Solide Grundlage
Fünf Schwerpunktbereiche
Kultur und Vertrauen
Dr. Kwaku Ohene-Frempong bei Untersuchung eines Babies in einer Arztpraxis in Ghana.
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Pure Willenskraft

Es gibt viele gute Ideen. Entscheidend ist aber ihre Umsetzung.

Text von Goran Mijuk und K. E. D. Coan

Fotos von Brent Stirton

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Jedes Jahr werden in Ghana über 15 000 Kinder mit Sichelzellenanämie geboren.

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Publiziert am 08/06/2020

Jonathan Spector, der bei den Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR) die Global-Health-Aktivitäten leitet, hätte sich nie vorstellen können, dass sein kurzer Schwatz mit NIBR-Präsident Jay Bradner vor vier Jahren in einem Gesundheitsprogramm zur Bekämpfung einer der schwersten Erbkrankheiten Afrikas münden würde.

Und doch geschah genau das, als Spector Mitte 2016 mit Bradner zusammentraf, der erst wenige Monate zuvor von der Harvard Medical School und dem Dana-Farber Cancer Institute zu Novartis gestossen war, um dem Forschungskosmos von Novartis mit seiner erstklassigen Pipeline – darunter auch mehrere Programme für Sichelzellenanämie – neue Impulse zu verleihen.

Auf dem Weg zu ihrem nächsten Meeting am NIBR-Sitz in Cambridge unterhielten sich die beiden über ein Programm für eine rheumatische Herzkrankheit in Sambia. Bradner, ein weltweit renommierter Hämatologe, machte dabei deutlich, dass es auch für die Sichelzellenanämie, eine in Afrika häufig auftretende vererbte Blutkrankheit, an medizinischen Lösungen fehlte.

«Das brachte den Stein ins Rollen», erklärte Spector, als ihn das live-Magazin wenige Wochen vor dem offiziellen Beginn des Novartis Africa Sickle Cell Disease Program im November 2019 in Ghana befragte. «Zufälligerweise fand wenige Monate später in Ghana ein wichtiger Kongress zum Thema Sichelzellenanämie statt. Also begab ich mich vor Ort, um mehr über diese Erkrankung und die damit verbundenen Herausforderungen im Gesundheitsbereich zu erfahren.»

Die Sichelzellenanämie betrifft Millionen von Menschen weltweit und fordert jährlich über 100 000 Todesopfer. Die meisten Betroffenen leben in Afrika. Obschon die Erkrankung vergleichsweise gut erforscht ist – Auslöser ist ein abnormes Protein, das die roten Blutkörperchen wie Sicheln aussehen lässt –, gibt es noch keine Heilung. Auch Therapien sind bislang nur beschränkt verfügbar. Das gilt insbesondere für Afrika, wo selbst kostengünstige Generika für Patienten häufig unerschwinglich sind.

«Die Reise nach Ghana war wie eine Erleuchtung», erinnert sich Spector. «Ich bin eigentlich Kinderarzt und seit Jahren im Bereich der weltweiten Gesundheit tätig. Doch die Sichelzellenanämie hatte ich bislang nicht auf dem Radar. Das zeigt, welche untergeordnete Rolle diese Krankheit bisher gespielt hat. In Ghana begann ich, mich mit der Krankheit zu befassen, und bemerkte, dass sich dort schon vor mir Mitarbeitende von Novartis mit dem Problem beschäftigt hatten. Das Netzwerk, das unser Unternehmen bereits in Afrika aufgebaut hatte, trug wesentlich dazu bei, unsere Ideen in die Praxis umzusetzen.»  

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Babys werden auf Sichelzellenanämie getestet.

So­li­de Grund­la­ge

In Ghana lernte Spector Dr. Kwaku Ohene-Frempong, einen der weltweit führenden Spezialisten für Sichelzellenanämie, kennen. Ohene-Frempong war viele Jahre lang am Children’s Hospital in Philadelphia tätig gewesen und gründete seinerzeit die Sickle Cell Foundation of Ghana, um in seiner Heimat das Leid durch diese schwere Krankheit zu lindern.  Der unter Kollegen als «Kof» bekannte Mediziner war mit Spector schnell auf einer Wellenlänge. «Roland Hammond-Addo, Fionnuala Doyle und andere Mitstreiter von Novartis hatten bereits begonnen, Kofs Team bei der Entwicklung der ersten Therapierichtlinien für Sichelzellenanämie in Ghana zu unterstützen. Kof schätzte die Kollegen und war äusserst offen für Möglichkeiten, die Zusammenarbeit auszubauen», unterstrich Spector. 

Der von Hammond-Addo, Doyle und anderen zu Kof aufgebaute Kontakt erwies sich als entscheidend sowie als Ausgangspunkt und Sprungbrett für die Gründung einer Gruppe engagierter Mitarbeitender von Novartis, die nach einer potenziellen Lösung für die Behandlung der Sichelzellenanämie in Ghana und anderen Ländern suchten. 

«Dank des guten Verhältnisses zu Kof erhielt das ursprüngliche Konzept weiteren Auftrieb», fügte Spector hinzu. «Die Sichelzellenanämie war in dreierlei Hinsicht einzigartig: Es bestand riesiger Nachholbedarf und bislang hatte sich kein bedeutendes Unternehmen im grossen Stil damit befasst, während sich bereits mehrere Divisionen von Novartis ausgiebig dem Krankheitsbereich widmeten. Schon nach kurzer Zeit fanden sich Kollegen, die bereit waren, sich zu einer Art ‹Koalition der Willigen› zusammenzuschliessen und dabei auszuloten, welchen historischen Beitrag Novartis leisten könnte.» 

Neben der frühzeitigen Unterstützung durch Global Health COO Lutz Hegemann und Head of Novartis Social Business Harald Nusser gesellte sich schon bald Spectors langjähriger Weggefährte Andrew Cavey zur Gruppe, mit dem Spector bereits 2005 zusammengearbeitet hatte. Als ausgebildeter Mediziner war Cavey eine mehr als willkommene Bereicherung. Er leitete die klinischen Studien zu einem innovativen antikörperbasierten Medikament gegen Sichelzellenanämie, dem ersten gegen diese Krankheit gerichteten Wirkstoff überhaupt. 

Später stiessen weitere Mitglieder zum Team hinzu, darunter Kileken ole-MoiYoi, der für die Strategie hinter den Global-Health-Aktivitäten von Novartis zuständig ist, sowie Christopher Junge von Sandoz in Holzkirchen.

Nachdem das Konzept langsam Gestalt annahm, stieg im April 2018 Tay Salimullah, der zuvor in verschiedenen Divisionen von Novartis für die Preisgestaltung und den Medikamentenzugang verantwortlich gewesen war, mit ins Boot. Rasch stellte er ein vielseitiges Team von Mitgliedern aus allen Teilen des Konzerns zusammen, die das Projekt befeuerten und das schier Unmögliche erreichten: die praktische Umsetzung des Konzepts, als das Programm am 6. November 2019 in Ghana offiziell lanciert wurde.

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Ein schneller Bluttest zeigt, ob ein Kind an Sichelzellenanämie leidet.

Fünf Schwer­punkt­be­rei­che

Mit der feierlichen Unterzeichnung in der ghanaischen Hauptstadt Accra, bei der Regierungsvertreter, CEO Vas Narasimhan, Global Health Head Patrice Matchaba und Kolleginnen und Kollegen von Sandoz und Novartis zugegen waren, erreichte das bisweilen turbulente Unterfangen seinen Höhepunkt.

Das von Salimullah geleitete funktionsübergreifende Projektteam hatte das Programm in etwas mehr als einem Jahr mit den folgenden fünf Schwerpunktbereichen aufgebaut: Zugang zu und Entwicklung von Arzneimitteln, Stärkung der Gesundheitsfürsorge und der Ausbildung sowie mehr Engagement und politische Initiativen, um das mit der Krankheit verbundene Stigma zu beseitigen.

Ein wichtiger erster Schritt bestand laut Salimullah darin, den Patienten in Ghana den Zugang zu einem Medikament gegen Sichelzellenanämie zu ermöglichen, das seit Jahrzehnten in vielen anderen Teilen der Welt verwendet wird. Die Rede ist von Hydroxyurea, das gegen maligne Bluterkrankungen eingesetzt wird und sich auch bei der Behandlung der Sichelzellenanämie als wirksam erwiesen hat. 

«Auch wenn Hydroxyurea in den letzten 20 bis 30 Jahren in den USA und der Europäischen Union routinemässig verwendet wurde, ist es in vielen afrikanischen Ländern nicht einmal verfügbar», machte Tay Salimullah deutlich. «Dass Hydroxyurea in vielen der Länder mit den meisten Erkrankungen gar nicht zugelassen ist, ist eine Tragödie.» 

Dank der Kolleginnen und Kollegen von Sandoz erwirkte das Team in nur acht Wochen die Zulassung. Inzwischen befassen sich die Kollegen ebenfalls mit einer pädiatrischen Formulierung des Medikaments, um die Behandlung für die mehr als 15 000 Kinder, die in Ghana jährlich mit der Erkrankung geboren werden, zu verbessern.

Ein weiterer Schwerpunkt des Programms bestand laut Salimullah in einer klinischen Studie für einen biologischen Wirkstoff in Afrika. Das Mittel wird im nächsten Jahr in zwei ghanaischen Spitälern getestet. Weitere Länder dürften folgen. 

Um das Gesundheitssystem in Ghana zu stärken, half Salimullahs Team auch dabei, Exzellenzzentren aufzubauen und Wissenschaftlern in Afrika Ausbildungs- und Forschungsmöglichkeiten zu verschaffen. Unter anderem wurde eine digitale App zur Erfassung von Echtzeit-Daten lanciert, damit Hydroxyurea auf sichere und verantwortungsbewusste Weise eingeführt wird. 

Ebenso bemüht sich das Team im Rahmen seiner auf fünf Säulen gründenden Strategie, gegen das mit der Krankheit verbundene Stigma anzukämpfen. «Ein entscheidender Punkt besteht darin, das der Sichelzellenanämie anhaftende Stigma loszuwerden», stellte Salimullah klar. «Es kommt immer wieder vor, dass Erwachsene ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn ihre Arbeitgeber von der Erkrankung erfahren. Schulkinder werden bei Schmerzanfällen häufig nach Hause geschickt, ausserdem werden Kinder immer wieder verstossen, weil die Leute in den Dörfern glauben, ihre Symptome seien auf Hexerei zurückzuführen. Die Erkrankung ist nicht nur mit Blick auf den Zugang zu Therapien, sondern auch aus gesellschaftlicher Perspektive verheerend.»

Diese Ausgangslage, so Salimullah weiter, müsse sich ändern. «Wir wollen gemeinsam einen Kontinent schaffen, auf dem Kinder ohne Ausgrenzung die Schule besuchen, junge Erwachsene ohne Angst vor ihrer Krankheit einen Job finden können und Vertrauen die Basis der Zivilgesellschaft bleibt. Kurz: Wir werden alles tun, um der Sichelzellenanämie mit unseren Partnern in Ghana und darüber hinaus ihren Schrecken zu nehmen.»

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Die Diagnosedaten werden in einer App gespeichert.

Kul­tur und Ver­trau­en

Das funktionsübergreifende Team mit Kolleginnen und Kollegen von Novartis, Sandoz, Global Drug Development (GDD), Oncology und NIBR hat in den letzten Quartalen aber auch an anderen Fronten beträchtliche Fortschritte erzielt. So entwickelte es eine innovative Preis- und Vertriebsstrategie, um Hydroxyurea allen betroffenen Patienten, auch in ländlichen Gegenden Ghanas, zugänglich zu machen. 

Nachdem die ersten 6000 Therapieeinheiten in Ghana angeliefert wurden, ging man zudem eine Partnerschaft mit Zipline ein, einem drohnengestützten Liefersystem. «Durch unsere Zipline-Jungfernflüge kamen Patienten, die für die Einlösung ihrer Rezepte bisweilen bis zu sechs Stunden unterwegs sein mussten, in den Genuss von Therapien», machte Salimullah deutlich. 

Da das Team inzwischen um eine Ausweitung des Programms über Ghana hinaus bemüht ist – derzeit laufen Verhandlungen mit fünf weiteren Ländern –, liess Salimullah die Vergangenheit Revue passieren, um an all die Erfolge zu erinnern und die Notwendigkeit des kulturellen Wandels bei Novartis zu unterstreichen: «Uns war klar, dass das Programm die Lebensqualität der Menschen verbessern sollte. Doch mit der Beibehaltung des Status quo bei Novartis wäre es nicht getan gewesen.»

Vielmehr wollte das funktionsübergreifende Team beweisen, dass sich mit Neugier, Inspiration und hierarchielosem Denken Berge versetzen lassen. «Wenn es die jeweilige Kultur so wie unsere zulässt, darf man durchaus immer wieder die gleiche Frage stellen: ‹Wie können wir mehr Patienten erreichen und was müssen wir tun, um schneller zu liefern?›», machte Salimullah deutlich.

Unterdessen zeigt der Erfolg des Programms, welch soliden Ruf Novartis geniesst und welches Vertrauen die Mitarbeitenden laut Spector über die Jahre weltweit geschaffen haben. «Es zählt buchstäblich jede Interaktion», betonte Spector. «Hätte Kof nicht dieses gute Verhältnis zu Roland und Fionnuala unterhalten, wäre das Programm möglicherweise schon im Keim erstickt worden. Doch durch das Vertrauen, das Novartis im Laufe der Jahre aufgebaut hat, konnten wir das Projekt durchziehen. Ich hoffe, dass die geleistete Arbeit unseren künftigen Kolleginnen und Kollegen in den nächsten Jahren als Sprungbrett dienen wird.» 

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