Während die Chemie in den 1980er- und 1990er-Jahren zunehmend an Bedeutung verlor, wurde die Stellung der Biologie zunehmend stärker. Auch im Klybeck. Eine kleine Gruppe von Forschern sorgte aber dafür, dass hier an der Zukunft der Medikamentenentwicklung weitergeschrieben wird.
Text von Goran Mijuk, Fotos von Adriano A. Biondo
Biotechnologische Produktionsanlagen im Klybeck, die heute noch in Betrieb sind.
Publiziert am 27/09/2021
Marcel Brunner kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als er 1987 seine Karriere im Klybeck begann. Laut war es damals gewesen, entsinnt sich der Ingenieur. Nicht nur die dieselbetriebenen Lastwagen machten Lärm, auch das Sirenengeheul der Feuerwehr war immer wieder zu hören, wenn es mal wieder irgendwo einen Einsatz gab – was nicht selten der Fall gewesen sei.
Brunner war von seiner Arbeit fasziniert, konnte er doch als junger Ingenieur am Bau von neuen Anlagen und Umweltsystemen mitwirken. Er genoss diese erste Zeit sichtlich, nicht zuletzt weil das Klybeck so viel Abwechslung bot: «Ciba-Geigy war ein imposanter Arbeitgeber. Und es war auch eine interessante Zeit, da die Nachwehen von Schweizerhalle spürbar waren. Wir bauten Rückhaltebecken und auch Luftwaschanlagen. Das als junger Ingenieur mit zu projektieren, vor allem auf einem so grossen Areal, war faszinierend.»
Es war in vieler Hinsicht eine gute, vor allem aber auch belebte Zeit. Das meint auch Piero Bonfiglio, der 2020 pensioniert wurde und in den 1980er-Jahren seine Zweitausbildung im Klybeck anfing. Es habe nur so von Leuten gewimmelt. Doch trotz der emsigen Betriebsamkeit hatte man Zeit für einander.
«Ich habe im K-376 angefangen, wo wir Peptide herstellten, daneben war das K-352, wo man Farbstoffe produzierte. Es war ein Leben wie auf dem Dorf. Alle waren draussen, man hat sich gesehen und gegrüsst. Und wenn jemand pensioniert wurde, ging man zur Person, auch wenn man sie nur flüchtig kannte – etwas, was heute kaum noch geschieht.»
Auch Arthur Bützberger, der 1975 als Chemikant im Klybeck seine Karriere anfing, erinnert sich an ein lebendiges Quartier, aber auch an die Strenge, die damals herrschte. «Als junger Mitarbeiter musste man immer etwas zurückstehen. Damals gab es noch Chemiker im Betrieb und Betriebsleiter, die grosse Macht hatten. Mit der Fusion 1996 hat man aber den Einfluss der Mitarbeiter gestärkt und die Hierarchien abgebaut. Ich konnte noch erleben, dass die Chemiker ihre eigenen Waschräume hatten, und man musste sie als Doktor ansprechen. Heute sind wir per Du, was ich als eine sehr gute Sache empfinde.»
Strengste Hygieneregeln...
Die Zeiten änderten sich ab Mitte der 1990er-Jahre nicht nur im Umgang miteinander. Das Klybeck, einst Hauptsitz der Ciba-Geigy, wurde nach der Fusion Stück für Stück stillgelegt. Vor allem die chemische Produktion wurde abgebaut, da es auch dem gesellschaftlichen Trend entsprach, Industrieanlagen nicht mehr auf städtischem Gebiet zu betreiben.
Piero Bonfiglio, der nach der Fusion einige Jahre im St. Johann arbeitete, konnte seinen Augen nicht trauen, als er im letzten Abschnitt seiner beruflichen Laufbahn wieder ins Klybeck zurückkehrte. «Als ich 2013 zurückkam, erschrak ich schon ein wenig. Es war alles so leer. Es gab noch drei Gebäude, die offen waren. Kein Vergleich mit früher. Es tat schon etwas weh.»
Doch nicht alles fiel der Abrissbirne zum Opfer, wurde entkernt und neuen Zwecken zugeführt. Während die Chemie langsam zurückgebaut wurde, investierte man kräftig in die Biologie, quasi ein Neuanfang im Ende.
Diese Entwicklung konnte Iso Lengwiler von Anfang an beobachten. Der heutige Leiter der Qualitätskontrolle im Klybeck, der 1981 in den Betrieb eintrat, hatte sich schon früh für biotechnologische Verfahren interessiert und absolvierte Mitte der 1980er-Jahre sein Chemiestudium, bevor er dann ab 1987 seine berufliche Karriere auf dem Klybeck fortsetzte.
«Ich habe die Entwicklung der biotechnologischen Produkte, die jetzt ein wichtiges Standbein für Novartis sind, miterlebt und gesehen, dass sie einen immer grösseren Stellenwert in der Firma bekommen. In all den Jahren ist die ursprünglich sehr industrie-, chemie-, kunststoff-, additiv-, und farbstofforientierte Infrastruktur mehr und mehr konzentriert worden. Man hat dann Teile an andere Firmen abgegeben. Im hinteren Bereich des Klybeckareals, wo ich heute noch tätig bin, ist sukzessive ein neuer, wichtiger Biotechnologie-, Entwicklungs- und Produktionsstandort entstanden.»
Zunächst wurde im Klybeck vor allem mit neuen Verfahren experimentiert, was Iso Lengwiler zupasskam. «Ich hatte schon von der Lehre als Pharmabiologielaborant her eine grosse Affinität zur Biologie. Während des Studiums, obwohl es ein Chemiestudium war – ein Biotechnologiestudium gab es zu dieser Zeit noch nicht –, habe ich chemische Änderungen mithilfe von Backhefezellen gemacht. Dies war für mich ein Grund gewesen, wieder zurück ins Klybeck zu gehen, zu Ciba-Geigy, da dort erste klinische Produktionen mit Hilfe fermentativer Hefeprozesse entwickelt wurden.»
...und modernste technische Apparaturen...
Die Chemie war zu dieser Zeit noch tonangebend. Aber man suchte bereits nach neuen Technologien, um natürlichere und schonendere Produktionsverfahren zu entwickeln. «Man hat dies auch am Geruch wahrnehmen können. Es hat nicht gerade wie in einer Brauerei, aber ein Stück weit vergleichbar gerochen. Das war interessant. Wir haben auch immer auf die Natur geschaut: Was macht die Natur, kann man das irgendwie imitieren, kann man gewisse Medikamente aus der Natur ableiten?»
Mit Blutegeln und Milch wurde experimentiert und dann, in den 1990er-Jahren, auch mit tierischen Zellen. Diese Entwicklung ging von neuen gentechnologischen Verfahren aus, die es ermöglichten, Proteine mithilfe tierischer Zellen zu entwickeln. In diesem Verfahren werden Zellen gentechnisch so verändert, dass sie ein bestimmtes Protein exprimieren, das man für medizinische Zwecke nutzen kann. 1982 liess sich so erstmals Insulin künstlich herstellen, um Diabetespatienten damit zu behandeln.
Novartis forcierte diesen Bereich sehr stark, und das Klybeck spielte eine wichtige Rolle. Denn das Unternehmen entschied bereits nach der Fusion 1996, die Biotechnologie im Klybeck zu konzentrieren, ganz hinten auf dem Arealfeld 6, gleich neben dem Flüsschen Wiese.
Dieser Entscheid hat sich mehr als gelohnt, konnte Novartis doch in den vergangenen zwanzig Jahren fast ein Dutzend neuer Wirkstoffe im Markt platzieren. Das Team im Klybeck, das zu dieser erfolgreichen Entwicklung beitrug, konnte dabei den Standort zu einem veritablen Forschungs- und Entwicklungszentrum aufbauen, der eine globale Strahlkraft besitzt, so Thomas Meissner, der heute als Site Quality Head auf dem Klybeck arbeitet. Eines der jüngsten Projekte im Klybeck war sogar derart erfolgreich, dass der ursprüngliche Pilotbetrieb, der nur kleinere Mengen produziert, in ein Produktionswerk umgewandelt wurde, von dem aus heute Patienten auf der ganzen Welt beliefert werden.
... prägen das Bild der biotechnologischen Produktion.
«Der Nukleus der biologischen Entwicklung, der war schon immer im Klybeck. Dadurch, dass die Chemie verschwindet und von der Bedeutung her im Klybeck nicht mehr so präsent ist, ist der Raum für die Biologie entstanden. Es ist wirklich so, dass wir jetzt den Portfolioshift sehen, der inzwischen sehr viele biologische Moleküle hervorbringt. Und dies aus dem Klybeck», erklärt Meissner.
Die Kollegen sind stolz auf diese Leistung. «Es hat klein angefangen. Zunächst hatten wir nur eine Linie und jetzt sind es insgesamt drei; eine davon ist eine Forschungs- und Entwicklungslinie. Auf den anderen zwei produzieren wir praktisch für die ganze Welt», so Thomas Meissner weiter.
Dass in Zukunft im Klybeck weitergearbeitet wird, ist schon heute klar. Bis mindestens 2029 wird auf dem Areal 6 geforscht, entwickelt und produziert, auch für das global wachsende Biotech-Netzwerk von Novartis. Denn die Biotechnologie ist aus der pharmazeutischen Industrie nicht mehr wegzudenken und wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen, vor allem wenn es darum geht, komplexe und schwer therapierbare Krankheiten zu behandeln.
Dies kommt auch der Umwelt zugute: «Biotechnologie ist grüne Technologie. Und inhärent zeichnet sich Biotechnologie natürlich dadurch aus, dass sie wirklich gar keine anorganischen Lösungsmittel verwendet, dass keine Reaktionen stattfinden. Alles ist natürlichen Ursprungs.»
Aber auch klassische Medikamente, zumindest im Pilotbetrieb für kleine Mengen, werden hier noch hergestellt werden, und die Mitarbeiter schauen schon heute gespannt darauf, was hier in nächster Zukunft gebaut wird. So auch Matthias Kastner, Leiter des Solids-Pilotbetriebs im Klybeck, der das Areal wie seine Hosentasche kennt: «Als ich 2006 im Klybeck gestartet habe, dampften die Kamine alle noch, da wurden noch Farbstoffe hergestellt. Da war wirklich noch richtig Dampf.»
Arbeiten und leben
Als Kastner erfuhr, dass das Klybeck verkauft würde, verzagte er nicht, auch wenn er wie viele seiner Kollegen etwas wehmütig zurückblickt.
Er sieht nicht nur seine berufliche Zukunft hier im Klybeck, sondern auch seine private. «Als ich dann vor zwei Jahren erfuhr, dass das Klybeck verkauft wird, da habe ich mir gedacht, ja, das könnte mal was werden, wenn in die netten Backsteingebäude an der Mauerstrasse Lofts eingebaut würden. Ja, und wenn Novartis noch mein Gehalt erhöht, könnte ich mir schon vorstellen, dass ich da mal wohnen werde, weil es ein so schönes Areal mitten in der Stadt ist. Ich freue mich, wenn sich das ganze Areal jetzt weiterentwickelt. Ich werde das sicherlich verfolgen, und vielleicht ergibt es sich ja wirklich, dass ich einmal im Klybeck wohnen werde.»
Wie sich das Klybeck dann ausnimmt, weiss natürlich niemand. Aber die altgedienten Arbeiter werden die Ecken noch kennen, an denen früher «richtig» produziert wurde, in einem Zeitalter, in dem Dampf, Kohle und der Geruch von Lösungsmitteln Fortschritt und Erfolg bedeuteten. «Da bleiben sicher viele Erinnerungen, und man wird sagen können, was früher wo produziert wurde», erklärt Marcel Brunner, der als Werksingenieur in fast allen Gebäuden gearbeitet hat. «Auch wenn hier mal Kinder spielen, bleibt einem von der Tätigkeit her vieles haften.»
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