Die Ausstellung «Wonders of Medicine» im Novartis Pavillon gewährt nicht nur Einblicke in die Arzneimittelforschung, sondern lädt auch zum Spielen ein. Die künftigen Besucherinnen und Besucher erfahren interaktiv mehr über die Industrie und ihre Komplexität, ganz nach dem alten lateinischen Motto «ludi incipiant».
Text von Egecan Hüsemoglu, Fotos von Adriano A. Biondo
Was im Game so leicht daherkommt, brauchte monatelange Vorbereitung.
Publiziert am 09/05/2022
Wer heute in die Welt der Videospiele eintauchen möchte, hat viele Genres zur Auswahl. Egal ob allein oder in der Gruppe, den Spielmöglichkeiten sind praktisch keine Grenzen gesetzt.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Komplexitätsgrad der Games. Während sich massentaugliche Puzzle- oder Geschicklichkeitsspiele überall konsumieren lassen und eher für kurzweiligen Zeitvertreib geeignet sind, können komplexere Strategiespiele die Gamer mehrere Stunden, wenn nicht Tage oder Wochen an den Monitor fesseln.
Begibt man sich auf die Suche nach einem Spiel, das die Medikamentenentwicklung auch für Laien greifbar und erfahrbar macht, ist das Ergebnis ziemlich unbefriedigend: Bis auf wenige Ausnahmen findet sich kaum ein Videospiel, das sich explizit mit dem Thema auseinandersetzt.
Dies wird sich mit der Eröffnung des Novartis Pavillon ändern. Die interaktive Wissenschaftsausstellung «Wonders of Medicine», die das Herzstück des Pavillons bildet, setzt auch auf den sogenannten Gamification-Ansatz, der Wissensvermittlung mit spielerischem Erleben vereint. So sollen nicht nur anspruchsvolle Zusammenhänge in anschaulicher und leicht zugänglicher Form dargestellt, sondern auch Austausch und Diskussion angeregt werden.
Medizin in Szene setzen
Man spricht von Gamification, wenn das Spielerische in einen bis dahin spielfremden Kontext Einzug hält. Das heisst, dass ein Thema, das vielleicht auf den ersten Blick etwas abstrakt und trocken wirkt, derart aufbereitet wird, dass Lernende die Möglichkeit erhalten, sich aktiv am Lernprozess zu beteiligen.
Heute wird Gamification in verschiedenen Bereichen eingesetzt, auch in der Medizin. So hat die Deutsche Telekom in Zusammenarbeit mit britischen Neurologen und dem Spieleentwickler Glitchers das Spiel «Sea Hero Quest» entwickelt, das Verhaltensdaten in Bezug auf räumliche Orientierung sammelt, um der Demenzforschung zu neuen Erkenntnissen zu verhelfen.
Das Spiel, das 2016 lanciert und bisher mehr als vier Millionen Mal heruntergeladen wurde, folgt einem simplen Prinzip: Zu Beginn jedes Spiels wird eine Karte eingeblendet, auf der die Standorte dreier Bojen eingezeichnet sind. Der Spieler muss sich deren Position genau einprägen und sie in der richtigen Reihenfolge abfahren. Die, wie sie plakativ auch genannt wird, «grösste Demenzstudie aller Zeiten» soll unter anderem klären, wie sich das räumliche Orientierungsvermögen mit zunehmendem Alter entwickelt.
Gamification erfreut sich auch in der ärztlichen Ausbildung wachsender Beliebtheit. Ein Beispiel dafür ist EMERGE – eine Notaufnahme-Simulation, die von Universitätskliniken in Hamburg-Eppendorf und Göttingen konzipiert wurde. In diesem PC-Spiel schlüpfen Medizinstudenten in die Rolle eines diensthabenden Arztes und müssen sich unter Zeitdruck an realen Fällen beweisen.
Auch Novartis macht sich den natürlichen Spieltrieb des Menschen zunutze. Getrieben vom Ziel, ihre Forschungsaktivitäten einem breiten Publikum zugänglich zu machen und mit der Öffentlichkeit in einen offenen Dialog auf Augenhöhe zu treten, engagierte Novartis das Designbüro Atelier Brückner, um im Pavillon für ein kurzweiliges und doch anspruchsvolles Programm zu sorgen.
Atelier Brückner, das sich in puncto Ausstellungsdesign und Szenografie international einen Ruf erarbeitet hat, wurde damit beauftragt, Räume und Installationen zu kreieren, durch die medizinische und pharmazeutische Inhalte spielerisch aufgenommen und verinnerlicht werden.
Das Stuttgarter Designbüro hat bereits eine Vielzahl aufsehenerregender Projekte realisiert, etwa das am Fuss der Pyramiden von Gizeh erbaute Grand Egyptian Museum, das die Besucher in die Zeit der ägyptischen Hochkultur und der mächtigen Pharaonen zurückversetzt.
David Woodruff und Robert Schrem während eines der zahlreichen Meetings.
Elisabeth Ramm, die als Lead Concept Design bei Atelier Brückner massgeblich an der Konzeption der Ausstellung im Pavillon beteiligt war, betont, dass es keine leichte Aufgabe war, medizinisches und pharmazeutisches Wissen in einer Ausstellung zu bändigen und in eine klare und prägnante Bildsprache zu überführen. «Wir haben etwa 15 Workshops gebraucht, um das erste Konzept auszuarbeiten», erklärte die wirblige Designerin. «Dies ist vor allem der ungeheuren Komplexität der Materie geschuldet.»
Die Dauerausstellung, die sich im ersten Obergeschoss des Pavillons befindet, beginnt mit einem kurzen Einführungsfilm zur Geschichte der Pharmaindustrie. Im Anschluss folgen einzelne, nach Kategorien geordnete Themenbereiche, in denen Forscher, Experten, aber auch Patienten zu Wort kommen. Dabei fehlt es nicht an multimedialen Inhalten und interaktiven Elementen, die zeigen, wie ein Medikament entsteht und was es braucht, bis es zur Zulassung kommt.
«Unser Anliegen war, den beschwerlichen Weg vom Labor bis zum Patienten, der meist viele Jahre in Anspruch nimmt, detailliert, eindrucksvoll und dennoch übersichtlich in Szene zu setzen», erklärte Ramm.
Um diese komplexe Welt erlebbar zu machen, hat Atelier Brückner auch Spiele- und Videoentwickler ins Boot geholt. Einer davon war Uli Matheus, Creative Producer bei Amplify Design. Auch wenn er viel Erfahrung bei der Spielentwicklung mitbrachte, war der Abstecher in die Welt der Medizin alles andere als leicht: «Als wir begannen, uns mit den Spielen zu beschäftigen, mussten wir uns wirklich stark in die Materie einlesen», erinnert sich Matheus. «Es fühlte sich an wie ein kleines Medizinstudium, da ich mir erst das entsprechende Fachwissen aneignen musste.» Trotz der harten Aufgabe entwickelten Matheus und seine Kollegen eine Reihe von Spielen, die Jung und Alt fesseln dürften.
Kein nervöses Ballerspiel. Die Entwicklung eines Medikaments braucht auch als Gameversion vor allem Geduld und Ausdauer.
Eines der Spiele ist so gestaltet, dass man ein zunächst freischwebendes Molekül, das auf einem interaktiven 3-D-Bildschirm erscheint, so steuern muss, dass es wie ein Puzzlestück in den entsprechenden Rezeptor des Zielproteins hineinpasst. Dadurch wird der Forschungsprozess in virtueller Realität dreidimensional erlebbar gemacht. Auch Novartis-Forscher machen von Virtual-Reality-Lösungen Gebrauch – jedoch nicht aus Spass, sondern um die chemische Struktur potenzieller Wirkstoffe auf der Nanoebene zu analysieren und zu optimieren.
In einem anderen Game, das sich Augmented Reality zunutze macht, müssen die Spieler eine Produktionslinie für ein neues, in Tablettenform angebotenes Arzneimittel aufbauen. Auf dem Touchscreen sind die für den Herstellungsprozess benötigten Schritte und dazugehörigen Geräte abgebildet, die es in der virtuell erweiterten Fabrikhalle in die passende Reihenfolge zu bringen gilt.
Mit einem weiteren Videogame, das durch seine Ähnlichkeit zur Guitar Hero-Serie heraussticht, einem einst sehr populären Musik-Reaktionsspiel, werden die rechtlichen Hürden bei der Arzneimittelzulassung veranschaulicht. Dabei repräsentieren die Linien, die wie Gitarrensaiten parallel zueinander verlaufen, ausgewählte Länder, in denen das Produkt auf den Markt gebracht werden soll.
Dabei gilt es, im richtigen Moment die passende «Saitentaste» zu drücken und dadurch die erforderlichen regulatorischen Schritte einzuleiten, damit die Patienten mit den innovativsten Medikamenten und Therapien versorgt werden können. Dies setzt neben Fingerspitzengefühl auch ein grosses Mass an Koordination und Ausdauer voraus – gleichermassen in der virtuellen wie in der analogen Welt.
«Bei der Entwicklung der Games haben wir versucht, eine ausgewogene Balance zwischen Wissensvermittlung und Unterhaltung zu finden», sagte Matheus, als er darüber sprach, mit welcher Philosophie er und sein Team an die Aufgabe herangingen. «Am Anfang war die Aufregung sehr gross, da Life Sciences für uns ein thematisches Neuland war. Trotzdem haben wir es geschafft, Spiele zu entwickeln, die sowohl Gelegenheitsspieler als auch Profis ansprechen dürften.»
Zukunft inspirieren
Mit dem rasanten Fortschreiten der Digitalisierung taucht der Ansatz des spielbasierten Lernens immer häufiger auf. Ob in der Schule, Uni oder Forschung – Gamification hat heutzutage ein ungeheuer grosses Einsatzgebiet. Fakt ist aber, dass sich bisher nur wenige Spieleentwickler an die abwechslungsreiche Welt der Medizin herangetraut haben.
Um diese Lücke zu schliessen und die Arbeit eines Pharmaunternehmens einem breiten Publikum näherzubringen, verwandelten die Ausstellungsdesigner den pharmazeutischen Alltag in fesselnde Videogames, die nicht nur komplexe Zusammenhänge auf eine unterhaltsame Art und Weise veranschaulichen, sondern auch durch den Einsatz innovativer Technologien – wie beispielsweise Augmented Reality und Virtual Reality – neue Massstäbe setzen.
Es bleibt abzuwarten, ob die Ausstellung andere Unternehmen inspirieren wird, einen ähnlichen Weg zu gehen und verstärkt auf partizipative Vermittlungsformate zu setzen. Vielleicht animiert sie sogar den einen oder anderen Spieleentwickler dazu, das wahre Potenzial der Arzneimittelforschung auszuschöpfen und daraus Games zu machen, die eines Tages den Markt im Sturm erobern.
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