Silvia Arber - Neurobiologin
Auf einem Bein balancieren, einen Text überfliegen, Kaffee trinken oder gefühlvoll das Gaspedal bedienen – egal, was wir tun, unser Körper vollbringt eine Vielzahl präziser und hochkomplexer Bewegungsabläufe. Gesteuert werden sie von Gehirn, Rückenmark und sogenannten Motoneuronen, Nervenzellen, die direkt mit den Muskelfasern verbunden sind.
An den jeweiligen Bewegungsabläufen sind dabei spezifische neuronale Netzwerke beteiligt. Allerdings weiss die Wissenschaft erst wenig darüber, wie diese Netzwerke entstehen, wie sie organisiert sind und auf welche Weise sie unsere Bewegungen lenken.
Daran forscht die Neurobiologin Silvia Arber, Gruppenleiterin am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI), das mit Novartis und der Universität Basel affiliiert ist. «Erst wenn wir verstehen, wie diese Netzwerke aufgebaut sind, verstehen wir auch, wie sie Bewegungen auslösen und kontrollieren und wie Krankheiten wie multiple Sklerose oder Parkinson entstehen», erklärt die Forscherin.
Ein Netzwerk zum Greifen
So untersuchte Arber mit ihrem Team beispielsweise das Netzwerk, das am Bewegungsmuster «Greifen» beteiligt ist. Wie wir unsere Hände, so benutzen auch Mäuse ihre Vorderpfoten zum Ergreifen des Futters, bevor sie es zum Mund führen. In ihrem Hirnstamm fanden die Wissenschaftler nun eine spezialisierte Nervenzellgruppe, die eigens für diese Bewegung zuständig ist.
Via Rückenmark sind diese Neuronen spezifisch mit jenen Motoneuronen verbunden, welche die Muskeln in den Vorderpfoten ansteuern. Es ist das erste Mal, dass eine Forschungsgruppe ein Bewegungsmuster so klar bestimmten Nervenverbindungen zuordnen konnte. Die Ergebnisse wurden im April 2014 in der Zeitschrift «Nature» publiziert.
Arber ergänzt: «Aus unseren Daten schliessen wir ausserdem, dass für andere Bewegungsabläufe – wie das Ausstrecken der Pfote oder das Zum-Mund-Führen der Nahrung – wiederum andere Nervenzellgruppen im Hirnstamm zuständig sind, die ebenso spezifisch mit Zellen im Rückenmark verbunden sind.»
Lange Zeit fehlten geeignete experimentelle Möglichkeiten, um neuronale Netzwerke im Detail zu untersuchen. Mit der kreativen Kombination unterschiedlicher interdisziplinärer Methoden gelang es Arber jedoch, dieses Hindernis zu überwinden. Die Biologin arbeitet mit verschiedenen modernen experimentellen Methoden, wie etwa sogenannten Tracer-Viren, die sich von Nervenzelle zu Nervenzelle verbreiten und in der Folge diese Verbindungen mit einem Farbstoff sichtbar machen.
Erst am Anfang
Das Verständnis, dass sich das Nervensystem in neuronalen Netzwerken organisiert, ist relativ neu. Es wurde wesentlich von Silvia Arber und ihren Kollegen am FMI mitgeprägt. «Wir waren unter den Ersten, die dieses Konzept intensiv erforscht haben. 15 Jahre später gehören wir nun zu den weltweit führenden Institutionen in diesem Bereich», sagt Arber.
Doch trotz der Erfolge gibt es noch viel zu tun. Für Arber ist dies aber ein Ansporn. «Als junge Forscherin hat mich genau das angetrieben, mich in diesem Bereich zu spezialisieren – und es treibt mich noch heute an. Es gibt noch viel zu entdecken.»
Ihren Entdeckungsdrang lebt Arber seit 2000 am Basler FMI aus, wo sie in den 1990er-Jahren bereits dissertiert hatte und wohin sie nach ihrem Postdoc an der Columbia-Universität in New York zurückkehrte. Den Ausschlag zur Heimkehr war die Möglichkeit, im Rahmen eines Joint Appointment gleichzeitig am FMI und am Biozentrum der Universität Basel zu forschen. Noch heute pendeln Arber und ihr Team von rund 14 Mitarbeitenden zwischen den beiden Labors, die sich gegenseitig ergänzen. Ein enger Austausch findet auch mit dem Novartis Forschungsinstitut NIBR statt.
Gute Fortschritte
Die Rückkehr nach Basel hat sich gelohnt. Arbers Team konnte neue Erkenntnisse erarbeiten und wurde mit Preisen überhäuft.
Zuerst konnte das Team Nervenzellen im Rückenmark lokalisieren, die für elementare Bewegungen wie das Beugen oder Strecken eines Muskels verantwortlich sind. In einer Studie zeigten die Forscher zudem, dass diese Nervenzellen den Befehl zur Bewegung nicht nur an den Muskel weiterleiten, sondern gleichzeitig auch dem Hirnstamm rückmelden, dass der Befehl ausgeführt wurde.
Arber fährt fort: «Im höherliegenden Hirnstamm wiederum fanden wir dann Populationen von Neuronen, die komplexe feinmotorische Einzelbewegungen – wie das Greifen der Pfote – koordinieren. In noch höher gelegenen Regionen des Gehirns, also zwischen Hirnstamm und Hirnrinde, erwarten wir nun Zellen, mittels deren das Gehirn entscheidet, eine Bewegung überhaupt auszuführen oder wieder abzubrechen. Darauf möchten wir uns nun als Nächstes konzentrieren.»
In diesem Bereich zwischen Hirnstamm und Hirnrinde vermuten die Forscher auch die Ursache für Krankheiten wie Parkinson und Chorea Huntington. Man weiss, dass hier der Entscheid des Gehirns, eine Bewegung auszuführen oder zu unterdrücken, nicht korrekt an die Muskulatur weitergeleitet wird.
Neben dieser grundlegenden Forschung an der Funktion von motorischen Netzwerken untersucht Arber auch die Wiederherstellung von Funktionen nach Rückenmarksverletzungen. Sofern die Nervenbahnen nicht komplett durchtrennt sind, können sich die neuronalen Netzwerke reorganisieren, so dass Bewegung wieder möglich wird. Wie Arbers Team bereits herausfinden konnte, braucht es dazu sensorische Informationen aus den Muskeln, die zurück ins Rückenmark übermittelt werden müssen. Auch wenn die Grundlagenforschung sich nicht direkt am Patienten orientiert, so dürften die Erkenntnisse von Arbers Gruppe langfristig notleidenden Menschen zugutekommen.