Publiziert am 01/07/2021
Claude Muller kann auf eine lange und erfolgreiche Karriere bei Novartis zurückblicken. Während dieser Zeit hat er eine Reihe wichtiger Führungsaufgaben wahrgenommen, die vom Bereich Engineering über Finanzen bis hin zur Qualitätskontrolle reichen. Seine Kollegen schätzen seine sachbezogene und ruhige Art, die ihn auch dafür prädestinierte, beim Bau des Novartis-Campus in Basel um die Jahrtausendwende eine tragende Rolle einzunehmen.
Allein am Bau des Campus – dieses weltweit beachteten architektonischen Leuchtturmprojekts – mitbeteiligt gewesen zu sein, mutet auf den ersten Blick an wie der natürliche Höhepunkt einer beruflichen Laufbahn. Doch der Informatikingenieur aus der französischen Grenzregion Elsass konnte nicht ahnen, dass er beinahe ein ganzes Jahrzehnt mit der Sanierung des einstigen Chemieareals von Ugine Kuhlmann verbringen und zu einem weltweit gesuchten Experten für Lindan-Sanierungen werden würde.
Die Lindan-Sanierung sollte sich nicht nur zu seiner grössten beruflichen Herausforderung, sondern in vielerlei Hinsicht auch zu seinem grössten persönlichen Erfolg entwickeln. Die komplexe Sanierung, die zunächst aufgrund geänderter europäischer Vorschriften für die Wasseraufbereitung in Angriff genommen und 2012 zu einem reinen Sanierungsprojekt wurde, machte die Arbeit für ihn aber auch zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle, die ihn stark forderte und einmal fast das Handtuch werfen liess.
Als ich Claude Muller unmittelbar vor Abschluss der Sanierung zum Inter-view traf, war er entspannt und willens, über die Erfahrungen zu sprechen, die er zwischen 2012 und 2019 gemacht hatte. «Es gab im Laufe dieses langen und komplexen Projekts äusserst schwierige Phasen», offenbarte Muller während eines stundenlangen Gesprächs im raumschiffartigen Kommandoraum der MS Vera Pax.
Das Frachtschiff zählt zu den längsten und modernsten seiner Art, die derzeit auf dem Rhein verkehren. In seinem Rumpf trug es eine der letzten Lindan-Ladungen in die Niederlande, wo die Substanz bei hohen Temperaturen verbrannt wurde. «Da inzwischen nur noch wenige Tonnen Abfall auf ihre Entsorgung warten, kann ich mich allmählich entspannt zurücklehnen und diesen langen und beschwerlichen Weg noch einmal Revue passieren lassen.»
An diesem Tag war fast das gesamte Sanierungsteam auf der MS Vera Pax, um seine Leistungen zu feiern und über Herausforderungen und Fallstricke bei der Lindan-Sanierung zu sprechen. Vor allem aber genossen die Teammitglieder einige freie Tage in der frühsommerlichen Hitze, mit einer wunderbaren Aussicht auf die breiten Flussufer des Rheins. Dann und wann grillierten sie auf dem geräumigen Deck und gönnten sich während der Schiffsreise von Basel nach Strassburg, wo das Team übernachtete, auch mal ein Bier.
Dass das Projekt so beschwerlich und langwierig war, lag laut Muller an den Ursprüngen und der bewegten Geschichte des Standorts: Der französische Chemieproduzent Ugine Kuhlmann hatte dort jahrelang Lindan hergestellt, bis der Produktionsstandort in den 1970er-Jahren geschlossen wurde. Im Folgenden kaufte das Novartis-Vorgängerunternehmen Sandoz den Standort auf, um dort seine Wasseraufbereitungsanlage STEIH aufzubauen. Dort wurden unter anderem die Abwässer des Sandoz-Standorts St. Johann behandelt, der später in den Novartis-Campus umgewandelt wurde.
Als die Regulierung der Wasseraufbereitung in Europa um 2010 herum geändert werden sollte, beschloss Novartis, ihre Abwässer in einer neuen Anlage zu klären und die STEIH stillzulegen. Im Rahmen dieser Restrukturierung erklärte sich Novartis auch bereit, den Standort zu sanieren. Das war zwar gut gemeint, aber im Nachhinein betrachtet etwas überstürzt geplant. «Vielleicht war es angesichts des damaligen Kenntnisstands gar nicht möglich, auf alles vorbereitet zu sein», räumt Muller ein. «Im Nachhinein ist man immer schlauer. Zum damaligen Zeitpunkt war die Entscheidung für die Sanierung angemessen, auch wenn Novartis hierzu rechtlich gar nicht verpflichtet war. Der Entschluss des Managements war aber richtig.»
Novartis hatte bereits grosse Erfahrung in der Sanierung von Altlasten und fühlte sich dieser Herausforderung deshalb gewachsen. Nachdem im Rahmen einer externen Studie das potenzielle Ausmass der Kontamination analysiert worden war, nahm Novartis eine eigene Einschätzung vor. Diese war konservativer und stützte sich auf ausgiebige Bohrungen am Standort. Als die Finanzierung der Sanierung gesichert war, begannen 2012 die Arbeiten.
Doch im September 2013 kam das Projekt zum Stillstand. Obschon die Sanierungsarbeiten des mit Lindan kontaminierten Bodens in speziellen Zelten erfolgten, gelangte ein Teil der Substanz in die Umwelt. Rund um den Standort verbreitete sich ein unangenehmer Geruch und löste einen behördlichen Alarm aus. Regulierungsbehörden, die die Kontamination in der unmittelbaren Umgebung untersuchten, darunter auch die Stadt Basel, fanden Spuren von Lindan. Obschon diese Spuren innerhalb der Grenzwerte lagen, waren der öffentliche Aufschrei und das Medienecho gewaltig. Novartis beschloss, alle Arbeiten einzustellen, den Vorfall zu untersuchen und von vorne zu beginnen.
Für Claude Muller, der vor diesem Ereignis die Projektleitung übernommen hatte, war dies die schlimmste Zeit. Nachdem er sich mit grossem Aufwand einen Überblick über die Situation verschafft und den «Medien-Fallout» entschärft hatte, war ihm bewusst, dass diese Sanierung nicht nur wesentlich länger dauern, sondern auch deutlich mehr Investitionen und eine völlig neue Strategie erfordern würde.
Die Nerven aller Beteiligten waren aufs Äusserste gespannt, und Muller räumt ein, seinen direkten Vorgesetzten an einem Punkt seinen Rückzug aus dem Projekt angeboten zu haben. Doch niemand gab Muller die Schuld an den Ereignissen. Stattdessen erhielt er Rückendeckung von Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt, der Mullers Forderung nach einem höheren Budget unterstützte und deutlich machte, dass Novartis den Standort im Rahmen einer zusammenarbeitsorientierten und transparenten Arbeitskultur sanieren sollte.
«Nach dem Vorfall im September 2013 krempelten wir unseren Ansatz völlig um», so Muller weiter. «Der Verwaltungsrat unterstützte unsere Arbeit, damit wir die Sanierung bestmöglich durchführen konnten. Das war ein echter Wendepunkt! Wir begannen, offener miteinander zu kommunizieren, stellten die gesamte Struktur auf den Kopf und nahmen neue Sanierungsspezialisten unter Vertrag.»
Doch trotz dieser Höhen und Tiefen hat Claude Muller seine Begeisterung fürs Projektmanagement nicht verloren. Im Gegenteil: Als wir an Bord der MS Vera Pax die schweizerisch-französische Grenze überquerten und Claude Muller über sein heimatliches Elsass sprach, erklärte er, seine Erfahrung als Projektmanager ebenfalls in den Dienst seiner Heimatstadt Guebwiller stellen zu wollen. Konkret möchte er seine Stadt dabei unterstützen, ihre urbane und ökologische Attraktivität zu erhöhen und zu einer regionalen Touristenhochburg zu werden. Aufgrund von Mullers ausgiebigen Erfahrung mit der Leitung komplexer und langwieriger Projekte kann sich Guebwiller darauf freuen, einen beträchtlichen Wissensschub zu erhalten und zu anderen beliebten Städten der Region aufzuschliessen.