Karte des Lebens
Zufriedene Nutzer
Video Player is loading.
Current Time 0:10
Duration 0:20
Loaded: 79.65%
Stream Type LIVE
Remaining Time 0:10
 
1x
    • Chapters
    • descriptions off, selected
    • subtitles off, selected
    • default, selected
    Wissenschaft
    00

    Digitales Klarglas für die Zukunft der Medizin

    Als Galileo Galilei vor vier Jahrhunderten seine bahnbrechenden astronomischen Entdeckungen machte, war die Technologie, die ihm half, unser Weltbild zu verändern, einige Jahre zuvor in Venedig erfunden worden. Dort hatten die berühmten Glasbläser von Murano klares Glas entwickelt, das den Bau von Linsen für Teleskope und Mikroskope ermöglichte – jene Instrumente, die dazu beitrugen, alles von der Astronomie bis zur Biologie neu zu denken. Die digitale Forschungsplattform data42 von Novartis hofft, ebenso bahnbrechend zu sein.

    Text von Goran Mijuk, lllustration von Philip Bürli, Fotos von Björn Myhre

    scroll-down
    Home
    en
    de
    zh
    jp
    Share
    Share icon
    content-image
    Enter fullscreen

    Die Verbindung der medizinischen Punkte zu einem ganzheitlichen Verständnis der menschlichen Biologie.

    arrow-rightKarte des Lebens
    arrow-rightZufriedene Nutzer

    Im Sommer 2019 traf ich mich mit Achim Plückebaum, Peter Speyer und Pascal Bouquet, die wenige Monate zuvor gemeinsam mit ihren Teams die digitale Forschungs- und Entwicklungsplattform data42 von Novartis ins Leben gerufen hatten.

    Ihr Hauptbüro in einem alten Laborgebäude auf dem Basler Campus war fast leer und wirkte auf Aussenstehende etwas trostlos. Doch die langen Reihen von Schreibtischen – ausgestattet mit grossen Computerbildschirmen, die mit den Datenzentren von Novartis auf der ganzen Welt verbunden waren – liessen auf hohe Ambitionen und grosse Vorhaben schliessen.

    2019 war ein Spitzenjahr für die digitale Forschung. Neue digitale Tools und das Versprechen der künstlichen Intelligenz verwandelten die Pharmabranche in ein digitales Eldorado. Die Hoffnung war gross, die herkömmliche Arzneimittelforschung zu revolutionieren und die langen und kostspieligen Entwicklungszeiten von Medikamenten mithilfe leistungsstarker Algorithmen und superschneller Computer massiv zu verkürzen.

    Der Grundgedanke war folgender: data42 sollte die riesigen, bisher praktisch ungenutzten klinischen und wissenschaftlichen Daten von Novartis, die fast 2 Millionen Patientenjahre umfassten, zu neuem Leben erwecken und dem Unternehmen dabei helfen, Medikamente schneller zu entwickeln.

    Doch trotz dieser ehrgeizigen Vision war sich das data42-Team bewusst, dass die bevorstehende Aufgabe zahlreiche Herausforderungen mit sich bringen würde. Ausserdem war klar, dass das Team mit der Zeit auf immer grösseren Widerstand stossen würde, wenn data42 dem Hype, der um das Projekt herrschte, nicht gerecht werden würde.

    Konzentration auf das Machbare

    Man versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren, nicht zu viel zu versprechen und sich auf das Machbare zu konzentrieren. Sogar der Name data42 – eine Anspielung auf Douglas Adams Roman Per Anhalter durch die Galaxis – war ein Zeichen der Bescheidenheit, da er unterstrich, dass Computerleistung nur durch richtige – menschliche – Fragen erschlossen werden kann.

    Das data42-Team, das schnell auf etwa 150 Mitglieder anwuchs, setzte sich deshalb kurzfristige Ziele, um innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens greifbare Ergebnisse zu erreichen. Diese Strategie trug entscheidend dazu bei, das Projekt voranzubringen, zumal die riesige Datenmenge, die sich auf Tausende von klinischen Studien und Millionen von Datenpunkten aus jahrelanger Forschung erstreckte, zu unhandlich gewesen wäre, um sie auf einen Schlag zu bewältigen.

    Aber auch wenn das Team Schritt für Schritt vorging, war die Aufgabe gigantisch. Jeder, der schon einmal versucht hat, Excel-Tabellen in verschiedenen Formaten zusammenzuführen, hat zumindest eine ungefähre Vorstellung davon, was für eine mühsame Aufgabe das Team zu meistern hatte.

    Im Fall von data42 mussten Millionen von Datensätzen bereinigt werden. Ein Beispiel war die Suche nach einem gemeinsamen Nenner für das Geschlecht eines Patienten für die Tausenden von klinischen Studien, die von Novartis durchgeführt wurden. In einigen Studien wurde das Geschlecht eines Patienten mit einem «f» oder einem «m» gekennzeichnet, in anderen wurden «maskulin» oder «feminin» verwendet, andere Studien wiederum griffen auf die Begriffe «männlich» und «weiblich» zurück. Um die Maschinenlesbarkeit der Daten zu gewährleisten, musste dies zunächst vereinheitlicht werden.

    Das gleiche Problem stellte sich auch in anderen Fällen, wie etwa bei der ethnischen Herkunft eines Patienten, seiner Krankengeschichte oder den eigentlichen klinischen Daten, die je nach Studienort grosse Unterschiede aufweisen konnten. Kurzum, das Team musste das Chaos beseitigen.

    «Alles in allem wussten wir, dass der Anfang besonders hart sein würde, da es zunächst darum ging, die Daten zu bereinigen und dann so schnell wie möglich Ergebnisse zu produzieren, um das Vertrauen unserer Partner zu gewinnen und zu zeigen, dass wir unseren Pool an Daten aus Medizin, Klinik und Forschung optimal nutzen können», erinnert sich Plückebaum an die Anfangszeit von data42.

    content-image
    Enter fullscreen

    Pascal Bouquet, Gabriel Eichler, Sam Khalil, Christian Diehl und Achim Plueckebaum.

    Kar­te des Le­bens

    Eines der ersten Projekte war im Bereich der Dermatologie angesiedelt. Das Team untersuchte dabei bestehende klinische Studiendaten, um Korrelationen mit anderen Krankheitsbereichen zu finden, was wiederum den Forscherteams bei der Suche nach potenziellen neuen Indikationen für bestehende Medikamente helfen könnte. Obwohl die Suche nicht die erhofften Daten lieferte, lernte das Team genug, um das Projekt vorwärtszubringen, auch wenn der anfängliche Rückschlag zu Anpassungen bei der ursprünglichen Strategie führte.

    Während das Team mit Herausforderungen kämpfte, stiess jedoch auch eine Reihe von Digitalexperten und externen Partnern zum Team hinzu, die data42 dabei unterstützten, rasch Fortschritte zu machen und die anfänglichen Herausforderungen zu überwinden. Eines der ersten Mitglieder des Teams war Gabriel Eichler, Head of Data bei data42. Für ihn liegt das Potenzial der Datenwissenschaft vor allem darin, Strukturen zu identifizieren, die bislang von der Wissenschaft noch nicht beachtet wurden.

    «In vielerlei Hinsicht ist das, was wir bei data42 tun, vergleichbar mit dem, was die venezianischen Glasbläser taten, als sie das Kristallglas erfanden: Daraus entstanden Teleskope und Mikroskope, die den Lauf der Wissenschaft und der Geschichte völlig verändern sollten», erläutert Eichler. «Das heisst, wir schaffen die Grundlage für Dinge, von denen wir keine Ahnung haben – wie etwa das Internet oder das E-Mail, die später völlig neue Branchen hervorgebracht haben.»

    Die Bereinigung der Daten war ein riesiger Arbeitsbrocken. Aber auch die Zusammenführung der unterschiedlichsten Datensätze stellte eine grosse Herausforderung dar. «Aber», so Eichler, «nur durch diese Kombination können Daten wirklich ihr Versprechen einlösen. Der Datenpool, den wir erstellt haben, könnte es Wissenschaftlern ermöglichen, immer mehr über die Zusammenhänge zwischen Biologie und Krankheiten zu erfahren.»

    Mit dieser Vision im Hinterkopf baute das Team in weniger als zwei Jahren das erste Kernprodukt von data42 auf, das heute als Karte des Lebens (Map of Life) bezeichnet wird. Auch wenn sich der Zeitrahmen kurz anhört, verlief der Prozess alles andere als reibungslos. Er umfasste eine Reihe strategischer Änderungen, grosse persönliche Anstrengungen seitens der Teammitglieder sowie technische Unterstützung durch externe Partner.

    Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Das System umfasst nun nicht nur Daten aus fast 3000 klinischen Studien, sondern auch Forschungs- und Genomikdaten, einschliesslich 1,6 Billionen genomischer Varianten, sowie Blut- und Gewebeproben und sonstige medizinische Daten, die den Wissenschaftlern helfen, ihr Verständnis von Krankheiten zu vertiefen und bisher unbekannte Zusammenhänge ausfindig zu machen.

    Synthetische klinische Versuche

    Der Vorteil dieser zentralisierten Karte lässt sich kaum ermessen, wenn man nicht weiss, wie klinische Daten seit Jahrzehnten gehandhabt wurden.

    «Wenn ein Wissenschaftler in der Vergangenheit Zugang zu bestimmten klinischen Daten haben wollte, bedeutete dies normalerweise nicht nur eine langwierige Suche nach der richtigen Person, die die Daten besitzt, sondern auch Diskussionen über die Verwendung der Daten. Allein dieser Prozess konnte leicht Wochen, wenn nicht Monate dauern», sagt Sam Khalil, Head of Science bei data42.

    Durch das Aufbrechen dieser strukturellen Silos mittels der Karte des Lebens können Wissenschaftler nun im Handumdrehen auf diese Daten zugreifen, auch weil das data42-Team dafür gesorgt hat, dass alle Patientendaten vollständig geschützt sind.

    Als Sam Khalil mich durch die Funktionalitäten der Plattform führt, wird der Effizienzgewinn sofort deutlich. Wenn man wissen will, wie viele männliche und weibliche Patienten an klinischen Studien teilgenommen haben, steht das Ergebnis im Bruchteil einer Sekunde bereit. Noch vor zwei Jahren wäre ein solcher Aufwand eine Doktorarbeit wert gewesen ...

    «Studiendaten – einschliesslich Genomik- und Proteomikdaten – lassen sich jetzt über das gesamte klinische Studienuniversum von Novartis analysieren und liefern Erkenntnisse, die in der Vergangenheit nur schwer oder gar nicht zu gewinnen gewesen wären», erklärt Khalil. «Aber der eigentliche Gewinn besteht darin, dass jetzt alle klinischen Daten in einer Weise miteinander verknüpft werden können, die früher utopisch war und die uns in naher Zukunft sogar die Durchführung synthetischer Studien ermöglichen wird.»

    Um herauszufinden, ob ein bestimmtes Medikament in einer bestimmten Indikation eingesetzt werden kann, haben die Entwicklungsteams normalerweise kaum eine andere Möglichkeit, als klinische Studien durchzuführen. Dies könnte nun in Zukunft teilweise mithilfe von data42 geschehen, das wichtige Erkenntnisse über die Durchführbarkeit von Studien liefern kann.

    «In einem Fall hatten Kollegen, die eine Studie durchführten, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Patienten und baten uns, die Gründe dafür zu untersuchen», erinnert sich Khalil. «Nachdem wir unsere Analyse durchgeführt hatten, konnten wir zeigen, dass die Patientenpopulation im Studienaufbau zu eng gefasst war. Dies hat dem Forscherteam ermöglicht, die Studie neu auszurichten und die richtigen Entscheidungen zu treffen.»

    content-image
    Enter fullscreen

    Pascal Bouquet

    Zu­frie­de­ne Nut­zer

    Bislang haben rund 250 Nutzer aus dem gesamten Unternehmen die Karte des Lebens von data42 in Anspruch genommen, darunter auch zwei Wissenschaftler der Novartis Institutes for BioMedical Research, Michael Beste und Jason Laramie, die sich vom System enorme Effizienzgewinne versprechen.

    «Ich habe es bereits mehrere Male benutzt und bin immer noch erstaunt, was in so kurzer Zeit erreicht wurde», sagt Laramie. «In der Vergangenheit dauerte es Wochen oder sogar Monate, bestimmte Datensätze zu organisieren und zu analysieren. Jetzt kann dies innerhalb weniger Tage, ja sogar Stunden, erledigt werden.»

    Während Laramie davon ausgeht, dass data42 mit der Zeit an Fahrt gewinnen wird und die rasche Fertigstellung des Systems sowohl den technischen Fähigkeiten seiner Kollegen zuschreibt als auch der Entschlossenheit von Novartis, diese bereichsübergreifende Einheit zu finanzieren, erwartet sein Kollege Michael Beste, dass die Forscher «mehr Schüsse aufs Tor machen können ... und in der Lage sein werden, das Hypothesenspektrum zu erweitern».

    Auch die Kollegen von Global Drug Development sind von der Karte des Lebens begeistert. Janice Branson erwartet, dass durch dieses neue Werkzeug das «Silo-Denken» überwunden wird und dass das System, das heute schon einen riesigen Datensatz mit MRT-Scans, Röntgenbildern und anderen Informationen enthält, durch die Einbindung von Daten aus der realen Welt noch leistungsfähiger wird.

    «Schon heute trägt data42 dazu bei, Silos aufzubrechen», so Branson. «Aber ich erwarte, dass es mit der Zeit noch effizienter wird, wenn wir erst einmal wissen, wie unsere Medikamente in der Praxis wirken.» Eines der nächsten grossen Vorhaben des data42-Teams ist daher die vollständige Integration und Verknüpfung von Daten aus der Gesundheitsversorgung (real-world data) mit den klinischen Daten von Novartis.

    Laufende Arbeiten

    Der bisherige Weg von data42 war ein grosser Erfolg, auch wenn es Phasen mit Rückschlägen und strategischen Wendungen gab. Plückebaum, Speyer und Bouquet, die die Reise von Tag eins an miterlebt haben, sind der Meinung, dass das Team nur so weit gekommen ist, weil es flexibel war, bei Bedarf umzuschwenken, auf die Bedürfnisse der Wissenschaftler zu hören und, wenn nötig, mutig zu handeln. Ebenso wichtig, so sind sie überzeugt, waren und sind die Unterstützung durch die Führung sowie eine klare strategische Vision, insbesondere in Krisenzeiten.

    Während Daten und Digitaltechnik tief in der Strategie von Novartis verankert sind, hat einer der stärksten Unterstützer des Teams nicht nur eine Langzeitvision für Daten und Digitaltechnik, sondern stellt die Bemühungen von data42 in einen grösseren medizinischen Kontext. «Wenn man sich die Geschichte der Medizin anschaut, ist sie eine recht junge Wissenschaft, die erst vor etwa 100 Jahren begonnen hat», erklärt Badhri Srinivasan, Head Global Development Operations und Executive Sponsor bei data42. «Wenn man sie mit anderen Bereichen wie der Physik vergleicht, die es schon seit Jahrtausenden gibt, stehen wir erst am Anfang.»

    Wenn es darum geht, die Medizin voranzubringen, werden Daten und digitale Technologien entscheidend sein, da sie in der Lage sind, verschiedene medizinische Bereiche miteinander zu verbinden. «Viele medizinische Durchbrüche in der Geschichte des Fachs wurden isoliert erzielt», so Srinivasan. «Es war bisher schwierig, die einzelnen Punkte miteinander zu verknüpfen. Aber wir alle wissen, dass die Medizin nur verbessert werden kann, wenn wir unseren Körper und die zugrunde liegende Biologie ganzheitlich verstehen. Hier werden Daten wirklich gebraucht, und sie werden in Zukunft unerlässlich sein.»

    Vor diesem Hintergrund werden Daten und die Digitalisierung immer wichtiger, auch weil data42 ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer patientenzentrierten Organisation ist, die vor allem personalisierte Medikamente entwickeln will. «Vor diesem grösseren Hintergrund wird data42 konzeptionell weiterwachsen, denn es gibt so viele Daten, die miteinander verknüpft werden müssen», sagt Srinivasan. «Das mag ein schwieriges Unterfangen sein. Aber wie unsere ersten Fälle zeigen, ist es ein lohnender und wichtiger Weg, da er so viele Möglichkeiten eröffnet, einschliesslich unserer Bemühungen, wirklich personalisierte Medikamente zu entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen der Patienten Rechnung tragen.»

    icon

    Home
    en
    de
    zh
    jp
    Share
    Share icon