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Travels in medicine
Ein Paradies für die Wissenschaft.
Natur und Kultur
Lange galt der Campus als eine Art verbotene Stadt. Heute, da das Areal tagsüber für die Öffentlichkeit zugänglich ist, lässt sich erkennen, dass der Campus viel mehr ist als nur eine Stadt in der Stadt. Hier verschmelzen Natur und Kultur zu einer Einheit.
Text von Goran Mijuk und Michael Mildner, Fotos von Kostas Maros, Adriano A. Biondo und Novartis Archiv.
Beton, Asphalt, Stahl und Rauch, das Rattern von Zügen, das Dröhnen der Schiffshörner auf dem Rhein, der säuerliche Geruch, der überall auf dem Gelände spürbar war: So fühlte sich das St. Johann bis weit über das Ende des 20. Jahrhunderts an.
Rund 150 Jahre lang war das Quartier ein wichtiges Zentrum der Industrialisierung – zunächst in der Farbstoffchemie, später im Bereich der Bauchemie und Pharmazie. Firmen wie die Gebrüder Bloch & Cie., Durand & Huguenin und Kern & Sandoz schlugen hier ihre Zelte auf.
St. Johann – rund 150 Jahre lang war das Viertel ein wichtiges Zentrum der Industrialisierung.

Die für die schweren Produktionsprozesse benötigte Energie kam aus der Verheizung von Kohle, später Öl, bis in die 1980er-Jahre, als ein gesellschaftliches Umdenken stattfand und Fragen um Energie und Abfallentsorgung neu verhandelt wurden.
Der Rhein, der bis anhin für alles herhalten musste, wurde generalsaniert, vor allem nach der Havarie in Schweizerhalle, die zeigte, wie wenig es für eine Katastrophe von fast biblischem Ausmass braucht.
Neues Arbeitsethos
Heute ist von dieser Zeit und diesem Zeitgeist fast nichts mehr zu spüren. Das St. Johann hat sich in einen Campus verwandelt, auf dem geforscht und an der Zukunft der Medizin gearbeitet wird.
Rauchende Schlote, Güterwagons oder Zeichen von Luftverschmutzung sucht man vergebens. Gab es noch vor rund 25 Jahren nicht einmal ein Dutzend Bäume auf dem Areal, so sind es heute fast 3000.
Der Campus fühlt sich mitunter wie ein Dschungel an.

Im Rahmen des um die Jahrtausendwende, kurz nach der 1996 erfolgten Gründung von Novartis lancierten Campusprojekts wurden Wiesen- und Parks angelegt, moderne Labor- und Bürogebäude hochgezogen und Kunst im öffentlichen Raum gezeigt.
Ziel war es, ein neues Arbeitsethos zu schaffen, in dem der Mensch nicht mehr nur Rädchen in einer Maschine ist, sondern sich wieder als Teil einer von ihm gestalteten Natur fühlt. Dieses Zusammenspiel von Natur und Kultur spürt man auf Schritt und Tritt, wenn man sich durch den Campus bewegt.
Neben der Garageneinfahrt scheinen die Farne geradezu zu leuchten.

Einige der sieben Steine aus der Kunstinstallation von Ulrich Rückriem.

7 Steine
In gedrängter Form kommt dies eindrücklich in Ulrich Rückriems Skulpturen zum Ausdruck, der zu den ersten Künstlern gehörte, die um die Jahrtausendwende auf dem Campus ausgestellt wurden. In seiner Arbeit «7 Steine» auf dem Forum hat Rückriem vertikale Schnitte in rohe Steinblöcke gefräst. Die Steine sind an der Unterseite flach geschnitten, damit sie genau auf die Platten passen. Sie erzeugen dadurch ein Spiel, das die reguläre Anordnung der Platten optisch aufbricht und den Platz belebt.
Rückriems Skulpturen sind von einer Rohheit, vor der wir zunächst zurückschrecken. Sie legen oft nur den natürlichen Stein frei, fast so, als ob die Brocken schon seit Urzeiten in der Landschaft stünden. Selbst wenn Rückriem stärker in den Stein eingreift, ihn verfremdet und ihm einen Zweck beimisst, strahlen seine Werke eine Ursprünglichkeit aus, die schwer in Worte zu fassen ist.
Natur und Kultur kommen so scheinbar gleichzeitig zur Sprache, werden zu einer Einheit, gehen unauflöslich ineinander auf. Dabei hält sie der Stein in einer scheinbar ewig dauernden Umklammerung zusammen: Natur und Kultur sind eins.


Noch bevor das Forum vollständig gebaut war, schmückten bereits Birken das Gelände.
Der Birkenhain im Innenhof des Forum 1 gab den Startschuss für das Campus-Projekt.
Parks, Wiesen und Kunst
Das gilt für den Campus als Ganzes. Die ästhetisch und technisch auf dem höchsten Niveau gestalteten Gebäude stehen im Einklang mit den verschiedenen, sich auf rund 20 Hektar erstreckenden Gartenanlagen.
Dazu gehört etwa der Courtyard im Forum 1, der von Peter Walker entworfen wurde. Dieser hatte bereits 1999 die Gesamtverantwortung für die Gestaltung der Park- und Wiesenlagen übernommen, noch bevor Vittorio Magnago Lampugnani den Masterplan für den Campus entwarf.
Walkers Ziel war es, eine Landschaft zu schaffen, in der sich die Menschen wohl fühlen, aber auch die Gelegenheit haben, sich Pausen zu gönnen oder gemeinsam zu arbeiten. Er entwarf auch das Forum sowie die Allee entlang der Fabrikstrasse, an deren nördlichem Abschluss sich die mächtigen Stahlwände von Richard Serra auftürmen – eines von rund 20 Kunstwerken auf dem Campus im öffentlichen Raum.
Pflege
Heute kümmert sich ein Team von 16 Gärtnern unter der Leitung von Oliever Meyer um die Pflege der Grün- und Schwarzflächen. Dabei gilt dem Park Süd beim Haupteingang des Campus die grösste Aufmerksamkeit.
Ein Team von Gärtnern hält den Campus frisch und grün.

Der Park Süd zeigt eine typische Juralandschaft mit Bäumen, Sträuchern und Wiesen, die sich harmonisch zum Rhein hin erstreckt. Obschon bloss eine Erdschicht über der Tiefgarage zur Verfügung steht, wachsen hier rund 1000 Pflanzen. Stellenweise fühlt sich der Park an wie ein Dschungel, vor allem nach einem Sprühregen im Sommer, wenn die Luft in feuchten Schwaden zu den Baumkronen steigt.
Der Wellenbrecher findet sein neues Zuhause in der Nähe des Rheins.

Der Physic Garden mit seinen rund 80 Heilpflanzen, der an die frühe Naturstoffproduktion von Sandoz und Ciba-Geigy erinnert, ist ebenfalls anspruchsvoll. «Wir sind ständig dafür besorgt, diese Pflanzen gemäss ihren individuellen Bedürfnissen zu pflegen und zu verhindern, dass sich eine schnell wachsende Sorte wie etwa Pfefferminze in andere Beete ausbreitet», erklärt Meyer.
Auf dem Campus verschmelzen Natur und Kultur.

Weiter nördlich liegt der Park Nord, der bis zur Grenze nach Frankreich reicht. Hier ist die Pflege der Sträucher besonders arbeitsintensiv, es gilt ein Überwuchern zu verhindern.
Auch das Gebäude von Rahul Mehrotra mit seiner begrünten Fassade und dem dschungelartigen Innenhof gibt viel zu tun, genauso wie die begrünten Dächer auf vielen neuen wie auch alten Campusgebäuden. «Diese zusätzlichen Flächen machen nochmals einige Hektar aus, für die wir verantwortlich sind. Insgesamt, also mit den Strassen und Wegen, betreuen wir eine Fläche von rund 20 Hektaren auf dem Campus.»
Flug über die Rheinpromenade.
Sorgfalt und Qualität
Die Grünanlagen, die vor fast drei Jahrzehnten von Peter Walker entworfen und von nationalen und internationalen Landschaftsarchitekten weiterentwickelt wurden, sind ein natürliches Spiegelbild der hochmodernen Gebäude. Erst im Zusammenspiel bilden sie die Einheit des Campus.
Im Kern drücken sie dasselbe aus: höchste Sorgfalt und Qualität. Die Parkanlagen sind Symbol des menschlichen Gestaltungswillens, nicht anders als wenn es darum geht, innovative Gentherapien oder nuklearmedizinische Medikamente herzustellen oder an neuen RNA-Therapien zu arbeiten.
Auf dem Campus löst sich der Gegensatz von Natur und Kultur auf und wird eins wie in den Werken Rückriems. Sie gehen symbiotisch ineinander auf, wobei der Mensch stets im Mittelpunkt steht.
Heute gehört der Campus nicht nur den Mitarbeitenden von Novartis, sondern der Öffentlichkeit, die sich ihr eigenes Bild des St. Johann machen kann. Die verbotene Stadt gibt es nicht mehr.


