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Dem Recycling Tür und Tor öffnen

Novartis Brasilien geht beim Umweltschutz ganz neue Wege: Unbrauchbare Blisterverpackungen werden als Rohstoff wiederverwendet, um Türen und Sockelleisten herzustellen. Dies ist das Ergebnis eines speziellen Recyclingprojekts im brasilianischen Werk von Novartis Technical Operations in Cambé, das unternehmensweit Nachahmer finden könnte.

Text von Patrick Tschan, Illustration von Philip Bürli

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Publiziert am 19/04/2021

Gute sechs Autostunden südwestlich von São Paulo befindet sich die Stadt Cambé, eine Industriestadt mit rund 100 000 Einwohnern, wo Novartis Technical Operations eines ihrer grössten Verpackungswerke in Lateinamerika betreibt.   

Hier verpacken 400 Mitarbeitende jährlich 2,3 Milliarden Einzeldosen. Diese sind hauptsächlich für den brasilianischen Markt gedacht und umfassen 330 fertige Darreichungsformen von 51 verschiedenen Wirkstoffen.    

Die meisten der Medikamente werden hermetisch in Blisterverpackungen verpackt, die in der Region aus Aluminium und PVC hergestellt werden. Diese Materialien werden seit Jahrzehnten zum Schutz von Medikamenten eingesetzt und haben sich bewährt.   

«Aluminium ist ein extrem wichtiger Verpackungsstoff für Medikamente», so Hellen Schmitt, Environment Analyst von Novartis Brasilien. «Einerseits versiegelt das Metall die Verpackung und schützt so den Wirkstoff vor Umwelteinflüssen wie Verschmutzungen, Wärme und Feuchtigkeit. Andererseits senkt die dünne Aluminiumschicht auch die Gefahr von Arzneimittelfälschungen. Ein geschultes Auge erkennt, ob die Medikamente Originale oder Fälschungen sind.»    

Doch das Material bietet noch weitere Vorteile, die jetzt genutzt werden: «Ein weiterer entscheidender Pluspunkt des Leichtmetalls ist, dass es sich auf einfache Weise recyceln lässt», so Schmitt.

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Der Abfall aus der Blisterverpackungsherstellung wird...

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Bei einer Jahresproduktion von rund 73 Millionen Blisterverpackungen im Werk Cambé fallen erhebliche Abfallmengen an, ganze 200 Kilogramm pro Tag. Dies entspricht etwa 47 Tonnen pro Jahr. Der Abfall entsteht bei Anlagenänderungen, Test- und Vorläufen, beim Beschnitt, bei Stanzfehlern und fehlerhaften Versiegelungen.

Dass die Abfälle bis vor Kurzem auf einer Deponie entsorgt wurden, war für Hellen Schmitt eine unbefriedigende Lösung. Sie weiss, dass sich Aluminium auf einfache Weise recyceln und wiederverwenden lässt.   

Bei der Suche nach einer neuen, nachhaltigen Lösung stiess das Team von Schmitt auf Unicomper. Das brasilianische Unternehmen hat sich auf ein Recycling-Verfahren spezialisiert, mit dem aus dem Abfall von Blisterverpackungen Türen, Verkleidungen und Sockelleisten für den Hochbau gefertigt werden.

PVC-Holz

Der Chef von Unicomper, Jorge Luiz Furlan, kam bei einer Reise nach China auf die Idee, Abfall von Blisterverpackungen wiederzuverwenden. Dort konnte er bei Firmen derselben Branche beobachten, wie sie das in Blisterverpackungen enthaltene Aluminium vom PVC trennten. Dies bewegte ihn dazu, eigene Forschungen anzustellen.   

Im Gegensatz zu den chinesischen Unternehmen konzentrierte sich Furlan jedoch auf das Ziel, alle Materialien der Blisterverpackungen wiederzuverwenden – also PVC wie auch Aluminium. Das recycelte Material sollte schliesslich als Ausgangsmaterial für ein Extrusionsverfahren dienen, mit dem Halbfabrikate für Türen, Türzargen und Sockelleisten hergestellt werden.   

«Nach verschiedenen Test- und Versuchsreihen stellten wir fest, dass das Blistermaterial zusammen mit anderen Rohstoffen wie unbehandeltem Harz, Zusatzstoffen, Karbonat und Holzmehl zu einer Art Teig verarbeitet werden kann, den wir als PVC-Holz bezeichnen. Dieser lässt sich dann in verschiedene Formen giessen», so Jorge Luiz Furlan.   

Bei dem von Unicomper entwickelten Recyclingverfahren wird die Blisterverpackung zunächst in feinste Mikropartikel geschreddert. Nach diesem Schritt wird das PVC mit einem elektrostatischen Verfahren vom Aluminium getrennt und nach einer speziellen Rezeptur mit anderen Materialien vermischt. Dadurch entsteht eine zähflüssige Masse, der Ausgangsstoff für neue Produkte.   

«Das Recycling des Abfalls erfolgt völlig nachhaltig und verursacht keinerlei Umweltbelastungen, da das PVC-Extrusionsverfahren bei einer Temperatur von 150 Grad Celsius durchgeführt wird», erläutert Furlan. «Bei dieser Temperatur kommt es nicht zum Zerfall des Materials, und es werden keine schädlichen Gase freigesetzt.»   

Unicomper verarbeitet jetzt Blisterverpackungsabfall von rund zehn unterschiedlichen Pharmaunternehmen in Brasilien, unter anderem zur Herstellung pilz- und termitenresistenter Türen und Sockelleisten für den brasilianischen Markt.   

Derzeit wird das Blister-Recyclingverfahren ausschliesslich mit dem unbenutzten Material durchgeführt, das beim Fertigungsprozess anfällt. Dieses Material ist nicht mit pharmazeutischen Wirkstoffen kontaminiert, die beim Recycling in Form von Mikrospuren in die Endprodukte und damit in die Umwelt gelangen könnten. Bisher gibt es noch kein bedenkenlos praktikables Verfahren, das es erlauben würde, benutzte Blisterverpackungen aus Privathaushalten oder aus Krankenhäusern und Kliniken risikofrei zu recyceln.

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...für den Bau von PVC-Türen recycelt.

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Der in Cambé anfallende Aluminium- und PVC-Abfall dient als Rohstoff für die Herstellung von 3760 Türen pro Jahr. Damit könnten rund 750 Dreizimmerwohnungen mit je fünf Türen ausgestattet werden.   

Die Türen sind besonders für Länder auf der Südhalbkugel interessant: Sie sind feuchtigkeits- und hitzebeständig, wasserdicht, korrosionsfrei und dienen im Gegensatz zu herkömmlichen Holztüren nicht als Brutstätte für Pilze oder Termiten.    

Rechnet man den in Cambé anfallenden Blisterverpackungsabfall auf den des Gesamtkonzerns Novartis hoch, könnten mit dem enthaltenen Aluminium und PVC rund 94 000 Türen gefertigt werden. Damit liesse sich eine Kleinstadt mit 18 800 Dreizimmerwohnungen ausstatten.    

«Dies ist eine enorme Menge», so Hellen Schmitt. «Es wäre ein riesiger Schritt hin zur Kunststoffneutralität bei Novartis, wenn wir den gesamten Blisterverpackungsabfall auf diese Weise recyceln könnten.»

Erweiterungspotenzial

Schmitts Idee zum Recycling von Blistermaterial stiess im gesamten Unternehmen auf Interesse und Anerkennung. Dem Team, das für sein Projekt eine interne Auszeichnung erhielt, gelang es, sein Tun unternehmensweit erfolgreich zu kommunizieren.  

«Das Verfahren zum Recycling von Abfällen aus der Blisterverpackungsherstellung hat sich in Brasilien als so erfolgreich erwiesen, dass hoffentlich auch andere Werke in anderen Ländern den Weg für ähnliche Recyclingverfahren ebnen», so Hellen Schmitt.   

Die Tatsache, dass mit der Menge an nicht kontaminiertem Blisterabfall aus allen Werken von Novartis eine Kleinstadt mit Türen ausgestattet werden könnte, regt zu weiteren Überlegungen an. Es drängt sich die Frage auf, was sich erreichen liesse, wenn gebrauchte Blisterverpackungen von pharmazeutischen Wirkstoffen gereinigt und auf ähnliche Weise wiederverwendet werden könnten. Dies birgt enormes Potenzial: Das Marktforschungsunternehmen FACT.MR geht davon aus, dass das Gesamtvolumen an Blisterverpackungsmaterial bis 2026 auf mehr als 1,2 Millionen Tonnen ansteigt. Könnte man dieses Volumen nutzen, würde dies einen echten Durchbruch beim Recycling von Verpackungsmaterial in der pharmazeutischen Industrie darstellen.   

Das Team von Hellen Schmitt hat gemeinsam mit Unicomper den ersten grossen Schritt in diese Richtung unternommen und den Weg für neue Formen des Recyclings geebnet.

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