seinen Laborinstrumenten und Färberkesseln zu schaffen.
Er war in Eile; kurz zuvor hatte er eine brandneue Rezeptur für den künstlichen roten Farbstoff Fuchsin von seinen französischen Verwandten in Lyon, den Gebrüdern Renard, erhalten. Clavel wusste, dass er damit den Schlüssel zu Ruhm und Reichtum in der Hand hielt. Er wollte unbedingt der Erste sein, der in der Schweiz den neuen Farbstoff herstellte – und er schaffte es auch.
Goldgräberstimmung
Ohne sich dessen bewusst zu sein, legte Clavel in seiner kleinen Basler Fabrik einen wichtigen Grundstein für die bald erstarkende chemische Industrie der Schweiz, wie Novartis-Firmen-Archivar Walter Dettwiler weiss. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der Entwicklung der Basler Industrie und ihrer Bedeutung im internationalen Umfeld. «Die Mitte des 19. Jahrhunderts war eine Zeit des Übergangs. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man nur die natürlichen Farbstoffe wie Indigo oder Pur-pur gekannt. Die Rohstoffe dafür kamen von weither und die Produktion war aufwendig. Als 1856 in England der erste künstliche Farbstoff er-funden wurde, brach eine Art Goldgräberstimmung aus, und alle wollten an diesen neuen Farbstoffen verdienen.»
Die künstlich hergestellten Farbstoffe wurden auch Anilinfarben genannt, weil die Stickstoffverbindung Anilin einer der Hauptbestandteile der Farbstoffsynthese war. Das Anilin wiederum wurde aus Steinkohleteer gewonnen. Diesen Stoff gab es in Basel zuhauf. Denn damals setzte sich aus Kohle gewonnenes Gas in Basel als Mittel zur Strassenbeleuchtung durch.
Aus den billigen Teerrückständen der Gaswerke stellten die Chemiker ihre neuen Farben her. Diese waren beim Waschen und im Sonnenlicht viel beständiger als die Naturfarbstoffe. Zudem konnte man nun auch ganz verschiedene, hell glänzende oder aber dunkle und kräftige Farbnuancen herstellen. All das war früher nicht möglich gewesen. Walter Dettwiler beschreibt die Wirkung, die die neuen Farbstoffe in Basel hatten, so: «Aus alten Aufzeichnungen wissen wir, dass Clavel seine Chance nutzte und den neuen roten Fuchsinfarbstoff mit grossem Erfolg verkaufen konnte. Die Nachfrage war so hoch, dass er schon bald alle Naturfarbstoffe durch synthetische Farben ersetzte.»
Auch rechtlich war alles in Ordnung. Obwohl die Fuchsinfarbe in Frankreich patentiert war, konnte Clavel den Farbstoff in der Schweiz produzieren. Denn hier gab es Mitte des 19. Jahrhunderts noch kein Patentgesetz, das ausländische Erfindungen geschützt hätte.