Volle Kontrolle
Das Ziel: steril
Visuelle Endkontrolle
Wertvolle Teamarbeit
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Medikamente nach Mass

(Dieser Artikel wurde ursprünglich im Campus Magazin 2017 publiziert.)

Der Pilotbetrieb im Werk Stein stellt sterile Medikamente für klinische Studien her. Produziert wird keine Massenware, sondern präzise Massanfertigung, für die nur eine begrenzte Menge an Wirkstoff zur Verfügung steht – da müssen die Prozesse reibungslos funktionieren, sonst könnten sich Klinikstudien und somit auch die Einführung neuer Medikamente verzögern.

Text von Michael Mildner

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Am Ende des Produktionsprozesses werden die Vials noch mit Aluminiumverschlüssen versehen.

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Lea Zuber meint es ernst. „Ihr müsst jetzt diese Schutzkleidung anziehen“ sagt sie in strengem Ton, und fügt noch eine ganze Flut an Erklärungen und Ermahnungen hinzu. Einige Sekunden später ist die erfahrene Prozessmitarbeiterin auch schon gegangen, um auf der anderen Seite der Sicherheitsschleuse auf uns zu warten.

Jetzt stehen wir unschlüssig im Umkleideraum und wissen nicht recht, ob wir alles richtig gemacht haben. Die grüne Arbeitshose und das gleichfarbige Oberteil, Schutzbrille, Haar- und Bartschutz sowie die Arbeitsschuhe haben wir immerhin schon mal angezogen. Ob das genügt?

Die Tür öffnet sich und Lea Zuber mustert uns mit kritischem Blick. „Habt ihr die Hände auch richtig gewaschen?“ fragt sie und geht gleich auf Nummer sicher. Sie zeigt uns nochmal ganz genau wie’s geht, und schaut uns dabei auf die Finger. Erst als wir fertig sind, lächelt sie zufrieden.

So ist das also hier, alles ist bis ins kleinste Detail geregelt. Ausnahmen oder Kompromisse gibt’s keine, und wir müssen sogar das Händewaschen nochmals lernen.

Nur eine Chance

Die 10 Mitarbeitenden im Pilotbetrieb für sterile, flüssige und gefriergetrocknete Medikamente sind ein eingespieltes und äusserst verantwortungsbewusstes Team. Jeder Einzelne weiss sehr genau, wie wichtig die präzise Einhaltung aller Vorschriften für die Sicherheit der Produktion ist – und wie wertvoll die Produkte für die klinischen Studien und Patienten sind. Da darf nichts schiefgehen.

„Was wir hier machen ist eine Einzelanfertigung. Wir stellen jedes Medikament nur einmal her, in kleinen Mengen von 10 bis 200 Kilo. Bei einer durchschnittlichen Produktionszeit von drei Tagen sind das pro Jahr rund 80 verschiedene Klinikmuster“ informiert uns Lea Zuber.

Das Rohmaterial für diese Produktion, die chemischen und biologischen Wirkstoffe, wird nach aufwändiger und jahrelanger Entwicklungsarbeit aus den Basler Labors angeliefert, und zwar in genau der Menge, die für die klinischen Versuche nötig ist, kein Gramm mehr. Eine Nachlieferung ist vorerst nicht geplant, da man ja zuerst die Studienergebnisse zur Wirksamkeit der neuen Produkte abwarten muss, bevor in die Herstellung grösserer Mengen investiert wird. So kann es einige Monate dauern, bis der gleiche Wirkstoff wieder zur Verfügung steht.

Damit ist der Pilotbetrieb also in einer sehr viel heikleren Situation als „normale“ Herstellbetriebe, die ein Erzeugnis quasi am Fliessband und regelmässig produzieren – dort kommt auch der Wirkstoff-Nachschub regelmässig und in entsprechenden Mengen. Im Gegensatz dazu hat der Pilotbetrieb nur eine einzige Chance für die Produktion des Klinikmusters, und die gilt es zu nutzen.

Das Ziel für die Mitarbeitenden ist deshalb klar: Alles, was im Pilotbetrieb produziert wird, muss gleich im ersten Anlauf so gut sein, dass es im Menschen angewendet werden kann.

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Je nach Herstellungsstufe müssen im Pilotbetrieb verschiedene Arten von Schutzanzügen getragen werden, manchmal auch übereinander.

Vol­le Kon­trol­le

Lea Zuber verlässt uns nun, um ihre Arbeit in der Produktion aufzunehmen, und übergibt uns an die Chemie- und Prozesstechnologin Céline Hürlimann, die einen Teil ihrer Lehrzeit hier im Pilotbetrieb verbracht und soeben ihre Prüfungen bestanden hat. Sie begleitet uns durch die weitläufigen, mehr als 6000 m2 grossen Produktionshallen, die vor Reinheit nur so glänzen und mit topmodernen Apparaturen ausgestattet sind. Im 2009 eröffneten Bau gibt es eine schier endlose Reihe von automatischen Türen und Schleusen sowie zahlreiche elektronisch gesicherte Zutrittssysteme – niemand könnte hier ohne Berechtigung von einem Raum in den nächsten kommen.

Ganz am Anfang der Produktion steht die Vorbereitung und Sterilisation von Verbrauchsmaterialien, wie etwa Gläser und Schläuche, im Autoklaven, einem gasdicht verschliessbaren Druckbehälter. Hier werden alle Gefässe und Instrumente unter Überdruck und bei hoher Temperatur sterilisiert.

„Die Reinigung überwachen wir selbst“ sagt Céline Hürlimann. „So haben wir die volle Kontrolle über den Prozess und können sicher sein, dass von Anfang an alles in Ordnung ist.“

Über helle, klinisch saubere Gänge und durch zwei weitere Türen geht es jetzt zum explosionsgeschützten Ansatzraum. Hier müssen wir einen weiteren Schutzanzug überziehen. Der weisse Overall ist mittlerweile die dritte Schicht an Schutzkleidung, da kommt man trotz kühler Temperaturen leicht ins Schwitzen.

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Der Ansatzraum – hier werden Wirkstoffe, Lösungsmittel und Zusätze zum Medikament vereint.

Das Ziel: ste­ril

Im Ansatzraum wird der Wirkstoff mit Lösemitteln – meist ist das speziell aufbereitetes Wasser für Injektionszwecke – sowie isotonisierenden und oberflächenaktiven Substanzen, die der besseren Anwendbarkeit des Medikaments dienen und das aneinanderkleben der Wirkstoffmoleküle verhindern, zum kompletten Arzneimittel aufbereitet.

Hier stehen auch grosse Metallkästen mit Sichtfenstern und riesigen Plastikhandschuhen, die in die hermetisch abgeschlossenen Kästen hineinreichen. „Wenn wir beim Ansatz mit toxischen und hochaktiven Wirkstoffen arbeiten, können wir das in den Isolatoren tun“ erklärt Céline Hürlimann. Diese sind gegen aussen komplett abgeschirmt, um jeden Kontakt der Substanzen mit der Umwelt auszuschliessen.

Vom Ansatzraum geht es jetzt weiter zu den Abfüllanlagen. Dieser Prozess findet ebenfalls in abgeschirmten Bereichen statt. „Dies ist wohl der schwierigste Produktionsschritt“ sagt unsere Begleiterin. „Lösungen oder Pulver in Glasfläschchen abfüllen können viele, bei uns muss das aber aseptisch geschehen, da gibt es keine Toleranzen.“

Bevor das Medikament in die Vials gefüllt und mit einem Stopfen verschlossen wird, muss es eine zusätzliche Sicherheitsstufe aus zwei sterilen Filtern passieren. Dann geht es zum Abfüllen in die Reinraumzone A, in der die höchsten Schutzvorschriften gelten – als Besucher kommen wir hier gar nicht rein, dürfen aber einen Blick durch die Fenster im Gang werfen.

Durch die zahlreichen Sicherheitsmassnahmen mit präzise geregelten Druckstufen, geführten laminaren Luftströmungen und verschiedenen Filtern können Verunreinigungen verhindert und die Vials aseptisch befüllt werden.

„Je nachdem, in welcher Form das Medikament benötigt wird, benutzen wir dafür separate Anlagen für Pulver oder flüssige Arzneien“, erfahren wir hier. „Bei der Pulverabfüllung können Mengen von 0.05 bis zu 500g und bei flüssigen Medikamenten 2 bis 30mL abgefüllt werden.“

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Elektronische Daten- und Steuerungssysteme haben das Papier bereits weitestgehend ersetzt.

Vi­su­el­le End­kon­trol­le

In einigen Fällen werden die flüssigen Medikamente auch noch gefriergetrocknet. Die beiden Anlagen für diesen Prozessschritt bieten Platz für insgesamt rund 40‘000 Vials mit einem Inhalt von jeweils 6mL. „Manche Medikamente, wie die grossmolekularen biologischen Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, die eine Verbindung eines Proteins mit einem zweiten Wirkstoffmolekül darstellen, stellen besondere Ansprüche an die Herstellung. Da kann die Gefriertrocknung schon mal eine ganze Woche dauern“ meint die frischgebackene Chemie- und Pharmatechnologin.

Wenn das Medikament in die Vials abgefüllt ist, kommt als vorletzter Herstellungsschritt noch das sogenannte „Bördeln“. Dabei werden die Glasfläschchen über dem Stopfen mit einer Aluminium-Kappe verschlossen. Nach der Endkontrolle, bei der die Vials von speziell geschulten Mitarbeitern visuell auf Verunreinigungen geprüft werden, ist die Produktion im Pilotbetrieb abgeschlossen und die Medikamente sind bereit zum globalen Einsatz in klinischen Studien.

Wir sind beeindruckt, aber auch erschöpft von all den Informationen und den vielen Umziehprozeduren, was man offenbar deutlich sieht. Céline Hürlimann bringt es auf den Punkt: „Und jetzt seid ihr sicher froh, die Schutzkleidung wieder ausziehen zu dürfen.“

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Lea Zuber kennt alle Vorschriften genau und wendet sie konsequent an.

Wert­vol­le Team­ar­beit

Für unsere Begleiterin und die anderen Teammitglieder im Pilotbetrieb sind all diese Apparaturen und Abläufe ein ganz normaler Teil ihres Arbeitsalltags, wie uns Betriebsleiter Andreas Fritze am Ende des Rundgangs im Bau 330 bestätigt.

Der Pilotbetrieb in Bau 331, wo die Medikamente hergestellt werden, ist direkt mit dem Bürotrakt im Bau 330 verbunden. Hier finden beispielsweise die Prozess- und Einsatzplanung und die ganzen administrativen Arbeiten statt, die für die Produktion nötig sind. Neben den 10 Arbeitsplätzen im Produktionsgebäude sind im Bürotrakt nochmals rund 20 Mitarbeiter tätig.

„Die Mitarbeitenden im Pilotbetrieb haben den grossen Vorteil, dass sie sehr abwechslungsreiche Tätigkeiten ausüben können. Sie sind nicht nur beim Ansatz oder in der Abfüllung beschäftigt, sondern auch an allen anderen Stationen. So müssen sie den ganzen Prozess im Kopf haben und nicht nur mit-, sondern auch vorausdenken“, erklärt uns Andreas Fritze.

Auf die Frage, ob es etwas gibt, das ihn im Pilotbetrieb besonders stolz macht, braucht er nicht lange nachzudenken: „Es ist das Team das hier arbeitet. Jeder Einzelne von ihnen versteht, dass wir die Medikamente zeitgerecht abliefern müssen – das ist im Normalfall auch nicht schwer. Aber wenn es Schwierigkeiten gibt, sieht man, wie gut alle zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen.“

Am Ende ist die Qualität, die wir abliefern, auch die Lizenz dafür, dass wir hier jeden Tag arbeiten dürfen, fügt Andreas Fritze stellvertretend für alle Mitarbeitenden hinzu.

Potenziale nutzen

Die Zukunft des Pilotbetriebs sieht der Leiter positiv, da der Anteil der biologischen Medikamente ständig zunimmt, und die Anlagen in Stein bestens dafür ausgerichtet sind. Grössere Veränderungen wird es vor allem im Bereich der Datenverarbeitung und –integrität geben.

„Das ist bereits heute ein wichtiges Thema, das immer mehr Bedeutung erhält. Wie verbinden wir die Papierdaten und die elektronischen Daten, ohne dass etwas verlorengeht; wie verhindern wir Manipulationen an den Datensätzen und, besonders spannend, wie können wir die vielen Daten nicht nur sammeln, sondern konstruktiv für Verbesserungen nutzen – all das wird uns in den nächsten Jahren stark beschäftigen.“

Ansonsten bleibt alles beim Alten im Pilotbetrieb: „Konstant ist nur die Veränderung; hier warten praktisch jeden Tag neue Herausforderungen auf uns. Aber daran haben wir uns im Lauf der Jahre gut gewöhnt“ meint Andreas Fritze.

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