Eine scheinbar unkomplizierte Zeit
Beschleunigter Wandel
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Geschichte lebt von Geschichten

Im Rahmen von Filmaufnahmen für die virtuelle Campus-Tour, die das Werkareal St. Johann für die Öffentlichkeit erfahrbar macht und so zu einem tieferen Verständnis der Arbeits- und Forschungsphilosophie von Novartis beitragen will, wurden im vergangenen Juni vier ehemalige Mitarbeitende von Novartis und ihren Vorgängergesellschaften eingeladen, um über ihre Erlebnisse und Erinnerungen bei Ciba, J. R. Geigy, Sandoz und Novartis vor der Kamera zu reden. live hat die Gelegenheit ebenfalls wahrgenommen und mit den Zeitzeugen darüber gesprochen, wie sie die Veränderungen des Areals und des Unternehmens während der vergangenen sechs Jahrzehnte erlebt haben.

Text von Goran Mijuk, Fotos von Laurids Jensen

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Manfred Mebert tauschte in jungen Jahren seinen Bademeisterjob gegen eine Karriere bei Sandoz.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich im Oktober 2013 publiziert.
Publiziert am 01/06/2020

Es war einer jener wolkenverhangenen Junitage, die trotz einer leichten Brise und der zaghaft durch ein dichtes Wolkenband durchschimmernden Sonne nur Regen versprachen, als die vier ehemaligen Novartis Mitarbeitenden Fritz Kähr, Peter Schad, Walter Mebert und Manfred Stahel im randvoll mit Akten, Dossiers, Fotos und Filmaufnahmen gefüllten Novartis Firmenarchiv auf dem Campus eintrafen, um vor der Kamera ihre eigene, von persönlichen Erinnerungen und Anekdoten geprägte Firmengeschichte zu erzählen.

Die gutgelaunte Truppe, die sich teilweise seit Jahrzehnten kennt und auch immer wieder trifft, liess den grauen Alltag draussen und wanderte in Gedanken und Bildern in eine Zeit zurück, die angesichts der tiefgreifenden arbeitsweltlichen und technologischen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte schon beinahe märchenhaft entrückt erscheint und die die Anwesenden ihre Gegenwart und mithin den verregneten Sommer für einige Augenblicke ganz vergessen liess.

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Fritz Kähr kann sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag am 30. April 1947 erinnern. Schon tags darauf hatte er frei.

Eine schein­bar un­kom­pli­zier­te Zeit

Zu der Zeit, als der heute über 90-jährige Fritz Kähr, der älteste des Quartetts, im Jahr 1947 als Schlosser bei Sandoz eintrat, war St. Johann noch stark von der Schwerindustrie geprägt. Riesige Heizkessel, reihenweise rauchende Kaminschlote und Gaskessel so gross wie Hochhäuser dominierten das Werk St. Johann. Nichts deutete auch nur ansatzweise darauf hin, dass rund 60 Jahre später auf diesem Areal ein Campus mit hochmodernen Labors, lichtdurchfluteten Bürolandschaften, Parks und Restaurants entstehen würde, wo eines Tages Kinder um einen Teich mit Zierkarpfen herumrennen würden.

Kähr, der in Delsberg aufgewachsen ist, erinnert sich gut und gerne an seine ersten Arbeitstage: «Ich fing am 30. April 1947 an. Das war an einem Mittwoch. Und der Donnerstag war der 1. Mai, das war schon ein Feiertag. Am Freitag arbeiteten wir, und am Samstag war wieder frei … das war eine schöne Woche», erklärt der 91-jährige Kähr, der als Schlosser anfing und später im Kesselhaus und bei der Energieversorgung bei Sandoz im Werk St. Johann arbeitete.

Dort lernte er auch Walter Mebert kennen, der sich, rund 20 Jahre jünger als Kähr, ebenfalls glasklar an seine Anfangszeit bei Sandoz erinnert. «Als ich nach meiner Ausbildung zum Apparatebauer eine längere Auslandsreise machte und wieder nach Europa zurückkam, war ich zuerst Bademeister im Rheinbadhüsli, wo es mir gut gefiel. Doch immer wieder wurde ich von meinem Chef darauf angesprochen, dass die Sandoz ständig Leute sucht. So entschied ich mich eines Abends, ins St. Johann zu gehen, und meldete mich beim Personalchef, der mich auch prompt einstellen wollte, denn Handwerker waren gesucht», erklärte der lebhafte Basler.

Nachdem er seinen Bademeisterjob gekündigt hatte, fing er drei Monate später bei Sandoz an, nicht unweit von dem Ort, wo sein ehemaliger Schulfreund Peter Schad bereits seit einigen Jahren im Werk Klybeck bei der Ciba arbeitete.

«Ich war bis zu meiner Pensionierung bei der Ciba als Chemielaborant tätig. Ich machte dort die Lehre und wurde auch dort pensioniert», sagt Schad, der sich gerne an die Zeit bei Ciba zurückerinnert. Noch heute trifft er sich regelmässig mit sechs anderen ehemaligen Ciba-Mitarbeitenden, die wie er am 23. April 1957 ihre Stelle beim Unternehmen antraten. «Wir haben eigentlich eine gute Zeit gehabt, wenn man es mit dem heutigen Stress vergleicht. Und ich denke mit positiven Gefühlen zurück. Ich war bei der Werkfeuerwehr und ich war mit Begeisterung beim Firmensport dabei», erzählt er. Obwohl es zu Schads Zeiten Begriffe wie Work-Life-Balance nicht gab, so hat er ihm Rückblick den Eindruck, dass seine «Freizeit und Arbeitszeit komplett miteinander verbunden waren … und dass diese Vermischung von Privatem und Beruflichem kein Stress war».

Die Jahre des Wirtschaftsbooms nach dem Zweiten Weltkrieg als Kähr, Mebert und Schad ins Berufsleben einstiegen, scheinen im Rückblick ein-fach und unkompliziert gewesen zu sein.

Kähr erinnert sich auch detailliert an sein aus heutiger Sicht eher unkonventionelles Einstellungsgespräch, als ihn der Personalchef fragte, was er denn arbeiten möchte. «Ich sagte, das ist mir egal, solange ich nur Arbeit habe. Dann rief (der Personalchef) einen anderen Mann und fragte diesen, ob er einen Arbeiter gebrauchen könne. Dieser sagte ja, und der Personalchef fragte, wann ich die Arbeit aufnehmen könne. Ich sagte: morgen.» So fing seine Karriere bei Sandoz an, die bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1982 dauerte.

Doch trotz der süssen und auch ein wenig verklärten Erinnerungen, einfach war die Arbeit nicht, auch im Rückblick nicht. «Damals heizte man mit Kohle», erklärt Mebert, der seine erste Stelle bei Sandoz im Kesselhaus antrat und später die Energieversorgung und die Abwasserentsorgung auf dem Werk St. Johann mitaufbaute. «Alles war voller Staub, und man arbeitete auf Schicht, jeden Tag, das ganze Jahr über, Weihnachten, Neujahr, einfach immer.» Und die Arbeit war auch nicht ungefährlich, erinnert sich Kähr, der immer wieder zusammen mit Arbeitskollegen die grossen Produktionskessel, die sich stets mit Schlamm füllten, putzen musste. Und obschon der Zusammenhalt unter den Kollegen ausgezeichnet war, gab es auch Ärger. Auch Schicksalsschläge waren nicht selten. Kähr verlor einen Vorgesetzten, als dieser bei einem Firmenausflug mit dem berühmten Roten Pfeil, einem Leichttriebwagen der Schweizerischen Bundesbahnen, ums Leben kam.

Doch trotz der Strapazen oder vielleicht ihretwegen war die Verbundenheit mit dem Unternehmen gross. «Mit den Kollegen zusammen zu sein, war wie in einer grossen Familien zu sein», erklärt Schad.

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Für Peter Schad war der Zusammenhalt unter den Kollegen bei der Ciba so stark wie in einer Familie.

Be­schleu­nig­ter Wan­del

Als Manfred Stahel 1963 bei J. R. Geigy als Lehrling eintrat, war noch viel von diesem Zeitgeist zu spüren. Doch die Arbeitswelt wurde allmählich von einem beschleunigten Wandel erfasst. Neue Technologien kamen auf, die viele Arbeitsprozesse rationalisierten. Auch die Schweizer Wirtschaft, die sich wie die der meisten industrialisierten Länder nach dem Aufbau grosser Produktionsbetriebe nun stärker auf den Konsum ausrichtete, stand vor einem grossen Umbau.

Neue Fertigkeiten waren gefragt. Das Geschäft wurde zum Business, und die strategische Ausrichtung wurde zunehmend globaler. Auch die Belegschaft, die noch bis in die 70er-Jahre hinein mehrheitlich schweizerisch war, wurde internationaler. «Am Anfang waren wir nur aus der Region», erinnert sich Schad. «Es gab nur Schweizer und keine Ausländer in der Abteilung. Den ersten ausländischen Chef, den ich erhielt, kam nach der Fusion mit Geigy.» In den nächsten Jahren verschwanden auch Dampf, Rauch und Russ aus dem Werk St. Johann. Handwerker wichen Forschern, und anstelle von Meistern traten Manager auf.

All dies führte zu weitreichenden sozialen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und schlug sich auch in den einzelnen Karrieren nieder, wie derjenigen von Manfred Stahel. «Ich bin im Frühling 1963, vor 50 Jahren, in die Firma eingetreten», erinnert sich Stahel, der aus dem Aargau nach Basel kam, das bereits zu jener Zeit dank Ciba, J. R. Geigy, Sandoz und Roche über einen ausgezeichneten Ruf als Ausbildungszentrum verfügte. «Ich ging damals in die J. R. Geigy als Lehrling und später war ich Laborant in der Pharma-Forschung.»

Aber anders als seine Kollegen Mebert, Kähr und Schad zog es ihn bald weiter. «Ich blieb noch drei Jahre im Labor bei J. R. Geigy, bis kurz vor der Fusion mit Ciba. Ich wollte mich weiterbilden und in Richtung Pharma-Marketing verändern.»

In den darauffolgenden Jahren bildete sich Stahel im Bereich Werbung, Marketing und Management weiter.

1980 zog es ihn dann aber wieder zurück, er trat bei Sandoz-Wander Pharma in Bern als Ärztebesucher ein und stieg später zum Regionalverkaufsleiter auf. Dort blieb er bis zur Gründung von Novartis. «Als die Fusion angekündigt wurde, war das eine grosse Überraschung, und es gab viele Diskussionen», erinnert sich Stahel.

Auch wenn er seine Stelle behalten konnte, betrafen die im Zusammenhang mit der Fusion durchgeführten Umstrukturierungen auch Stahel, der nach 1996 in den Bereich Produktmanagement wechselte, wo er an verschiedenen Projekten arbeitete, unter anderem im Bereich der Hautverpflanzungen und später im Bereich der Organtransplantation. Ab 2002 arbeitete er wieder in Basel, nunmehr aber nicht nur national, sondern auch international, und war dabei auch für einige Länderorganisationen verantwortlich.

Auch wenn sich die Zeiten verändert hatten, der Stolz, für das Unternehmen zu arbeiten, blieb weiterhin gross. «Wenn man verfolgen konnte, wie Patienten von Therapien profitieren, die Zufriedenheit der Ärzte sah, und man beobachtete, wie unsere Medikamente wirken, war das jedes Mal ein Highlight», erinnert sich Stahel.

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Manfred Stahel durchlief viele Stationen während einer abwechslungsreichen Karriere.

Je ne re­g­ret­te rien

Die Dynamik, die in den 60er-Jahren das Unternehmen erfasste, hat seit dieser Zeit nicht mehr nachgelassen und mit der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz zu Novartis weiter an Fahrt gewonnen.

Auch der Bau des Campus, in dessen Projektrahmen bis heute 14 neue Gebäude fertiggestellt worden sind und dem bis 2015 drei weitere Gebäude hinzugefügt werden, reflektiert diese Beschleunigung. Die neuen Forschungs- und Bürogebäude versinnbildlichen dabei nicht nur das Ende der chemischen und industriellen Vergangenheit des Unternehmens, sie sind auch Ausdruck der Innovationsstrategie von Novartis und sprechen vom unternehmerischen Willen und Mut, durch gezielte Forschung und Entwicklung den medizinischen Fortschritt voranzutreiben.

Für Stahel, der sich noch lebhaft an die Konkurrenz zwischen den «grossen Basler Chemischen» vor den Fusionen erinnert, ist der Campus ein beeindruckendes Werk, das auch entscheidend zu einem Kulturwandel beigetragen hat. Be-argwöhnten sich die Mitarbeiter von Ciba, J. R. Geigy und Sandoz in der Vergangenheit noch, sind solche Animositäten heute fast verschwunden, auch wenn Schad sich weiterhin als Ciba-Mann versteht und der Handwerker Kähr wenig Sympathien für den «gigantischen» Campus aufbringt, in dem ja nichts «fabriziert» wird.

«Mit dem Campus entstand praktisch eine kleine Stadt, und ich denke, dass insgesamt vieles offener wurde», sagt Stahel. «Früher war alles viel hierarchischer, abgeschottet, mit Vorzimmerdamen. Heute wirkt alles einfacher und offener.»

Aus diesem Grund würde Stahel auch heute wieder eine Karriere bei Novartis starten, obschon er anstatt einer Laborantenlehre eher ein Studium anstreben würde. Für Schad ist der Fall ebenfalls klar, und auch Mebert, der seinen Entscheid, bei Sandoz zu arbeiten, nie bereute, würde denselben Weg gehen. «Der Wechsel (zu Sandoz) war ein weiser Entschluss», erklärt Mebert, der sich wie alle vier immer wieder mit seinen ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten trifft, um über die gu-ten alten Zeiten und die Zukunft zu reden.

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