Im Fokus: «Die letzte Meile»
Mehr Daten, höhere Präzision
Herausforderungen meistern
Patient mit Lepra-Läsion, die von einem Experten markiert wird. Diese Daten werden später durch einen KI-Algorithmus verarbeitet.
Wissenschaft
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Neueste Technik im Kampf gegen die älteste Krankheit der Welt

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden 2018 über 200 000 Menschen neu mit Lepra diagnostiziert. Diese Zahl ist nicht nur sehr hoch, sondern auch weit vom Ziel der WHO entfernt, die Krankheit einzudämmen. Um die WHO in ihrem Bestreben zu unterstützen, arbeitet die Novartis Stiftung mit Microsoft zusammen und setzt im Kampf gegen Lepra künstliche Intelligenz (KI) ein.

Text von  Patrick Tschan, Fotos von Alexander Kumar

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Wenngleich Lepra behandelbar ist, scheitert die Ausrottung der Krankheit hauptsächlich daran, dass die Gesundheitsinfrastruktur in vielen Ländern unzureichend ist.

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Publiziert am 23/11/2020

2018 ging der Roadmovie Yommeddine, ein Film über einen geheilten Leprapatienten und dessen schwierige Rückkehr in die Gesellschaft, bei den Filmfestspielen von Cannes ins Rennen um die Palme d’Or. Der Streifen bot ungewöhnliche Einblicke in das bittere Schicksal eines Menschen, der wie Hunderttausende andere an Lepra und damit an einer zwar heilbaren, aber seit Jahrzehnten nicht zu eliminierenden Krankheit leidet.

Mit einer Kombinationstherapie (MDT) lässt sich Lepra seit den 1970er-Jahren relativ einfach in den Griff bekommen. Doch trotz dieser Möglichkeit ist die Erkrankung ein weltweites Gesundheitsproblem, zumal die Kombinationstherapie nur ein Element im Kampf gegen die älteste Krankheit der Welt ist. Fast noch wichtiger sind Diagnose und frühzeitige Vorbeugung von Neuinfektionen. 

Die Zahl der neu mit Lepra diagnostizierten Patienten verharrte im letzten Jahrzehnt hartnäckig bei rund 200 000 bis 250 000 Patienten pro Jahr. Mitschuldig an diesem Umstand ist die Tatsache, dass Lepra eine Inkubationszeit von über 20 Jahren aufweisen kann und häufig in schwer zugänglichen Gebieten mit schlechter Gesundheitsversorgung auftritt. Dementsprechend können unbehandelte Patienten die Krankheit insbesondere in der Frühphase leicht verbreiten.

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Ein Fotograf macht hochauflösende Aufnahmen eines Lepra-Patienten.

Im Fo­kus: «Die letz­te Mei­le»

Die sogenannte letzte Meile steht bei der Novartis Stiftung im Mittelpunkt des Kampfes gegen Lepra. Um die Ausbreitung von Lepra einzudämmen, hat die Stiftung in den letzten 20 Jahren mehrere Programme aus der Taufe gehoben. 

«Neben der Diagnose und Behandlung von Leprapatienten, dem Screening und der Postexpositionsprophylaxe für Menschen, die mit neu diagnostizierten Patienten Kontakt haben, konzentrieren sich unsere Programme auch auf die Früherkennung. Das ermöglicht uns ein rasches Eingreifen», erläutert Lepra-Projektmanagerin Gani Zaahira.

Ein auf den Philippinen durchgeführtes Projekt dieser Art ist darauf ausgerichtet, den örtlichen Gesundheitsfachkräften die Arbeit mithilfe von Smartphones zu erleichtern. Die Fachkräfte machen dabei Fotos von verdächtigen Hautläsionen, die erste Anzeichen für Lepra sein könnten, und übermitteln diese an Spezialisten. 

Ärzte, die am sogenannten LEARNS-Programm (Leprosy Alert Response Network and Surveillance System) teilnehmen, stellen die Diagnose und leiten die notwendige Behandlung ein. Bis dato wurden über 5000 Mitarbeitende des philippinischen Gesundheitswesens im Umgang mit diesem Tool geschult. Sie können Diagnosen nun erheblich schneller stellen und 75 Prozent der verdächtigen Hautveränderungen korrekt als Lepra erkennen. 

Künstliche Intelligenz für die letzte Meile

Angesichts des Erfolgs von LEARNS verstärkte die Novartis Stiftung ihre Bemühungen im digitalen Bereich und arbeitet seit Kurzem mit Microsoft zusammen, um ein völlig neues digitales System für raschere Diagnosen zu konzipieren. 

Zurzeit entwickeln die beiden Firmen gemeinsam ein KI-gestütztes Tool, um Lepra per Bildanalyse zu erkennen. «Dies könnte es uns ermöglichen, die älteste bekannte Krankheit der Welt mit neuesten technologischen Mitteln zu eliminieren», freut sich die Leiterin der Novartis Stiftung, Ann Aerts. «Digitale Technologien können uns wirklich dabei unterstützen, die letzten Meter bis zum Ziel zu verkürzen und Lepra für immer in die Geschichtsbücher zu verbannen.»

Das neue Tool stützt sich auf Bilder von Hautläsionen. «Bis Oktober 2019 hatten wir über 800 Fotos von 170 Leprapatienten gemacht. Konkret handelt es sich dabei um extrem hochauflösende Bilder von Armen, Beinen und Rücken mit besonders lepraverdächtigen Hautveränderungen», erläutert Johannes Boch, Stakeholder Engagement Lead bei der Novartis Stiftung, der das AI4Leprosy-Projekt für Novartis leitet. 

«Auf manchen Bildern wurden mit einer einzigen Aufnahme bis zu 150 lepröse Hautveränderungen erfasst.» Jede Wunde wird von Dermatologen untersucht und als leprös oder nicht leprös eingestuft. Als Endergebnis wird eine visuelle Beschreibung der betroffenen Hautpartien erstellt. Die Bilddaten werden im Anschluss zusammen mit anderen Patientenmerkmalen von dem von Microsoft entwickelten KI-Algorithmus verarbeitet. Auf Basis dieser Daten «lernt» der Algorithmus, gesunde von erkrankten Hautpartien zu unterscheiden.

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Abgelegene Regionen sind ein grosses Hindernis...

Mehr Da­ten, hö­he­re Prä­zi­si­on

Die aktuellen Daten stammen überwiegend aus Brasilien, wo die Zahl von Lepra-Neuansteckungen äusserst hoch ist. Um die Bilder zusammenzutragen und mit Daten von Leprapatienten zu kombinieren, arbeitet die Novartis Stiftung mit der Oswaldo Cruz Foundation (Fiocruz) zusammen. Das von Fiocruz gestellte medizinische Personal diagnostiziert und stuft die Symptome entsprechend ein.

Das Ergebnis dieses Prozesses soll den Beweis dafür liefern, dass sich KI zur Erkennung lepröser Hautläsionen einsetzen lässt. Ziel ist es, künftig mit einem Smartphone die Diagnose durchführen zu können. Damit wäre jeder beliebige Nutzer in der Lage, Hautläsionen zu fotografieren, die Aufnahmen in die Cloud zu übertragen und vom KI-Algorithmus zu erfahren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Lepraerkrankung ist. Die Resultate könnten als Entscheidungshilfe für weitere Diagnoseschritte dienen.

«Der KI-Algorithmus wird gegenwärtig darauf trainiert, korrekt zwischen leprösen, anderen Läsionen und einem normalen Hautbild zu unterscheiden. Sobald wir wissen, ob das funktioniert, wollen wir den Algorithmus durch Einbezug weiterer Bilder und Daten aus Indien zuverlässiger machen. So könnten wir auch Bilder unterschiedlicher Qualität integrieren und den Algorithmus weiter verbessern», erläutert Johannes Boch die Vorgehensweise.

Gangadhar Sunkara, der das Team in Indien leitet, hat ähnliche Ziele vor Augen. «Indien hat nach wie vor stark mit Lepra zu kämpfen. Von Bedeutung sind nicht nur das Stigma und der Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten, sondern auch die Herausforderung einer frühzeitigen Diagnose. Die Nutzung digitaler Technologien und das Potenzial, das sich durch die Entwicklung eines KI-gestützten Tools für eine raschere Diagnose ergibt, können dazu beitragen, dieses Übel frühzeitig zu bekämpfen und damit den Patienten das schlimme Leid einer unbehandelten Krankheit mit all ihren Folgen zu ersparen.»

Das AI4Leprosy-Team hofft, dass der Algorithmus bereits kurzfristig in den meisten Fällen eine korrekte Lepradiagnose trifft. 

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More than words: fighting leprosy with artificial intelligence
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...bei der Eliminierung von Lepra.

Her­aus­for­de­run­gen meis­tern

Die Beschaffung hochwertiger, nutzbarer Daten ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. «Probleme wie die Verfügbarkeit von qualifiziertem medizinischem Personal, das Lepra erkennen und beschreiben kann, die Gewinnung hochwertiger Datenreihen für die Proof-of-Concept-Phase sowie leistungsfähige Computer mit schneller Internetverbindung für die Übertragung hochauflösender Bilder entpuppen sich immer wieder als Stolpersteine», erläutert Johannes Boch einige der praktischen Hindernisse.

Doch trotz dieser Probleme ist Boch überzeugt, dass die Initiative ein Erfolg wird. Denn zunächst einmal gibt es in Brasilien mehr Smartphones als Einwohner. Ausserdem besitzt das Land ein selbst in ruralen Gegenden gut ausgebautes Mobilfunknetz. «Die Hoffnung ist berechtigt, dass Information und Aufklärung in der Bevölkerung werden dazu beitragen können, dass diesem KI-Tool vertraut wird und sich dadurch Diagnosen beschleunigen lassen», so Boch weiter. Beispielsweise kann eine Ferndiagnose helfen, Lepra frühzeitig zu erkennen und den Patienten eine Behandlung zu ermöglichen, bevor sie irreversible Nervenschäden erleiden oder andere Personen anstecken.

Das Ziel, Lepra zu eliminieren, bleibt aufgrund der weiterhin hohen Zahl an Neuinfektionen herausfordernd. Doch für Boch ist ein benutzerfreundliches, KI-gestütztes System für die Lepraerkennung ohne Frage eine grosse Hilfe bei der Suche nach nicht diagnostizierten Patienten. Würde es in betroffenen Ländern eingesetzt, könnte es dazu beitragen, die Ausbreitung von Lepra weiter einzudämmen und die Lebensqualität von Patienten – entgegen dem im Film Yommeddine dargestellten bitteren Schicksal – erheblich zu verbessern.

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Eine Kombinationstherapie (MDT) umfasst die Nutzung dreier Antibiotika, von denen zwei von den Novartis-Vorgängerunternehmen entwickelt wurden. Die Therapie hatte durchschlagenden Erfolg und half, die Zahl der Leprafälle von über 5,3 Millionen im Jahr 1985 auf 2,2 Millionen im Jahr 1993 zu senken. Allein in den letzten 20 Jahren wurden über 16 Millionen Leprapatienten mit einer Kombinationstherapie behandelt. 

An dieser Erfolgsgeschichte hat Novartis erheblichen Anteil. So hat das Unternehmen Leprapatienten über die Weltgesundheitsorganisation seit dem Jahr 2000 kostenlos Kombitherapien bereitgestellt und über 56 Millionen Blisterverpackungen im Wert von mehr als 90 Millionen US-Dollar gespendet. Diese Massnahmen halfen, weltweit über 6 Millionen Patienten zu behandeln. 2015 kündigte das Unternehmen vor dem Hintergrund der London Declaration on Neglected Tropical Diseases an, sein Programm bis 2020 zu verlängern.

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