Gründung der Firmenarchive
Die Aufgabe des Archivs
Stabübergabe im St. Johann
Vergangenheit und Zukunft treffen sich
Das Firmenarchiv auf dem Novartis Campus in Basel.
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Geschichte(n) am Laufmeter

Novartis besitzt eines der ältesten und grössten Unternehmensarchive der Schweiz. Was bei den Vorgänger­firmen Geigy, Ciba und Sandoz an historisch wertvollen und juristisch relevanten Dokumenten vorhanden war, haben seit den 1950er-Jahren zahlreiche Archivare sorgfältig er­schlossen. Von dieser «Schatzkammer» profitiert heute nicht nur das Unter­nehmen.

von Michael Mildner

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Werbeplakat für die Ciba-Zahnpasta Binaca von Niklaus Stoecklin, 1941.

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Als Hans-Peter Scheuner am Morgen des 7. März 1996 wie gewöhnlich in den Zug nach Basel stieg, war er guter Laune. Alles lief rund für den 55- jährigen Übersetzer, der gerade erst seinen Arbeitsvertrag als Firmenarchivar bei Ciba unterschrieben hatte und seine neue Stelle im Mai antreten wollte. Doch die Zugfahrt brachte eine Überraschung. «Alle sprachen über die Fusion von Ciba und Sandoz», erinnert er sich, «und natürlich machte ich mir Sorgen um meinen neuen Arbeitsplatz, als ich von der Zusammenlegung erfuhr. Das Archiv war ja direkt betroffen.»

Im Rückblick erwies sich die Fusion dann sogar als Glücksfall für Hans-Peter Scheuner und sein Team. Noch im gleichen Jahr wurde er zum ersten Gesamtleiter des Novartis-Firmenarchivs berufen, und aufgrund der zusätzlichen Aufgaben, die sein Team durch die Zusammenlegung der beiden Firmen zu leisten hatte, wurden in diesem Bereich auch alle Mitarbeiter weiterbeschäftigt.

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Originalampullen aus den 1920er-Jahren mit Ergotamin, einem der ältesten in der Firma noch vorhandenen pharmakologischen Wirkstoffe; vom Sandoz-Forscher Arthur Stoll beschriftet.

Grün­dung der Fir­men­ar­chi­ve

Als der frischgebackene Archivar seine Stelle im Mai 1996 antrat, befanden sich die Bestände von Ciba und Sandoz noch auf verschiedenen Seiten des Rheins, und die Ablagesysteme waren unterschiedlich organisiert. Auch massen die beiden Unternehmen dem Archiv jeweils einen anderen Stellenwert bei.

Das Ciba-Archiv war wesentlich grösser und hatte mehr Dokumente und Exponate gesammelt. Das war darauf zurückzuführen, dass Ciba bereits seit 1953 über ein Archiv verfügte. Gegründet wurde es von J.R. Geigy A.G., die 1970 mit Ciba fusionierte. Der Anlass für die Schaffung dieses Archivs war, dass man bei J.R. Geigy A.G. fünf Jahre vor dem Jubiläum zum 200-jährigen Bestehen der Firma bemerkte, dass die Autoren der Firmengeschichte kein Archiv zur Verfügung hatten, aus dem sie geordnete und gesicherte Informationen beziehen konnten. Aus dieser Notlage heraus wurde beschlossen, die bisher verstreuten Unterlagen an einem Ort zu sammeln und systematisch zu erschliessen. Das Geigy-Archiv war gleichzeitig auch das erste Firmenarchiv der chemischen Industrie Basels, dem aber andere bald folgen sollten.

Für Hans-Peter Scheuner ist klar: «Auch für Ciba und Sandoz waren die Firmenjubiläen der entscheidende Anlass, ein zentrales Archiv anzulegen. Ciba begann 1960 mit dem Aufbau des Archivs, und bei Sandoz wurde das so genannte Werkarchiv 1963 gegründet – die Unternehmen hatten den Wert und die Bedeutung einer umfassenden und zuverlässigen Informationsquelle erkannt.»

Bei seinem Stellenantritt im Mai 1996 war Scheuner nun also Herr über einige tausend Laufmeter Akten, die sich im Verlauf der Jahrzehnte angehäuft hatten. Die Sammlung umfasste Bestände der J.R. Geigy A.G. (gegründet 1758), der Durand & Huguenin AG, der Ciba Aktiengesellschaft, der Sandoz AG, der Ciba-Geigy  und nun auch der neu gegründeten Novartis.

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Nobelpreismedaille, die der Geigy-Forscher Paul Hermann Müller 1948 für die Entwicklung von DDT erhielt.

Die Auf­ga­be des Ar­chivs

Seit den Gründungszeiten hatten sich bereits verschiedene Archivare um den Aufbau und die Betreuung der Bestände verdient gemacht. Bei Sandoz wurde etwa Marc Sieber 1963 mit der Erstellung des ersten Archivplans betraut, und bei Ciba hatte sich Erwin Zwigart während Jahrzehnten um die historischen Dokumente gekümmert.

Von ihm stammt auch ein noch heute gültiges Motto: «Das Firmenarchiv hat die Aufgabe, im Unternehmen entstandene Akten jeglicher Art zu sammeln, zu ordnen, aufzubewahren und für die Benutzung zu erschliessen. Sie dienen intern als Beweismittel rechtlicher oder historischer Art, und extern als historisches Quellenmaterial für die Darstellung der Geschichte.»

Für Hans-Peter Scheuner standen allerdings jetzt, so kurz nach der Fusion, noch einige weitere Aufgaben im Vordergrund. Zusammen mit seinem dreiköpfigen Team, zu dem auch die Leiterin des Sandoz-Archivs, Tanja Aenis, gehörte, musste er 1998 den Umzug der beiden Archive ins Basler Rosental-Areal organisieren, um die Firmenarchive zusammenzulegen.

Vor, während und nach diesem Umzug waren ausserdem die Vertreter der Bergier-Kommission häufige Gäste im Firmen­archiv. Die vom Schweizer Bundesrat eingesetzten Historiker führten seit 1996 Recherchen zum Verbleib von nachrichtenlosen Vermögen sowie zu den Handelsbeziehungen mit Deutschland während des Zweiten Weltkriegs durch – und ihre Anfragen nahmen das Archivteam nun zusätzlich in Anspruch.

Kaum waren diese Arbeiten erfolgreich bewältigt, wurde 2001 mit dem Beginn der schrittweisen Umgestaltung des gesamten St.-Johann-Areals zum Novartis Campus schon der nächste Umzug fällig. Das Firmenarchiv fand schliesslich im fünften und sechsten Stock eines ehemaligen Farbstoffbetriebes seine neue Heimat.

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Das Team des Novartis-Firmenarchivs, v. l.: Philipp Gafner, Carole Billod (pensioniert), Florence Wicker, Walter Dettwiler (Leiter).

Stab­über­ga­be im St. Jo­hann

Mit diesem zweiten Umzug ging für Hans-Peter Scheuner eine intensive und erlebnisreiche Zeit zu Ende, auf die er trotz aller Herausforderungen auch heute noch gerne zurückblickt. Bei seiner Pensionierung im Jahr 2004 konnte er die Leitung des Firmenarchivs an den Historiker Walter Dettwiler übergeben, der bereits 2001 ins Unternehmen eintrat und so Gelegenheit hatte, sich eingehend mit den Beständen des Archivs vertraut zu machen.

Als leidenschaftlicher Historiker berichtet Dettwiler gerne über «das lebendige Gedächtnis des Unternehmens», das seit der Fusion von 1996 dem Sekretariat des Verwaltungsrats angegliedert ist, welches heute von Charlotte Pamer-Wieser geleitet wird.

«Das Novartis-Firmenarchiv umfasst momentan eine Fläche von rund 1000 Quadratmetern», erklärt Dettwiler, «und aus den wenigen Akten-Laufmetern der frühen 1950er- und 60er-Jahre sind inzwischen mehrere Regalkilometer geworden.» Obwohl bereits einige Dokumente in digitaler Form verfügbar sind, stellt der physische Archivbestand noch immer das Herzstück der Sammlung dar, die vor Zerfall, Zerstörung und Diebstahl geschützt werden muss.

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Hans-Peter Scheuner, Firmenarchivar von 1996 bis 2004.

Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft tref­fen sich

Zu diesem Bestand gehören Dokumente wie Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsprotokolle oder Baupläne, aber auch historische Fotos, Filme und Objekte, wie etwa Labor- und Bürogeräte, Produktverpackungen oder Werbegeschenke, die teilweise auch ausgestellt werden. Herzstück der Sammlung ist die Nobelpreismedaille, die der Geigy-Forscher Paul Hermann Müller 1948 für die Entwicklung von DDT erhielt.

Mit seinem Team erbringt Dettwiler zudem zahlreiche Serviceleistungen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens. «Wir beantworten jedes Jahr Hunderte von Anfragen, helfen bei Recherchen, unterstützen Mitarbeitende, die alte Arbeitsunterlagen ad acta legen wollen, vor Ort bei deren Bewertung und entwickeln spezielle Angebote. Das sind zum Beispiel Archiv­führungen und Ausstellungskonzepte zur Entwicklung des St.-Johann-Areals oder zur Geschichte der Basler chemisch-pharmazeutischen Industrie im Historischen Museum Basel», erklärt der Archivar, der einen gros-sen Teil seiner Arbeitszeit in die Sichtung und Aufnahme von neuem Archivmaterial investiert, um historische Schätze zu heben oder die nötigen Dokumente für Patent-, Rechts- oder Forschungsrecherchen sicherzustellen.

Aber der Wert des Firmenarchivs geht weit über diese materiellen Aspekte hinaus. Das Verständnis der Vergangenheit, sei es die eigene, persönliche Geschichte oder jene der Gesellschaft und der Unternehmen, stiftet Identität. Und nur wer seine Vergangenheit kennt, kann in der Gegenwart und Zukunft souverän handeln.

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