Im neuen Forschungsgebäude Banting 1 auf dem Basler Campus ist eine hochmoderne Fermentationsanlage in Betrieb, die Enzyme und chemische Wirkstoffkandidaten für neue Medikamente herstellt.
Text von Michael Mildner, Fotos von Laurids Jensen
Die Fermentationskessel können für die Enzym- und die Naturstoffvermehrung eingesetzt werden. Sie sind durch eine neue, hocheffiziente Steuerungssoftware verbunden.
Publiziert am 24/04/2023
Eric Weber, Leiter der Pilotanlage im Banting 1, lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Mit derselben Souveränität, wie er die komplexen Fermentationsprozesse auf dem Basler Campus betreut, baut er auf dem heimischen Bauernhof im Elsass quasi zur Entspannung Getreideähren auf den eigenen Feldern an. Dass es Weber gerne wachsen sieht und ein geschicktes Händchen dafür hat, ist an beiden Orten von Vorteil.
Es waren die Erfahrungen als Kind und Jugendlicher auf dem Bauernhof der Eltern, die ihm in den 1990er-Jahren zu einer Anstellung im Agro-Bereich der Sandoz verhalfen und damit seine beruflichen Entwicklungsschritte bis ins Banting 1 ermöglichten: «Ich startete vor 30 Jahren mit einem Praktikum in der Agro-Division, wo ich die Produkte aus der Fermentation testete.»
Eigentlich wollte er damals schon zur Naturstoffgruppe stossen, deren Hauptaktivität darin besteht, Biomoleküle aus Organismen wie Pilzen oder Mikroben zu isolieren und auf ihre Fähigkeit zum Einsatz in der Medizin hin zu prüfen. «Aber mit meinem Curriculum schickten sie mich gleich zur Agrochemie. Insgesamt brauchte ich vier Anläufe, bis ich meinen heutigen Job in der Pilotanlage der Naturstoffgruppe antreten konnte», erinnert sich Weber.
Auf seinem Weg in die Naturstoffgruppe absolvierte Weber zuerst ein Bioingenieur-Studium im Elsass. Danach machte er einen Zwischenstopp bei der Lonza in Visp, wo er ein Praktikum in der Fermentation absolvierte. Als Postgraduate konnte er 1997 schliesslich eine Stelle bei der Novartis im Bereich Zellkulturen antreten, und ein Jahr später klappte es dann endlich mit einer festen Anstellung in der Pilotanlage der Naturstoffgruppe, der er bis heute treu geblieben ist.
In der Filtratiosanlage für Enzyme wird die Nährstofflösung abgeschieden.
Was Weber seit über 20 Jahren an der Pilotanlage fasziniert, ist deren Bedeutung für die Entwicklung neuer Medikamente. «Wir bilden eine Art Brücke und Bindeglied zwischen unseren Forschungslabors hier im Banting 1, in denen potenzielle neue Wirkstoffe aus Bodenproben erstmals analysiert und selektioniert werden, und der weiteren Entwicklung in den Labors der Disease-Areas, wie etwa der Onkologie. Ohne uns können die Substanzen nicht in genügender Menge produziert werden, um die nachfolgende Forschung sicherzustellen», sagt er mit grossem Stolz.
Die Ausgangsmaterialien für die Prozesse in der Pilotanlage stammen heute aus Kooperationen mit nationalen Instituten im Ausland. Seit dem Inkrafttreten des Nagoya-Protokolls im Jahr 2014 ist es Pharmaunternehmen nicht mehr möglich, im Ausland eigene Bodenproben zu entnehmen, so wie das in der Vergangenheit noch der Fall war, als zum Beispiel in den 1960ern ein Sandoz-Mitarbeiter aus seinen Ferien in Norwegen eine winzige Bodenprobe mitbrachte, die schliesslich zur Entwicklung eines Transplantationsmedikaments führte.
«Diese Entwicklung ist aber positiv», hält Weber fest, «denn so können Ursprungsländer wie Thailand von ihren Ressourcen profitieren und ihr eigenes Forschungs-Know-how aufbauen. Die Institute entnehmen nun die Boden- oder Pflanzenproben selbst, isolieren daraus beispielsweise Pilze und charakterisieren diese. Wir erhalten aus diesen Ländern dann Ampullen im Milliliter-Massstab mit Reinkulturen der Proben, die wir in unseren Labors im Banting 1 untersuchen, um zu sehen, was diese Substanzen produzieren und was davon Potenzial für weitere Entwicklungsschritte hat. Im Erfolgsfall bekommen wir eine Bestellung von unseren Forschern und den Auftrag, die interessanten Substanzen in einer grösseren Menge zu produzieren.»
Die Filtration der Enzyme wird vom Laborteam überwacht und gesteuert.
Sobald ein neuer Auftrag eintrifft, beginnt im ersten Stock des Banting 1 die biotechnologische Vermehrung der Wirkstoffkandidaten in den 14 Reaktionskesseln, die auch Fermenter genannt werden.
Der Prozess der Fermentation bezeichnet generell die Umwandlung von organischem Material durch Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze oder auch Einzeller bzw. deren Enzyme. Ursprünglich war mit Fermentation allerdings ausschliesslich Gärung unter Ausschluss von Luft gemeint. Louis Pasteur prägte dafür den Ausdruck «fermentation, c’est la vie sans l’air». Heute allerdings umfasst die Fermentation in der Biotechnologie jegliche mikrobielle Umwandlung organischer Stoffe in Bioreaktoren, also auch diejenige unter Sauerstoffversorgung.
Mit dem Eintreffen eines neuen Auftrags haben Weber und sein Team dafür zu sorgen, dass die Pilze und Bakterien, die zur Produktion der Wirkstoffe eingesetzt werden, ein ideales Umfeld für ihre Vermehrung vorfinden. Wie die Pflanzen und Tiere auf dem Bauernhof gedeihen sie am besten, wenn der Nahrungsmix individuell auf sie abgestimmt ist und auch alle anderen Wachstumsbedingungen, darunter die Temperatur, ideal sind.
«Zum Kultivieren der Keime setzen wir verschiedene Mehle, wie etwa Sojamehl oder Hafermehl, und auch Zuckerlösungen ein. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, denn es gibt etwa 400 verschiedene Arten, wie man Sojamehl behandeln kann, damit die Keime das Gewünschte produzieren.» Doch die Anforderungen gehen noch weiter, fährt Weber fort: «Auch bei den Pilzen gibt es Unterschiede, so liebt ein Pilz im Wald komplexe, langkettige Zucker, während der Pilz auf dem Weizenkorn Stärke fürs Wachstum braucht.»
Bei dieser anspruchsvollen Arbeit setzen Weber und sein Team heute auf das Prinzip «animal-free», das heisst, dass die früher oft eingesetzten tierischen Nährlösungen wo immer möglich durch pflanzliche ersetzt werden.
Wenn alle Bedingungen in den Fermentern stimmen, entstehen in der Anlage aus einer Ampulle mit einem Milliliter Pilzkeimen innerhalb von 14 Tagen bis zu 500 Liter Lösung. Mit dem ständig wachsenden Volumen der Lösung wird sie in den nächstgrösseren Kessel gepumpt, wo jeweils verschiedene Parameter wie etwa pH-Wert, Temperatur, Sauerstoffzufuhr, Stickstoffzufuhr, Glukosegehalt oder Rührereinstellungen mittels modernster Software geregelt werden können. Im Idealfall entsteht am Ende des Prozesses, nach dem Extrahieren und Aufarbeiten der Substanzen im Parterre des Banting 1, reiner Wirkstoff in Mengen von 10 Milligramm bis zu einem Kilo.
Neben den Naturstoffen stellt die Vermehrung von Enzymen aus der Substanzbibliothek von Novartis einen anderen wichtigen Aufgabenbereich für die Pilotanlage dar. Diese enzymproduzierenden Stämme werden als Ampullen angeliefert und in einer wässrigen Lösung unter Nährstoffzugabe bei einer Temperatur von 37 °C vermehrt. Im Gegensatz zu den Wirkstoffkandidaten aus dem Bereich der Naturstoffe kann der gesamte Prozess der Enzymvermehrung auf einem Stockwerk, der ersten Etage der Pilotanlage, stattfinden.
Am Ende der Fermentation, die bei den Enzymen innerhalb von drei Tagen abgeschlossen ist, werden die produzierenden Zellen mit einer Zentrifuge abgetrennt und zur abschliessenden Enzymreinigung aufgeschlossen und filtriert. Allgemein bezeichnet man diesen Vorgang als Ernte, und für Weber ist klar: «Natürlich erinnert mich das an meine Arbeit auf dem heimischen Bauernhof. Allerdings können wir hier in der Anlage die Bedingungen für das Wachstum perfekt kontrollieren, was ja in der Natur und auf den Feldern nicht der Fall ist.»
Die Naturstoffe werden nach der Fermentation mit organischen Lösemitteln im Parterre extrahiert.
Als Weber 2019 damit betraut wurde, eine komplett neue Anlage im Banting 1 zu planen, einzurichten und nach der Inbetriebnahme auch zu leiten, musste er sich erst an die neue Situation gewöhnen.
«Diese Aufgabe war für mich gleichzeitig eine grosse Herausforderung und eine ebenso grosse Befriedigung. Einerseits musste die bisher auf zwei Gebäude verteilte, 3000 Quadratmeter grosse Pilotanlage nun in einem einzigen, nur 800 Quadratmeter kleinen Raum neu aufgebaut und auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Andererseits war dieses Investment auch ein positives Signal der Firma zum Erhalt unserer Arbeitsstellen auf dem Campus. Das hat mich natürlich zusätzlich motiviert», erklärt Weber.
Die Entscheidung für die neue Anlage kam zur rechten Zeit, denn die bestehenden Gebäude, in denen Weber und sein Team damals arbeiteten, stammten alle aus den 1960er-Jahren und waren schon zum Abbruch bestimmt.
Wenn die neue verfügbare Fläche viermal kleiner ist, die Produktionskapazität aber gleich gross bleiben soll, ist klar, dass innovative Lösungen gefragt sind. In Zusammenarbeit mit externen Ingenieurbüros konnte Weber die Herausforderung lösen. «Anstelle des grössten Fermentationskessels mit 3000 Liter Volumen hatten wir nun nur noch 500 Liter zur Verfügung. Durch die neue Steuerungssoftware, die alle Kessel miteinander verbindet und den Ablauf noch präziser und effizienter steuert, und die ebenfalls optimierten biochemischen Reaktionsprozesse haben wir unser Ziel erreicht», sagt Weber mit sichtlicher Genugtuung.
Als Weber und seine acht Mitarbeiten-den im Februar 2022 die ersten Testläufe mit der neuen Pilotanlage machten, konnten sie sich über weitere zahlreiche Verbesserungen freuen. Weber nennt einige Vorteile: «Früher mussten wir jeweils mit den Proben von einem Gebäude zum anderen laufen, und manche Fermentationskessel waren schon 40 bis 50 Jahre alt. Heute ist alles in einem einzigen Gebäude konzentriert, und die technischen Anlagen sind State of the Art. So sparen wir nicht nur Zeit bei den Prozessen, wir konnten auch die Sicherheit und die Ökologie weiter verbessern.»
So werden in der neuen Anlage beispielsweise die organischen Lösemittel bei der Extraktion komplett abgesondert, gereinigt und wiederverwendet. Nach etwa fünf Produktionszyklen werden sie als Energieträger in der Verbrennung genutzt, sodass ebenfalls keine Lösungsmittel in die Umwelt gelangen.
Allerdings verlief der Weg bis zur Inbetriebnahme der neuen Anlage nicht immer reibungslos, wie sich Weber erinnert: «Beim obligatorischen Factory Acceptance Test waren wir eines Abends am Verzweifeln. Während einer halben Stunde probierten wir vergebens, Flüssigkeit abzupumpen, bis wir endlich merkten, dass ein Schlosser das Abflussrohr zugeschweisst hatte.»
Durch Verdampfung können die Lösemittel gereinigt und wieder verwendet werden.
Für Weber und sein Team wird es auch im neuen Gebäude viel zu tun geben. Rund 400 verschiedene Produktionen sind durchschnittlich pro Jahr auf dem Programm, und die Kessel sollen praktisch nie stillstehen. Gearbeitet wird vom 5. Januar bis zum 15. Dezember, inklusive Pikett- und Wochenenddienst.
«Was wir hier heute herstellen, kommt im besten Fall in ein paar Jahren auf den Markt», erklärt Weber. «Wir konzentrieren uns deshalb darauf, unseren internen Kunden, also den Forschungsbereichen, eine genügende Menge und eine perfekte Qualität für die weiteren Entwicklungsschritte zur Verfügung zu stellen.»
Ein schnelles Erfolgserlebnis ist ihm aber in Erinnerung geblieben, wie er mit einem bodenständigen Lächeln verrät: «Wir haben einmal eine Substanz hergestellt, bei der man später festgestellt hat, dass sie sich ideal zum ökologischen Entrosten der SBB-Gleise eignet. Leider war der Preis für diese Anwendung dann doch zu hoch.»
Ob diese Substanz auch auf Webers Bauernhof zum Einsatz kam, wissen wir nicht. Sicher ist aber, dass er und das ganze Team der chemischen Forschung im Banting 1 auch in Zukunft keine Zeit zum Rosten haben werden – die Natur bietet noch unzählige unerforschte Wirkstoffkandidaten, die in den Kesseln der Pilotanlage vermehrt werden müssen.
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