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«Frittiertes Poulet ist nicht wegzudenken», sagt Terry Thornton, Pastor der Sweet Hope Free Will Baptist Church in Baltimore, während er über die kulinarische Bedeutung dieses beliebten Soulfood und seine Auswirkungen auf die Gesundheit nachdenkt.
Als Leiter des von Novartis geförderten Programms für Herzgesundheit «Engage with Heart» besteht eine seiner Hauptaufgaben darin, seine Gemeinde zur Sorge um ihre Herzgesundheit anzuhalten. Das bedeutet, im Alltag einige der Ess- und Fitnessgewohnheiten zu ändern und Wege zu finden, eines der beliebtesten Gerichte der Region auf leichtere Weise zuzubereiten.
«Hähnchen kann nicht jeder gut frittieren, und die Leute sind stolz auf dieses Gericht. Sie essen Poulet lieber frittiert als gebacken, gegrillt, gebraten oder anders zubereitet», so Terry Thornton weiter. «Aber wir wissen, dass unsere Nahrung unsere Medizin ist. Isst man viel ungesunde Lebensmittel, fettige Lebensmittel, Lebensmittel, die den Cholesterinspiegel erhöhen, und so weiter, dann macht das krank.»
Die Vorliebe der Amerikaner für frittierte Speisen ist nicht der einzige Grund für kardiovaskuläre Erkrankungen. Aber sie zeigt, wie stark Essen, Kultur, Gemeinschaft und Gesundheit miteinander verwoben sind. Der typisch amerikanische Cheeseburger mit Pommes und Milchshake ist ein Stück Kultur und nationale Identität. Essen steht auch für beliebte Rezepte, die seit Generationen weitergegeben werden, sowie für lokale Gerichte, die der Stolz einer Region sind und die mit der Familie und Freunden geteilt werden.
Eine weitere grosse Herausforderung, die es bei der Veränderung von Ernährungsgewohnheiten zu beachten gilt, ist die weltweite Explosion von Fastfood-Restaurants und Convenience-Geschäften, die schnell, preiswert, einfach und fast überall zu finden sind. Die angebotenen Lebensmittel sind in der Regel arm an Nährstoffen und reich an Zucker, Salz und verarbeiteten Zutaten, die alle mit ungünstigen Auswirkungen auf die Gesundheit in Verbindung gebracht werden.
Die gesundheitlichen Folgen dieser Lebensmittel werden in den USA zwar besonders deutlich, aber ähnliche Tendenzen sind in vielen Ländern der Welt auszumachen. Um die Gesundheit besonders schlecht bestellt ist es in Städten wie Baltimore, wo die durchschnittliche Lebenserwartung in marginalisierten, grösstenteils schwarzen Vierteln etwa 20 Jahre niedriger ist als in wohlhabenderen Vierteln. Aufgrund einer von Rassismus geprägten
Geschichte leiden diese Viertel unter Ernährungsunsicherheit und -ungerechtigkeit, die oft auch als eine Art Lebensmittel-Apartheid verstanden wird. Gemeint ist damit die Schwierigkeit, genügend gesunde, bezahlbare Lebensmittel zu finden, um nicht vom Essen krank zu werden.
Dies ist einer der Gründe, warum Baltimore als Pilotstandort für das Programm «Engage with Heart» ausgewählt wurde, das mit einem breiten Netzwerk lokaler Partner zusammenarbeitet, um die Herzgesundheit in der Stadt zu verbessern. Es richtet sich vor allem an Seniorinnen und Senioren und umfasst Bewegungsprogramme, einen besseren Zugang zu gesunden Lebensmitteln, Aufklärung über Ernährung und Gemeinschaftsveranstaltungen.
«Kardiovaskuläre Erkrankungen, Adipositas und damit verbundene Erkrankungen sind der Auslöser einer nichtviralen Pandemie, und die Ernährung steht im Zentrum dieser Erkrankungen», erklärt Cheryl Abbas, Executive Director Cardiovascular Medical Affairs bei Novartis und Beraterin des Programms. «Wenn wir dieses gewaltige Problem nicht stärker aus einer gesellschaftlichen Perspektive angehen, werden wir die Erkrankungen nie verhindern – und das wäre ein Versagen unserer Gesellschaft.»
Das Problem der Ernährungsunsicherheit lösen
Einer der ersten Schritte bestand im Beseitigen von Barrieren für den Zugang zu gesunden, frischen Lebensmitteln, insbesondere Obst und Gemüse.
«Wenn man sich Baltimore und die Lebensmittel-Apartheid dort vor Augen hält, sieht man Häuserblock für Häuserblock nur kleine Ladengeschäfte oder Fastfood-Restaurants», so Will McCabe, Director of Social Impact bei Hungry Harvest, einem Partner des «Engage with Heart»-Programms. «Man sieht kaum Lebensmittelgeschäfte mit Frischprodukten; stehen welche zur Verfügung, sind sie nicht besonders frisch oder nicht gerade günstig.»
Gesunde und erschwingliche Lebensmittel zu besorgen, ist im Fast-Food-verrückten Amerika alles andere als einfach.
Will McCabe von Hungry Harvest hilft den Einwohnern von Baltimore, Zugang zu preiswerten gesunden Lebensmitteln zu bekommen.
Hungry Harvest ist eine der grössten Organisationen, die sich für die Lösung der Ernährungsunsicherheit in Baltimore und anderswo einsetzen. Andere Gruppen, wie das Black Church Food Security Network, bringen afroamerikanische Produzenten und Kirchen zusammen, um regelmässig lokale Bauernmärkte zu koordinieren. Hungry Harvest verfolgt einen alternativen Ansatz und geht zwei Aufgaben gleichzeitig an: einerseits die Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit und andererseits die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, indem Frischprodukte verteilt werden, die aus kosmetischen Gründen sonst weggeworfen oder gar nicht erst geerntet würden.
«Manchmal verrotteten Produkte gleich hektarweise auf den Feldern, weil die Produzenten mehr angebaut hatten, als sie vertraglich absetzen konnten», weiss McCabe. «Wir leben in einem landwirtschaftlich reichen Land, gleichzeitig werden 40 Prozent unserer Lebensmittel verschwendet und 35 Millionen Menschen leiden unter Ernährungsunsicherheit – das passt nicht zusammen.»

Hungry Harvest arbeitet direkt mit lokalen Landwirten zusammen und hat seit der Gründung 2014 nahezu 15000 Tonnen landwirtschaftliche Erzeugnisse verteilt. Sie werden zu ermässigten Preisen verkauft und im Rahmen von Abonnements nach Hause geliefert sowie auf kommunalen Märkten in Schulen, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen angeboten.
«Wir arbeiten mit über 100 Gemeindeeinrichtungen zusammen, und es ist wirklich aufregend, frische Lebensmittel erschwinglich und zugänglich zu machen, und das alles mit den wunderbaren Ressourcen von «Engage with Heart» zu kombinieren, insbesondere mit der Ernährungsaufklärung», betont McCabe.
Vertrau mir, es wird funktionieren
Hungry Harvest bietet Anleitungen für das Einlagern seiner Produkte und Rezeptideen an. Das Aufnehmen ungewohnter Lebensmittel in den Speiseplan bleibt allerdings ein Hindernis: «Ich ermutige die Menschen, darauf zu achten, was auf ihrem Speiseplan steht, und darüber nachzudenken, wie man ihn ein bisschen gesünder gestalten kann, etwa indem wir mehr Gemüse hinzufügen», so Cheryl Frazier, Ernährungsberaterin in der Region Baltimore.
Seit fast 20 Jahren arbeitet Frazier in Akut- und Langzeitpflegekrankenhäusern und leitet die Verantwortlichen dazu an, wie man Krankheiten durch bessere Ernährung vorbeugen kann. Mittlerweile arbeitet sie auch mit «Engage with Heart» zusammen, um im Rahmen des Programms Ernährungstipps zu geben.
«Die grösste Befürchtung ist offenbar, dass die Menschen die gesünderen Dinge einfach nicht essen wollen», fügt Frazier hinzu. «Deshalb zeige ich auf, wie man Rezepte, sogar kulturell verankerte Soulfood-Rezepte – die wir alle so lieben –, mit ein paar Zutaten ein wenig gesünder für das Herz machen kann.»
«Ich sage den Leuten immer, ich weiss, Sie befürchten, dass es Ihnen nicht schmeckt, aber glauben Sie mir, es wird funktionieren.»
Beispielsweise sprach sie in einem ihrer Vorträge über eine Variante des beliebten Hackbratens, die Herz und Kreislauf weniger belastet. Die Gruppe, mit der Frazier damals arbeitete, wusste, dass der Hackbraten leichter wird, wenn man Truten- anstelle von Rindfleisch verwendet. Aber Frazier ermunterte sie zudem, frische Kräuter, Zwiebeln, Gemüse und Karotten beizufügen und so für einen höheren Anteil an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralien zu sorgen.
in weiterer Teil ihrer Arbeit ist das Ausräumen von Mythen, die Menschen in den sozialen Medien aufgeschnappt haben. Ein weitverbreiteter Irrglaube ist, Schweinefleisch sei ungesund. Frazier stellt dann jeweils klar, nicht das Fleisch an sich sei ungesund, sondern allenfalls die Art, wie es zubereitet wird: Ein gebackenes Schweinekotelett fällt nicht annähernd so fett aus wie ein gebratenes.
Frazier empfiehlt ausserdem, vermehrt pflanzliche Proteine wie Bohnen zu probieren, genügend Wasser zu trinken, zuckerhaltige Getränke zu vermeiden und darauf zu achten, was in den verarbeiteten Lebensmitteln enthalten ist, wenn sie denn auf den Tisch kommen.
«Ich sage den Leuten, es gehe nicht darum, den Speiseplan komplett umzustellen, ich will sie vielmehr dort abholen, wo sie sind», unterstreicht Frazier. «Ich möchte, dass sie weiterhin Freude am Essen haben, aber ein paar Dinge ändern. Und ich habe den Eindruck, dass die Leute nach dem Gespräch mehr erfahren wollen.»



Gesunde und erschwingliche Lebensmittel sind für viele Afroamerikaner unerreichbar.
In Seniorenzentren wie Sandtown Winchester profitieren ältere und jüngere Gäste von den Essensangeboten.
Gemeinsam im Wandel
Die schwarzen Gemeinden von Baltimore haben diese Aktivitäten um eine weitere Taktik ergänzt, um einen dauerhaften Wandel herbeizuführen: Sie helfen ihren Gemeinden dabei, diese Veränderungen gemeinsam zu vollziehen.
«‹Engage with Heart› erreicht über die Kirchen direkt den Kern der Gemeinde, und das ist wirklich der beste Weg, um mit den Menschen in Kontakt zu treten», erklärt Küchenchef Jared Banks, Inhaber des lokalen Unternehmens Comfort Caterers, der vor kurzem als Community Health Ambassador für gesunde Ernährung dem Programm «Engage with Heart» beigetreten ist.
«Traditionell treffen sich alle am Sonntag nach dem Gottesdienst in einem Gemeinschaftsraum und man bereitet ein Essen für die gesamte Gemeinde zu.» Banks übernimmt schon seit vielen Jahren das Catering für diese Sonntagsessen in der Gemeinde von Pastor Thornton. Als er von «Engage with Heart» hörte, sah er dies als einmalige Gelegenheit, gesündere Rezepte und vor allem Kochtechniken einzuführen, wie beispielsweise das Luftfrittieren anstelle des Frittierens in Öl.
Er war so begeistert von diesen Ideen, dass er eine Präsentation für die Organisatoren des Programms, darunter Pastor Thornton, erstellte. Banks bereitet jedoch nicht nur gesündere Mahlzeiten zu und vermittelt gesündere Kochmethoden, er veranstaltet auch Kochkurse, um das soziale Engagement der älteren Generation zu fördern – als weiteren Baustein des gesunden Alterns.

Auch wenn sie nicht die Zielgruppe des aktuellen Programms sind, hält es Banks für wichtig, auch jüngere Generationen einzubeziehen. «Die jüngeren Generationen kümmern sich oft um ihre Familien. Es gibt deshalb Kurse, in denen Grosseltern und ihre Enkelkinder gemeinsam kochen und Familienrezepte austauschen», freut sich Banks.
Seine vegetarischen Gerichte stossen zwar nicht immer auf uneingeschränkte Akzeptanz, aber Banks hat herausgefunden, wofür die Menschen am offensten sind; seine Menüs für mehr Herzgesundheit kommen deshalb immer besser an.
«Die erste gemeinsame Mahlzeit mit neuen Rezepten war sehr gesund für das Herz und eine völlige Abkehr von dem, was wir normalerweise essen, und alle fragten: ‹Was ist das? Das essen wir nicht. Das kennen wir nicht›, erzählt Pastor Thornton und fügt hinzu: «Aber der Küchenchef bereitet jetzt ein gegrilltes Hähnchen zu, das auch unfrittiert köstlich ist und zu den Speisen gehört, die immer wieder verlangt werden.»