Sammeltätigkeit von Zeitzeugen der Industriegeschichte
Abbau der Brommethylanlage
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Bewahrer des industriellen Erbes

Den Umgang mit Altlasten und mit der Entsorgung toxischer Rückstände hat Cesare Sgueglia von der Pike auf gelernt, als er 1983 seine Lehre bei der damaligen Sandoz antrat und ab 1986 während rund 10 Jahren mit Aufräumarbeiten auf dem Brandplatz Schweizerhalle beschäftigt war. Seine frühe berufliche Erfahrung prägte ihn auch dahingehend, dass er sich intensiv mit dem industriellen Erbe der chemisch-pharmazeutischen Industrie auseinandersetzte und eine rege Sammlertätigkeit begann.

Texte von Claudio Beccarelli und Goran Mijuk, Fotos von Laurids Jensen

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Apparatur für das Färben nach dem diskontinuierlichen Ausziehverfahren (die Faser zieht die Farbe aus der Flotte).

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Publiziert am 14/04/2022

Als Cesare Sgueglia 1983 in der damaligen Sandoz eine Lehre als Chemikant begann, träumte er eigentlich davon, Musiker zu werden. «Ich spielte Rock, Jazz und Salsa, auch ausserhalb der Schweiz, in Rotterdam, Amsterdam und Kuba. Aber ich wusste nicht, ob dies auch zum Leben reicht. Als zweites Standbein habe ich dann die Lehre bei Sandoz begonnen.»

In der Sandoz wurden Chemikantenlehrlinge für die chemischen Produktionsprozesse in Schweizerhalle ausgebildet und in verschiedenen Bereichen mit Reparatur-, Wartungs- und Laborarbeiten vertraut gemacht. Nach der Chemikantenlehre trat Cesare Sgueglia 1986 eine Stelle in der Agroproduktion in Schweizerhalle an.

Mit dem Brand in Schweizerhalle am 1. November 1986 veränderte sich auch das Leben von Cesare Sgueglia. Am Montag nach dem Industrieunglück wurden in Schweizerhalle Mitarbeitende zur Sicherung des Brandplatzes und für Aufräumarbeiten gesucht. Der damals 19-jährige Chemikant meldete sich unverzüglich freiwillig. Seine Überlegung damals: in Zukunft keine Nachtschichten mehr absolvieren zu müssen und dann abends mit seiner Band Musik spielen zu können.

Und so arbeitete Cesare Sgueglia die nächsten zehn Jahre in verschiedenen Funktionen an der Sanierung von Schweizerhalle mit. Ein unscheinbarer Baucontainer diente ihm und seinen Kollegen als Büro und Cafeteria. Als 1996 die Arbeiten abgeschlossen waren, gab man ihm den Auftrag, für die Sandoz das Abfall- und Entsorgungskonzept zu entwickeln. Neben zur Arbeit am Konzept bildete er sich in Biel zum Natur- und Umweltfachmann weiter, während die damalige Sandoz mit Ciba zu Novartis fusionierte und die Chemikalien-Division Clariant aus dem Konzern ausgegliedert wurde.

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Destillationsapparatur; Fabrikat der Fa. Büchi AG.

Sam­mel­tä­tig­keit von Zeit­zeu­gen der In­dus­trie­ge­schich­te

Parallel mit dem Erstellen des Sandoz Abfall- und Entsorgungskonzepts begann auch die Sammlungstätigkeit von Cesare Sgueglia Fahrt aufzunehmen. Immer wieder kam er im Rahmen seiner Tätigkeiten mit Objekten in Berührung, die achtlos weggeworfen werden sollten, obschon sie industriehistorisch von grosser Bedeutung waren.

So 1997 im Werk St. Johann, wo Cesare Sgueglia in einen alten Produktionsbau gerufen wurde, um die stillgelegten Maschinen zu entsorgen. Cesare Sgueglia wollte den Bau und die Gegenstände darin aber «nicht entsorgen», sondern im Gegenteil «alles retten» und im Hinblick auf ein Museum behalten.

Den Abriss der Produktionsstätten, die noch aus der Zeit von Durand & Huguenin SA stammten, konnten er zwar nicht verhindern, aber er bewahrte einige historisch wertvolle Gegenstände vor der Verschrottung, darunter einen grossen Rührer aus der Produktion. Zudem lernte er auch Peter Tschudin vom Papiermuseum in Basel kennen sowie Firmenarchivar Walter Dettwiler, die ihn zum Aufbau eines Museums ermunterten.

In den folgenden zwei Jahren sammelte und rettete Sgueglia dann so viele Gegenstände, dass er 1999 das Unicum-Museum in Schweizerhalle aufbauen konnte, das über die Jahre zu einem veritablen Wallfahrtsort für Industrieliebhaber wurde und in dem er seine Passion – Zeitzeugen der Industriegeschichte für die Nachwelt bewahren – fast 20 Jahre lang ausleben konnte.

Das Museum vereinte nicht nur alte Labor- und Produktionsgeräte. Cesare Sgueglia sammelte auch Computer, Bücher und Stoffproben, deren historischer Wert unschätzbar ist; darunter etwa einen der ersten Apple-Computer. Viele Exemplare wurden Cesare Sgueglia auch von ehemaligen Kollegen geschenkt, die von seiner Sammlertätigkeit erfuhren und hofften, ihre Erinnerungen in die Zukunft retten zu können. 2019 wurde das Museum dann zwar aufgelöst, aber nur, weil Cesare Sgueglia einen grösseren Traum verfolgte …

Gefragtes Fachwissen

An den ersten Gegenstand seiner Sammlung erinnert sich Cesare Sgueglia gerne: «Ein Sandoz-Mitarbeiter brachte mir eine Holzkiste vorbei, mit der er sein ganzes Arbeitsleben lang Musterproben von Labor A nach Labor B transportiert hatte. Als er in Pension ging und für die Holzkiste keine Verwendung mehr fand, hat er sie mir übergeben: Er wolle verhindern, dass sie einfach entsorgt werde; sie habe doch Geschichte.»

Und so sammelte Cesare Sgueglia nicht nur Gegenstände, sondern schrieb auch die damit zusammenhängenden Geschichten ihrer Besitzer auf. Was damit begann, dass er einzelne Gegenstände zur Seite räumte, um sie vor der Entsorgung zu retten, hat mittlerweile beachtliche Dimensionen angenommen. In seiner Freizeit hat Cesare Sgueglia mehr als tausend davon erfasst und inventarisiert: «Wie viele Gegenstände ich genau besitze, weiss ich nicht. Alleine von den Rückstellmustern aus der Farbstoffproduktion des 19. Jahrhunderts – also den Farbproben, die man einst als Qualitätsnachweis vor dem Export auf die Seite tat – besitze ich über tausend Exemplare.»

Ein besonderes Prunkstück seiner Sammlung ist das Objekt mit der Archivnummer 1251, ein Belichtungsgerät aus der Zeit der Farbstoffproduktion der Firma Atlas Electric Device & Co., Chicago (USA). Mit diesem Gerät, das einem antiquierten Satelliten ähnelt, bestimmte man damals durch die Bestrahlung mit Kohlelampenlicht die Lichtechtheit von Textilfärbungen. Die eingesetzte 3000 Watt starke Kohlebogenlampe besitzt das gleiche Lichtspektrum wie die Sonne, allerdings mit wesentlich höherer Bestrahlungsintensität. Dieses Belichtungsgerät wurde 1951 von der Sandoz AG gekauft und war bis in die 1990er-Jahre bei Clariant in Betrieb.

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Bestimmung der Lichtechtheit von Textilfärbungen durch Bestrahlen mit Kohlenlampenlicht. Die hier eingesetzte Kohlenbogenlampe mit ca. 3000 Watt besitzt das gleiche Lichtspektrum wie die Sonne, aber mit wesentlich höherer Bestrahlungsintensität im Lichtwellenlängenbereich von 350 bis 450 nm.

Ab­bau der Brom­me­thyl­an­la­ge

Immer wieder war auch das Fachwissen des handwerklich versierten Cesare Sgueglia gefragt. Als auf dem Klybeck-Areal in Basel die historische Brommethylanlage aus dem Bau 129 abgebaut werden sollte, demontierte Cesare Sgueglia zusammen mit seinem Sohn Andrea und Reto Furler, Kunstschlosser aus Basel, die Anlage innert zwei Wochen und fertigte anschliessend detaillierte Pläne für den Wiederaufbau an.

Denn wie in seinem beruflichen Metier der Entsorgung, bei dem es Cesare Sgueglia ein wichtiges Anliegen ist, dass man die Stoffe nach Möglichkeit wiederverwertet und in den Arbeitskreislauf zurückführen kann, möchte er auch das industrielle Erbe der chemisch-pharmazeutischen Industrie der Nachwelt hinterlassen. «Ich hätte oft Gelegenheit gehabt, gewisse Gegenstände aus der Sammlung für viel Geld zu verkaufen. Aber das interessiert mich nicht. Ich denke immer weiter und möchte die Objekte und ihre Geschichten auch kommenden Generationen zugänglich machen. Mein Museum habe ich schon im Kopf.»

Neue Perspektiven

Zurzeit stecken die Pläne für ein grösseres Museum noch in der Schublade, genauso wie die meisten Sammlerstücke, die, fein säuberlich verpackt, auf dem Novartis-Campus auf ihre nächste Destination warten. Novartis hat Interesse gezeigt, die industriehistorisch wichtigen Objekte auszustellen. Zusammen mit dem Leiter des Novartis-Firmenarchivs, Walter Dettwiler, möchte Cesare Sgueglia die Objekte aufbereiten, um sie einem grösseren Publikum vorzustellen und damit wichtige Errungenschaften der industriellen Revolution vor dem Vergessen zu bewahren.

Zwar hat die Coronapandemie den Zeitplan für eine mögliche Umsetzung verzögert, aber Cesare Sgueglia ist überzeugt, dass das Museum eines Tages in der einen oder anderen Form Realität wird. «Manchmal muss man einfach Geduld haben und den Dingen ihren Lauf lassen. Zwar kommt nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt, aber mein Ziel verliere ich trotzdem nie aus den Augen», zeigt sich Sgueglia zuversichtlich. Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Hafenkran Goliath, den Cesare Sgueglia vor rund zehn Jahren vor der Verschrottung rettete und im französischen Hüningen zwischenlagerte. Jahrelang interessierte sich niemand für den Koloss, der während vieler Jahre die Schiffsladungen für Novartis und ihre Vorgängergesellschaften gelöscht hatte, bis Novartis ihn beim Startschuss für das Stadtentwicklungsprojekt Klybeck-Plus wieder zum Leben erweckte, quasi als Symbol für die industrielle Geschichte des Quartiers.

«Ich hatte zwar die Vision, dass Goliath auf der ursprünglichen Rheinseite wieder aufgestellt wird. Aber so ist das halt. Ihn am Klybeckufer zu sehen, ist letztlich genauso schön und erfüllt denselben Zweck. Die Menschen können so die Errungenschaften der Vergangenheit schätzen lernen», so Sgueglia.

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