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Drei glänzende Augenpaare, die Farbe von himmelblauen Murmeln, strahlen auf dem Foto, das mir Marc Rijken auf seinem Laptop im Wohnzimmer seines Hauses im niederländischen Maarssen zeigt. Mit zwei seiner drei Töchter lächelt er in die Kamera, gesund gebräunt nach einem erholsamen Strandurlaub, und sieht aus wie der britische Popstar Sting in seiner Glanzzeit in den 1980er-Jahren.

Der Schnappschuss, wie mir Marc erzählt, entstand vor über zehn Jahren während der Sommerferien. Er ist ein Symbol für Familienglück und Schönheit und verdeutlicht die genetische Verbindung zwischen den Familienmitgliedern. «Ich liebe das Foto, weil es zeigt, dass unsere Augen fast identisch sind. Ich war immer stolz darauf, dass sie meine Augen haben. Aber das ist nicht das einzige Merkmal, das ich mit ihnen teile», sagt Marc. «Auch wenn wir das damals noch nicht wussten.»

Ihre Ähnlichkeit sollte sie einige Jahre später einholen, nachdem Marc seinen ersten Herzinfarkt erlitten hatte. «Angefangen hatte alles vor etwa 10 Jahren», erzählt er mir bei unserem Besuch im Haus der Familie Rijken, das eine halbe Stunde von der niederländischen Hauptstadt Amsterdam weg gelegen ist. «Kurz nach einem Skiausflug spielte ich Feldhockey und erlitt eine leichte Kopfverletzung. Zu Hause wurde mir plötzlich sehr übel und ich wurde ganz grau im Gesicht.»

Seine Frau Manon brachte ihn sofort ins Krankenhaus. Doch auch nach einer Reihe von Tests konnten die Ärzte nicht feststellen, was ihm fehlte, und schickten ihn mit der Diagnose «Gehirnerschütterung» nach Hause. Das Notfallpersonal vermutete, dass das Schwindelgefühl auf die leichte Kopfverletzung, die er während des Feldhockey-Trainings erlitten hatte, zurückzuführen war. Angesichts der Härte des Balls und der Stöcke war das eine plausible Annahme. Marc fühlte sich jedoch noch wochenlang danach unwohl und hatte alle Mühe, seinen normalen Energiepegel wiederzuerlangen, so dass er schliesslich seine Tätigkeit als Kundendienstleiter im Luftfahrtsektor aufgeben musste.

Bei der Konsultation eines zweiten Kardiologen stellte dieser fest, dass Marcs Arterien fast vollständig verstopft waren und er dringend eine Bypass-Operation benötigte, um einen kontinuierlichen Blutfluss zum Herzen zu gewährleisten. Insgesamt wurden sieben Bypässe gelegt, wobei gesunde Arterien aus seinen Beinen verwendet wurden. «Das kam völlig unerwartet», erzählt Marc. Nur wenige Monate zuvor hatte er einen Marathon in persönlicher Rekordzeit zurückgelegt. «Ich war fit und trieb viel Sport. Mir war nicht klar, warum meine Arterien in einem derart schlechten Zustand waren», fährt Marc fort. Seine Ärzte konnten sich ebenfalls keinen Reim darauf machen und führten die Komplikation auf «Pech» zurück.

Auch seine Töchter konnten nicht begreifen, was vor sich ging. India, die Älteste, die damals 12 Jahre alt war, erinnert sich, dass sie das Hin und Her zwischen den verschiedenen Spital- und Arztbesuchen sehr verwirrte. Selbst am Tag der Herzoperation, als sie ihren Vater im Spital besuchten, wussten sie immer noch nicht, was geschehen war.

«Wir verstanden gar nicht, wie ernst die Operation war, die er an diesem Tag durchzustehen hatte», erinnert sich India. «Es war einfach seltsam, weil wir anfangs davon ausgingen, er habe nur eine Kopfverletzung. Wir wussten zwar, dass es ihm nicht gut ging, aber uns war nicht klar, was wirklich vor sich ging.»

Die Familie Rijken (von links nach rechts):
Arwen, Manon, Beau, Marc and India.

Erneuter Rückschlag

Marc nahm den Befund der Ärzte, sein Herzinfarkt sei auf einen unerklärlichen Zufall zurückzuführen, bis zu einem gewissen Grad hin. Aber er blieb skeptisch, nicht zuletzt weil er über ein Jahr lang zu kämpfen hatte, bis er sich wieder einigermassen normal fühlte. Nach seiner Genesung konnte er immerhin wieder Sport treiben, Motorrad fahren, Fernreisen mit der Familie unternehmen und seine Arbeit wieder aufnehmen.

Doch die glückliche Auszeit sollte nicht lange währen. Etwa zwei Jahre später begann er sich erneut schwach zu fühlen. Zu Marcs erneuter Überraschung stellten die Ärzte fest, dass er ein weiteres Mal am Herzen operiert werden musste, da auch die nicht eben lange vorher gelegten Bypässe verstopft waren. Diesmal konnte ihm nur eine Stent-Operation helfen.

Während der Operation, bei der eine spiralförmige, gitterartige Gefässstütze in die Arterie eingeführt wurde, um den Blutfluss zum Herzen zu sichern, erlitt Marc einen weiteren Herzinfarkt auf dem Operationstisch. Die Ärzte konnten sich nicht erklären, warum seine Arterien in einem so schlechten Zustand waren, was Marc nicht nur physisch, sondern auch mental zu schaffen machte.

Die Begründung, dass es nur Pech gewesen sein sollte, war somit vom Tisch, und Marc und seine Frau machten sich auf die Suche nach einer endgültigen Antwort. Doch die Kardiologen, die sie aufsuchten, konnten die Ursache seiner Erkrankung nicht finden. Zufällig schlug ein Arbeitskollege vor, einen Termin mit Dr. Erik Stroes am Amsterdamer Medical University Center zu vereinbaren, der schliesslich einen Test durchführte, der Aufschluss über Marcs Zustand gab.

Dr. Stroes vermutete sofort, Marc könnte an der erhöhten Konzentration eines bestimmten Lipoproteins leiden, was aus seiner Sicht erklären würde, wie ein sportlicher und schlanker Mann Anfang vierzig zwei Herzinfarkte erleiden konnte, und das, obwohl er nie geraucht hatte, nicht übergewichtig war und keine weiteren Risikofaktoren wie hohe Cholesterinwerte oder Bluthochdruck aufwies.

Die Diagnose, sein Zustand sei auf einen erhöhten Lipoprotein-a-Wert – gemeinhin Lipoprotein klein a oder Lp(a) genannt – zurückzuführen sei, brachte Marc zumindest für kurze Zeit Erleichterung. Er hatte das Gefühl, endlich verstanden zu haben, was nicht stimmte. Das Ergebnis zog aber auch weitere Fragen und Sorgen nach sich, deren Konsequenzen sich in den folgenden Monaten zeigen und das Familienleben auf den Kopf stellen sollten.

Ein Hoffnungsschimmer

Marcs langer Leidensweg ist leider keine Ausnahme. Erhöhte Lp(a)-Konzentrationen sind unterdiagnostiziert. Kardiologen übersehen sie häufig, weil die Erkrankung noch nicht ausreichend verstanden wird und Ärzte sich in der Regel auf andere Symptome konzentrieren und dementsprechend andere Gesundheitsparameter überprüfen. Das erschwerte die Diagnose von Marc und überschattete sein Leben – eine Situation, die mit einem einfachen Bluttest leicht hätte vermieden werden können.

Angesichts ihrer weiten Verbreitung ist es erstaunlich, dass viele Kardiologen von einer mit erhöhten Lp(a)-Werten verbundenen Erkrankung häufig nichts wissen. Tatsächlich leidet weltweit jeder fünfte Mensch an dieser Störung. Verursacht wird sie durch ein Gen, das eine Überproduktion von Lp(a)-Partikeln bewirkt, was zu einer schnelleren Verengung der Arterien führt. Dies geschieht, weil Lp(a) leichter an Arterienwänden haftet als LDL-Cholesterin. Je nachdem, wie stark diese Störung ausgeprägt ist, kann es zu Herzinfarkten und weiteren koronaren Erkrankungen wie Schlaganfällen kommen.

Marcs Diagnose war allerdings erst der Anfang einer weiteren langen Reise. Zwar wird derzeit an der Entwicklung von Therapien für erhöhte Lp(a)-Werte geforscht, wirksame Medikamente gibt jedoch noch nicht. Marc hatte das Glück, Dr. Stroes, einen der führenden Lp(a)-Experten gefunden zu haben, der ein Behandlungsregime mit Statinen und anderen Nahrungsergänzungsmitteln entwickelt hatte.

Marc Rijken während eines Arztbesuches.

Ein weiterer Hoffnungsschimmer erschien am Horizont, als Dr. Stroes Marc die Teilnahme an einer klinischen Studie ermöglichte, die ihm und Hunderten anderer Patienten mit erhöhtem Lp(a) helfen könnte. Wegen der genetischen Veranlagung von Marc musste die Familie jedoch schon bald einen weiteren Schlag hinnehmen.

Erneuter Schock

«Dass ich endlich den Grund für meine Herzinfarkte gefunden hatte, brachte mehr Klarheit in mein Leben», sagt Marc. «Aber die Klarheit brachte auch eine traurige Erkenntnis mit sich: Mein Herzleiden ist genetisch bedingt, so dass wir gebeten wurden, unsere Kinder testen zu lassen. Auf diese Weise haben wir erfahren, dass auch unsere beiden jüngeren Mädchen, Arwen und Beau, von dieser Störung betroffen sind.»

Dass zwei ihrer Kinder erhöhte Lp(a)-Werte aufwiesen, erschütterte die Familie, aber alle waren sie entschlossen, weiterhin ein normales Leben zu führen. Ein unmittelbarer Schritt bestand darin, ihre Ernährung umzustellen, weniger Fett zu konsumieren und mehr Sport zu treiben. Für sie bedeutete dies zwar keine grosse Umstellung ihres Lebensstils, da sie zuvor alle sportlich gewesen waren. Aber die zusätzlichen Anstrengungen trugen dazu bei, das Bewusstsein dafür zu schärfen, auf sich aufzupassen, und ihnen ein Gefühl der Kontrolle zu geben.

Bevor er seinen ersten Herzinfarkt erlitt, führte Marc ein sportliches Leben und lief sogar Marathons.

Nachdem bei ihm Lp(a) diagnostiziert worden war, dauerte es lange, bis er seine alte Form wiedergefunden hatte.

Heute geht Marc regelmässig ins Fitnessstudio, um sich fit zu halten und die Krankheit zu bekämpfen.

«Als Marc krank wurde, haben wir darüber nachgedacht, wie sich unser Lebensstil so anpassen lässt, dass wir glücklich und gesund leben können», erzählt seine Frau Manon, die als Vizedirektorin an einer nahegelegenen Schule arbeitet, über die Schritte, die sie zu Beginn des Leidensweges ihres Mannes unternahmen. «Als bei Beau und Arwen erhöhte Lp(a)-Werte diagnostiziert wurden, beschlossen wir, dass unsere ganze Familie die Ernährung umstellen und denselben Lebensstil pflegen sollte. Es handelt sich ja ohnehin um einen gesunden Lebensstil, der für alle gut ist», sagt sie.

Die grösste Veränderung betraf jedoch ihre Einstellung. Obwohl alle in der Familie gelegentlich Herausforderungen verdrängen und dazu neigen, den Kopf in den Sand zu stecken, versuchten sie nun, offen über die Probleme zu sprechen, vor allem mit Arwen und Beau, räumt Manon ein. «Wir sprechen über Lebensstil und Lebensentscheidungen, denn wir wissen, dass unsere Mädchen ein viel grösseres Risiko eingehen als andere, wenn sie etwa mit dem Rauchen oder Vapen beginnen wollen.»

Sport ist für Beau und Arwen sehr wichtig.

Feldhockey gibt den beiden psychischen wie emotionalen Auftrieb.

Der Leidensweg des Vaters hat die Familie aber auch auf die Flut von Herausforderungen vorbereitet, die der Alltag für sie bereithält: «In unserer Familie ist uns allen bewusst, dass wir das Beste aus dem Leben machen wollen, denn wir wissen, dass das Leben kurz sein kann», sagt Manon. «Deshalb versuchen wir, viele schöne Erinnerungen zu sammeln, reisen viel, machen Skiurlaub und leben auch so gesund wie möglich, damit wir dieses Leben so lange wie möglich gemeinsam geniessen können.»

Die Urlaubsreisen führen sie oft zu fernen Zielen in Asien, aber auch in die Alpen, wo sie sich gerne in einer gemütlichen Hütte zusammenkuscheln. Unterwegs sind sie gerne aktiv und geniessen jeden gemeinsamen Moment. Ihr Familienalbum ist gespickt mit Bildern von Radtouren in Asien, Skiabenteuern in den Alpen und freudigen Momenten bei einem lokalen Hockeyturnier in Maarssen.

Bewältigung

Bei Arwen und Beau wirkt sich der medizinische Befund allerdings auf das psychische Wohlbefinden aus. Ihre Kindheit endete buchstäblich mit dem ersten Herzinfarkt ihres Vaters, auch wenn sie die Situation damals noch gar nicht vollständig erfassen konnten. Als sie erfuhren, dass auch sie von der Erkrankung betroffen sind, verstärkten sich die Gedanken über die Erkrankung und überschatteten ihren Alltag.

Arwen ist mittlerweile 16 Jahre alt und sagt, sie denke viel über die Krankheit nach, weil sie genetisch bedingt ist: «Was wäre, wenn ich meinen Kindern dasselbe zumuten würde, was ich als Kind durchgemacht habe? Darüber spreche ich mit meinem Freund. Er denkt, es sei nicht wirklich wichtig. Ich hingegen halte es für sehr wichtig, weil es traumatisch ist.»

Arwen redet schnell. Sie ist eine energiegeladene Teenagerin, die nicht nur als Torhüterin in der lokalen Feldhockeymannschaft spielt. Sie ist auch eine talentierte Sängerin, die ihre Zeit in der Schulband geniesst, in der sie einmal pro Woche mit ihren Freunden die beliebten Lieder von Taylor Swift, Bruno Mars und Queen singt, was ihr hilft, die Situation zu meistern.

Zu den Lieblingsbeschäftigungen von Beau, Arwen und India gehören das Musizieren und der Sport.

Arwen ist seit kurzem Mitglied des Schulchors, wo sie gerne mit Freunden zusammen ist und mit ihnen populäre Lieder singt.

Auch India hat ein grosses Talent für Musik. Vor kurzem hat sie ein Lied komponiert, in dem sie ihre Gedanken über den Umgang der Familie mit Krankheiten zum Ausdruck bringt.

Arwen und Beau spielen auch gerne Feldhockey.

«Manchmal habe ich Erinnerungsrückblenden und manchmal gerate ich richtig in Panik und weine und so weiter», sprudelt es aus Arwen heraus. «Ich glaube schon, dass es eine Art Trauma ist. Aber ich denke, das ist ganz normal, denn das, was ich durchgemacht habe, ist überhaupt nicht normal. Wenn ich singe und mit Freunden zusammen bin, kann ich das Ganze aber schon vergessen», sagt sie energisch wie immer.

Auch ihre 19-jährige Schwester Beau, die Ozeanographie studiert, findet Zuflucht im Sport und in der Musik. Manchmal fühlt sie sich isoliert, weil sie ihren Freunden ihren Zustand erklären muss – immer wieder. Ihr wissenschaftlicher Hintergrund hilft ihr jedoch dabei, die Schwierigkeiten ihres Gesundheitszustands einzuordnen.

Freundschaften sind Beau besonders wichtig, und da sie eine Perfektionistin ist, geniesst sie den Nervenkitzel, wenn sie in ihrem geliebten Sport gewinnt. «Für mich geht nichts über Feldhockey und zu gewinnen, ist einfach das beste Gefühl überhaupt», sagt Beau. «Die gemeinsame Zeit mit dem Team und das Spiel mit Freunden gibt mir viel Unterstützung und dient mir als Ventil, um den Druck abzulassen, der sich manchmal aufbaut.»

Auch der Austausch mit anderen Patientinnen und Patienten gibt ihr Halt. «Manchmal kommt einem die Erkrankung in den Sinn und man denkt: Oh, na klar, stimmt ja. Man weiss nicht, was auf einen zukommt», fährt sie fort. «Heute Morgen habe ich mit einem Patienten gesprochen, der ebenfalls hohe Lp(a)-Werte hat, und er hatte noch keinen einzigen Vorfall. Es kann so oder so gehen. Man kann sich entweder jeden Tag darüber den Kopf zerbrechen oder du sagst dir: Bleib positiv, es ist okay.»

Vorbildfunktion

Arwen, Beau und India erhalten viel Unterstützung von ihren Eltern, die ihnen ein Gefühl von Positivität und Optimismus vermitteln. Ihre Eltern geben ihnen auch die Freiheit, sich zu entfalten und ihren Träumen zu folgen – ein Rückhalt, den sie auf unbestimmte Zeit in Anspruch nehmen können, denn sowohl Marc als auch Manon tun alles, um Arwen, Beau und India dabei zu helfen, ihr Leben zu meistern.

«In meiner Familie versuchen wir, so gut es geht, positiv über unseren Zustand zu denken», fährt Arwen fort. «Ich denke, die Situation macht uns Angst, aber Mama und Papa schaffen es, ihre Besorgnis nicht überhand nehmen zu lassen. Ich glaube, sie wollen einfach nur Positivität zeigen. Das ist eine hilfreiche Haltung, die auch mich dazu bringt, positiver über die Situation zu denken. Ich bewältige das Problem, indem ich Dinge tue, die ich liebe und die mir Spass machen, und indem ich viel Zeit mit meiner Familie verbringe. Wir besuchen beispielsweise Konzerte oder gehen an den Strand, damit wir eine wirklich schöne Zeit miteinander verbringen können.»

Die Rijkens geniessen ihre gemeinsame Zeit. Sie veranstalten regelmäßig Partys mit ihren Verwandten und laden Freunde zu sich ein.

Auch ihr Golden Retriever ist ein wichtiges Mitglied der Familie. Sie geniessen es, mit dem Hund lange Spaziergänge zu unternehmen.

Während der Partys geniessen die Rijkens gesundes Essen und Getränke.

Beau hat eine ähnliche Einstellung: «Positives Denken ist für mich selbstverständlich», sagt sie. «Manchmal, wenn man keinen guten Tag hat, schleichen sich trotzdem negative Gedanken ein. Aber dann vergisst man sie und macht weiter, denn ich kann ja morgen auch bei einem Autounfall sterben, also lebe einfach den Moment und finde mich damit ab.»

Eine wichtige Quelle des Optimismus ist ihr Vater. Für India und ihre beiden Schwestern ist Marc nicht nur jemand, den sie ins Herz geschlossen haben, sondern ein Vorbild, das sie im Umgang mit der Erkrankung inspiriert. «Ich glaube, er ist die mental stärkste Person, die ich kenne», sagt India. «Wir haben immer nur die physischen Herausforderungen bemerkt, die er bewältigen musste, aber nie die psychischen»

India, die wie ihre Schwestern eine starke künstlerische Seite entwickelt hat, Klavier spielt und eigene Songs komponiert, gibt zu, dass es für sie sehr hart gewesen wäre, sich der gleichen Herausforderung zu stellen wie ihr Vater. «Ich kann mir nicht vorstellen, so etwas durchzumachen, nur um dann dort weiterzumachen, wo ich stehen geblieben war. Und mit noch grösserer Kraft weiterzumachen, um daraus etwas noch Schöneres zu erschaffen? Ich glaube nicht, dass ich das geschafft hätte. Ich bin stolz auf ihn. Ich behaupte, er ist seitdem noch mehr ein Held für uns, als er es vorher schon war. Einfach weil er uns gezeigt hat, wie stark er wirklich ist.»

Engagement

Stolz sind die Kinder auch auf die Rolle ihres Vaters als Patientenvertreter. Seit letztem Jahr ist Marc Botschafter von der FH Europe Foundation, einer Patientengruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Bewusstsein für erbliche Lipiderkrankungen wie Lp(a) zu schärfen. Das Engagement hilft ihm und seinen Töchtern, Kontakte mit anderen Patientinnen und Patienten zu knüpfen, aber auch auf die Gefahren von nicht diagnostizierten und unbehandelten Herzerkrankungen aufmerksam zu machen.

Marc im Gespräch mit Magdalena Daccord von der FH Europe Foundation.

Im Dezember 2023 nahm Marc zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter India an einer Veranstaltung des Patientennetzwerks European Alliance for Cardiovascular Health vor dem Europäischen Parlament in Strassburg teil. Dort tauschten sie sich gemeinsam mit anderen Herz-Kreislauf-Patientinnen und Patienten über ihre Erfahrungen aus. Marc forderte von den Politikerinnen und Politikern, mehr in die kardiovaskuläre Forschung zu investieren.

Die von Mitgliedern des Europäischen Parlaments unterstützte Veranstaltung sollte nicht nur das Bewusstsein dafür schärfen, dass heute allein in Europa rund 50 Millionen Menschen mit einer kardiovaskulären Erkrankung leben – weltweit sind es 200 Millionen –, sondern auch für neue Gesetze werben, die diese wichtige globale Herausforderung in der Gesundheitsfürsorge stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken.

Marc erzählte nicht nur von seiner persönlichen Geschichte, sondern ermutigte auch India, darüber zu sprechen, wie sie seine Krankheit erlebt. Statt einer ausgefeilten Rede rezitierte India ein Gedicht, das einige der über 200 Gäste zu Tränen rührte.

Ich war 12 Jahre alt. Mein Vater kam nach Hause und fühlte sich nicht wohl. Ich war allein mit ihm und meinen Schwestern, verwirrt und nicht in der Lage, richtig zu reagieren.

Als ich 13-jährig war, hatte mein Vater eine Operation am offenen Herzen, aber ich hatte keine Angst, da ich den Ernst der Situation noch nicht verstand.

Ich bin 16, meine Englischlehrerin ruft mich vor die Klasse und sagt: «Es ist völlig in Ordnung, wenn du abgelenkt bist, denn dein Vater wird heute am Herzen operiert.» Dann zeigt sie als Teil der Aufgabe ein Video über kardiovaskuläre Erkrankungen, und alle Augen richten sich auf mich.

Mein Vater fühlt sich etwas angeschlagen, ich bin 18 Jahre alt und weiche nicht von seiner Seite.

Ich werde 21, ein Fussballer im Fernsehen erleidet einen Herzinfarkt. Ich hingegen bekomme mitten auf einer Party eine Panikattacke.

(Ich erinnere mich) wie ein Krankenwagen vorfährt und ich eile zu den Sanitätern in unserem Wohnzimmer …

Ein Rückschlag nach dem anderen versucht, ihn zu Fall zu bringen. Aber er steht nicht nur wieder auf, er meistert auch seine eigenen Schwächen.

Ich kann gar nicht sagen, wie stolz ich bin, die Tochter meines Vaters zu sein. Denn er ist der stärkste Mann, den ich kenne.

Er und meine Mutter, die an seiner Seite steht, sind eine Naturgewalt.

Ich bin die Tochter meiner Eltern, und das ist für mich alles, was zählt.

Die Liebe zum Leben

Seine Arbeit als Patientenvertreter macht Marc Spass, denn sie gibt ihm ein zusätzliches Motiv, gegen die Krankheit zu kämpfen. Ansonsten scheint er nicht mit seiner Situation zu hadern, sondern sie mit Entschlossenheit und Optimismus anzunehmen. Für ihn und jedes Mitglied der Familie Rijken, einschliesslich der Eltern von Marc und Manon, die von der Familie häufig zu Festen eingeladen werden, zählt nur die Zukunft.

«Glauben Sie, das Leben behandelt Sie ungerecht?», frage ich Marc. «Ich weiss es nicht», antwortet er, «und ich denke auch nicht viel darüber nach, weil ich mich auf die Dinge konzentrieren möchte, die ich kontrollieren kann. Deshalb hoffe ich natürlich, dass eines Tages ein Medikament auf den Markt kommt, das mir, meinen Töchtern und anderen hilft. Für den Moment wollen wir einfach ein gesundes Leben führen», sagt er.

Eine strenge Diät kann auch Spass machen.

Aber er weiss, dass er ohne seine Frau nicht in der Lage gewesen wäre, die Situation so gut zu bewältigen, wie er es getan hat. Er zeigt mir ein weiteres Foto aus seinem Album, auf dem er und Manon unter einem Herzsymbol an einem Strand stehen. «Ohne sie hätte ich das nicht geschafft», sagt Marc. «Sie ist liebevoll und stark und hält die Familie zusammen. Sie ist energisch und plant Dinge. Oft, glaube ich, plant sie zu viel. Ihr Tag hat also etwa 26 Stunden, was ziemlich anstrengend sein kann. Aber am Ende bin ich immer froh über das, was sie macht, denn es führt uns an andere Orte und zu allerlei Abenteuern», so Marc. Nach einer langen Pause fügt er hinzu: «Ich liebe sie sehr.»

Marc, der wieder regelmässig ins Fitnessstudio geht und sein geliebtes Feldhockey spielt, sagt, die Familie wolle Träume haben und Pläne schmieden, um die Welt zu bereisen. Er und seine Frau wollen erleben, wie die Kinder aufwachsen, vielleicht heiraten und eigene Kinder haben. «Wir sind von Natur aus Optimisten und wollen über Familie, Freunde, Sport und Beruf sozial eingebunden sein», sagt er.

Arwen, Beau und India wissen, warum sie diese Sonderbehandlung erhalten. «Unsere Eltern haben uns sehr verwöhnt. Wir konnten wirklich grossartige Ferien in Mexiko und Indonesien verbringen. Ich glaube, von dort habe ich die schönsten Erinnerungen», sagt India. «Aber wir sind auch gerne zu Hause, sitzen zusammen auf der Couch und geniessen einen Film. Das ist es, was zählt.»

India und Beau werden zwar bald das Elternhaus verlassen, aber sie haben schon die nächste Reise im Blick. «Unser nächster Urlaub zu fünft führt uns zu den Olympischen Spielen nach Paris», sagt Beau. «Ich finde das für unsere Familie besonders symbolisch. Mein Vater hat immer gesagt, er wolle sich das Olympiasymbol tätowieren lassen, dessen fünf Ringe jeden von uns repräsentieren. Jetzt fahren wir also hin, und vielleicht lässt er sich in Paris dieses Tattoo ja stechen.»

Das Tattoo wird ihre Bindung weiter stärken, wenn auch nur symbolisch, und ein sichtbares Zeichen ihrer tiefen Verbundenheit sein.