Live. Magazine

«Den Bluthochdruck ausgelöst hat die Fertig-Suppe», sagt Dr. Yvonne Commodore-Mensah mit Nachdruck und bezieht sich auf einen kürzlich pensionierten Mann, der zu seiner Lieblingssendung jeweils einen Becher Nudeln genoss. Obwohl er körperlich gesund war, begann sein Blutdruck zu steigen, was er sich zunächst nicht erklären konnte.

Commodore-Mensah, ausserordentliche Professorin an der Johns Hopkins School of Nursing, bege­gnete dem Rentner bei einer im Rahmen von «Engage with Heart» organsierten Vorsorgeuntersuchung. Dabei handelt es sich um ein von Novartis unterstütztes und von der Global Coalition on Aging geleitetes Programm zur Förderung der Herzgesundheit in Baltimore. Sein Fall bestätigte, dass noch viel zu tun ist, um die Menschen über Risikofaktoren im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Krankheiten aufzuklären.

«Er bemerkte, dass sein Blutdruck nach seiner Pensionierung kontinuierlich anstieg. Wir unterhielten uns und fanden dabei gemeinsam die Ursache heraus, nachdem wir uns die Nährwerttabelle seiner täglichen Essensgewohnheiten angesehen hatten. Tatsächlich war der hohe Salzgehalt der Suppe für seinen Blutdruck verantwortlich», sagte sie. Diese Erkenntnis hatte eine nachhaltige Wirkung: Als der Patient bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung erschien, hatte sich sein Zustand gebessert.

Dr. Yvonne Commodore-Mensah.

Schnelle Ergebnisse

Im Rahmen von «Engage with Heart» leitet Commodore-Mensah ein Team, das bei den Vorsorgeuntersuchungen in Kirchen und Seniorenzentren mitarbeitet. Neben dem Blutdruck messen die angehenden Pfleger, die allesamt freiwillig am Programm teilnehmen, auch Blutzucker- und Cholesterinwerte, wobei der effiziente Ablauf den Schlüssel zum Erfolg darstellt: Die Testergebnisse werden in weniger als zehn Minuten zur Verfügung gestellt, so dass die Teilnehmenden die Möglichkeit haben, die Ergebnisse sofort zu besprechen.

«Die Aufklärung direkt nach der Vorsorgeuntersuchung ist eine ausschlaggebende Komponente», unterstreicht Commodore-Mensah. Die Gespräche geben dem Team nicht zuletzt einen Einblick in den Stand der Herz-Kreislauf-Gesundheit in Baltimore, einer Stadt mit einer der höchsten Raten kardiovaskulärer Todesfälle unter der schwarzen Bevölkerung in den USA.

Bei «Engage with Heart» erhalten die Teilnehmenden sofort ein Feedback zu ihren Gesundheitsdaten.

Die Freiwilligen helfen ihnen auch dabei, bei Bedarf medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Viele Afroamerikaner scheuen das Gesundheitssystem, und zwar «weil Ereignisse aus der Vergangenheit immer noch eine offene Wunde darstellen», erklärt Commodore-Mensah. Unethische medizinische Experimente an schwarzen Patientinnen und Patienten, die noch bis weit in das 20. Jahrhundert durchgeführt wurden, haben ein tiefes Misstrauen gegenüber medizinischen Einrichtungen gesät, was zum schlechteren gesundheitlichen Zustand der schwarzen Bevölkerung beiträgt.

Institutionen wie die Johns-Hopkins-Universität wollen diese Vergangenheit aufarbeiten. Der geplante Bau eines multidisziplinären Gebäudes, benannt nach Henrietta Lacks, deren Zellen ohne ihre Zustimmung für die medizinische Forschung genutzt wurden, soll zum einen an ihr Schicksal erinnern und zum anderen zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen. Um systembedingte Hindernisse zu überwinden und den Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, ist es jedoch unerlässlich, den Einzelnen zu erreichen.

Vertrauen wiederherstellen

Um Wege zu finden, wie man den Gemeindemitgliedern auf sinnvolle Weise etwas zurückgeben kann, konzentriert sich «Engage with Heart» darauf, sie wieder für die Gesundheitsfürsorge zu gewinnen. «Herzerkrankungen gehören nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen. Entmutigend ist, dass sie weitgehend vermeidbar wären. Wir müssen in der Gemeinde sichtbarer und präsenter sein, um das zu ändern», sagt Commodore-Mensah, «und das gelingt nur, wenn wir das Vertrauen wiedergewinnen können.»

Das Team machte sich zunächst daran, einen Rahmen zu finden, in dem Gesundheitsfürsorge in der Gemeinde verankert ist, um Vorsorgeuntersuchungen etwa in Senioren- oder Kirchgemeindezentren durchzuführen, also an Orten, die für die schwarze Community wichtig sind. «Wir wussten, dass es Menschen gibt, die nie den Gottesdienst verpassen, aber monatelang keinen Arzt aufsuchen», führt Commodore-Mensah aus.

«Die Zusammenarbeit mit Glaubensgemeinschaften und unsere Bemühungen darum, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, sind ein kontinuierlicher Prozess», erklärt Commodore-Mensah. «Wir müssen verstehen, wie sie die Dinge erledigt haben wollen. Selbst als schwarze Frau trete ich als Teil einer Institution auf, die erst einmal Vertrauen zurückgewinnen muss. Ich gehe nicht davon aus, dass ich mit offenen Armen empfangen werde.»

Auch bei der Rekrutierung der Freiwilligen für die Vorsorgeuntersuchungen geht Commodore-Mensah sehr überlegt vor: «Sie repräsentieren nicht nur das Programm, sondern auch die Johns-Hopkins-Universität, und wir wollen sicherstellen, dass wir die Verletzungen der Vergangenheit nicht ständig wiederholen.»

Teamfoto der Freiwilligen der Johns Hopkins School of Nursing.

Freiwillige der Johns Hopkins School of Nursing.

Heikle Fragen

«Engage with Heart» hat auch gezeigt, dass ein Wandel in der Ausbildung der nächsten Generationen von Fachkräften im Gesundheitswesen unerlässlich ist. Zwar werden an medizinischen Fakultäten und Krankenpflegeschulen Ethik und die zeitweise zweifelhafte Rolle der Gesundheitseinrichtungen angesprochen, aber für die Arbeit an der Basis müssen die Freiwilligen von «Engage with Heart» weiter sensibilisiert werden.

Viele der studentischen Freiwilligen sind Teil der Gemeinde von Baltimore – ein entscheidender Faktor für die kulturelle Sensibilität und das Verständnis der Geschichte. An Sonntagen nehmen sie sich vier bis fünf Stunden Zeit, um an den Vorsorgeuntersuchungen mitzuarbeiten. Sie sehen ihren Einsatz als Gelegenheit, etwas zurückzugeben, indem sie ihre Fähigkeiten einbringen.

Faith Metlock, Doktorandin an der Johns Hopkins School of Nursing, leitet die studentische Freiwilligengruppe. Als Krankenpflegerin der dritten Generation hat sich Metlock zum Ziel gesetzt, Menschen zu finden, die Hilfe benötigen, um «proaktiv Massnahmen für ihre Gesundheit zu ergreifen, bevor sie an ihren Problemen verzweifeln».

Faith Metlock, Doktorandin an der Johns Hopkins School of Nursing.

Am meisten Freude macht es Metlock, bei diesen Vorsorgeuntersuchungen Menschen kennenzulernen und sie dazu zu motivieren, für sich selbst und ihre Familien auf eine gesündere Lebensweise zu achten. «Wenn man seinen Blutdruck, sein Gewicht und seinen Cholesterin- und Blutzuckerspiegel kennt, kann man etwaige Probleme angehen. Der erste Schritt ist, seine Werte zu kennen», fügt Metlock hinzu.

Darüber hinaus gestaltet die Gruppe Unterrichtsmaterialien und arbeitet an Datenerhebungen. «Beim Arbeiten auf Community-Ebene gibt es keine pauschal richtige Vorgehensweise», betont Metlock und erinnert sich dabei an Gespräche mit lokalen Vertreterinnen über einen Fragebogen: «Er beinhaltete einige heikle Fragen zu Finanzen, psychischer Gesundheit, Sicherheit, Transport und so weiter, und die Gemeindemitglieder waren sich nicht sicher, warum wir ihnen diese Fragen stellten.»

Viele nahmen denn auch Anstoss an diesen Fragen. Dies bot dem Team jedoch die Möglichkeit, zu erklären, inwiefern diese sozialen Faktoren die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen mit ihrer Gesundheit umgehen. Es kostete Zeit, die Anzahl der Fragen zu reduzieren und sie neu zu formulieren, aber so liess sich sicherstellen, dass der Fragebogen für die Teilnehmenden keinen Stolperstein mehr darstellte.

Selbstvertrauen vermitteln

Regelmässige Vorsorgeuntersuchungen bieten den Gemeindemitgliedern nicht nur die Gelegenheit, herauszufinden, ob ihre Blutwerte zur Sorge Anlass geben. Sie tragen auch dazu bei, ihr Vertrauen in die Gesundheitsfürsorge zu stärken und ihnen genug Selbstbewusstsein zu vermitteln, damit sie eine Ärztin oder einen Arzt darauf ansprechen können.

Für die Freiwilligen der Johns Hopkins School of Nursing ist «Engage with Heart» eine Gelegenheit, sowohl zu lernen als auch etwas an die Gemeinschaft zurückzugeben – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

«Wir haben gemerkt, dass es vielen Menschen unangenehm ist, mit ihren Gesundheitsdienstleistern über den Cholesterinspiegel oder den Blutdruck zu sprechen», ergänzt Commodore-Mensah. «Das System der Primärversorgung ist nicht ideal. Eine typische 15-minütige Arztvisite lässt eigentlich nicht genug Zeit. Wir befähigen deshalb die Menschen, für sich selbst einzustehen und zu fragen, was sich tun lässt, wenn die Werte nicht gut sind», erklärt sie.

Dennoch ist es in vielen Teilen von Baltimore immer noch schwierig, aufgrund der bei Vorsorgeuntersuchungen gewonnenen Erkenntnisse eine Änderung des Lebensstils zu bewirken. Zudem leidet nicht nur die afroamerikanische Bevölkerung unter dem Gesundheitsgefälle.

Der demografische Wandel in den USA bringt weitere Herausforderungen mit sich. «Die öffentliche Gesundheitserziehung in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen liesse sich erheblich verbessern, etwa unter Berücksichtigung der hispanoamerikanischen Gemeinde und anderer Immigrationsgemeinschaften. Wir müssen die Leute in der Sprache erreichen, die sie verstehen», folgert Commodore-Mensah.

Das Programm «Engage with Heart» soll als Vorbild für weitere gezielte Initiativen dienen, die über die kardiovaskuläre Gesundheit hinausgehen.