Araldit
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Zum Mond und zurück

Das Wissen, das sich die Basler Chemieindustrie über die Jahrzehnte angeeignet hat, nutzte sie nicht nur für die Entwicklung neuer Farben. Das Know-how und die Kapitalkraft erlaubten es auch, in verwandte Bereiche vorzudringen, was im Klybeck  zu bedeutenden Innovationen führte.

Text von Patrik Tschan, Fotos aus dem Novartis-Firmenarchiv, Illustration von Cyril Gfeller

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Im Klybeck wurden nicht nur Farbstoffe, Chemikalien und Medikamente hergestellt. Hier wurden auch Patente, halbfertige Projekte oder Prototypen dazugekauft, weiterentwickelt und je nachdem im Klybeck oder in anderen Werken des Konzerns zur Produktionsreife gebracht.

Viele dieser Produkte gingen nicht nur um die Welt, sondern bis zum Mond und zurück. Ein Produkt, das für Furore sorgte, half beispielsweise dem NASA-Kontrollzentrum in Houston, den Überblick über die Mondlandemission von Apollo 11 zu behalten: 

«Wir sind gerade mitten in – na ja, entweder Lachssalat oder etwas in der Art. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir Ihnen nicht sofort antworten.»

«Okay. Nun, wir wollen nicht …»

«Mein Kompliment an den Küchenchef, dieser Salat ist hervorragend.»

«Roger. Verstehen Sie, das ist der Salatlachs. Over.»

«So was in der Art, Lachssalat.»

«Da haben wir’s, der Lachssalat, sehr gut.»

Buzz Aldrins Komplimente an den Koch kamen aus der Apollo-11-Kapsel, die an diesem 21. Juli 1969 seit bald 29 Stunden auf dem Weg zum Mond war. Übertragen wurde die Mission im Kontrollzentrum in Houston auf über zwanzig grosse Bildschirme. Die Technik dazu hatte die Ciba mit den damals einzigartigen Grossflächenprojektoren Eidophor geliefert.

Das Eidophorsystem, das Übertragungen eines Fernsehsignals per Projektor auf eine Leinwand ermöglichte – ein Vorgänger der heutigen Beamer –, erfanden  die ETH-Forscher Fritz Fischer und Edgar Gretener in den späten 1930er-Jahren und  brachten es bis Ende der 1950er-Jahre zur Vorführreife.

Über die erste öffentliche Präsentation des Eidophors schrieb am 23. April 1958 die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Technikbeilage: «Am 11. April wurde im Rex-Kino in  Zürich das neueste Modell des Eidophorprojektors der Firma Edgar Gretener AG, Zürich, einem grossen Kreis geladener Gäste mit bestem Erfolg vorgeführt. Die Sendung wurde im Bellerive-Studio aufgenommen und mittels Rückstrahlverbindung über den Uetliberg auf die grosse Bildfläche des Rex-Kinos übertragen. Die Bildqualität entsprach in allen Teilen den Erwartungen.»

Die Ciba begleitete die Entwicklung  des Eidophors durch die Gretener AG von  Anfang an eng und übernahm die Firma nach dem Tod ihres Gründers Ende 1958. Einem breiten Fernsehpublikum wurde das  Eidophorsystem erstmals am 30. Dezember 1963 vorgestellt. Die Sendung Antenne berichtete über den Einsatz des Eidophors an einer Auktion des Radiosenders Basel zugunsten der Stiftung Pro Infirmis. Die Auktion fand im Hof des Basler Rathauses statt und wurde mit zwei Kameras aufgenommen, deren Bilder über Eidophorprojektoren auf eine Vierzig-Quadratmeter-Leinwand über dem Auktionator projiziert wurden, um so die kleinen Auktionsgegenstände wie Marken und Münzen für das Publikum besser sichtbar zu machen.

Die Ciba selbst benutzte das Eidophor in erster Linie für medizinische Schulungen und Weiterbildungen. Es erlaubte beispielsweise, Operationen aus einer Klinik in den Hörsaal einer Universität zu übertragen. Aber auch populäre Anwendungen wie die Übertragung der Olympischen Spiele 1960 in die Kinosäle wurden möglich und erfüllten ein riesiges Bedürfnis, besassen doch damals nur wenige Haushalte einen Fernseher.

Das System wurde während der 1960er-Jahre stets weiterentwickelt und gipfelte 1970 in der Simultanübertragung eines medizinischen Fortbildungskongresses zu den Themen Krebsfrüherkennung und Weltraummedizin aus den USA. Noch im gleichen Jahr wurde das erste Eidophorfarbsystem vorgestellt. Doch der technische Fortschritt holte das Eidophor ein, das schon bald aus der Mode kam, als leichtere und handlichere Beamer den Markt im Sturm eroberten.

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Aral­dit

Ein anderes Produkt, das im Klybeck mitentwickelt und auch an anderen Standorten produziert wurde, hat sich als langlebiger erwiesen, und zwar der Zweikomponenten-Kunstharzkleber Araldit, der es ebenfalls in den Weltraum schaffte.

Der extrem hitzebeständige Kleber wurde sowohl als Schutz wie auch als Kleber für die Kacheln des Hitzeschildes der Apollo-Kapsel benutzt. Die Fernsehsendung Antenne berichtete am 21. Juli 1969 über Schweizer Produkte, die an der Apollo-11-Mission beteiligt waren, darunter auch Araldit:

«Der Ciba-Zweigbetrieb in Monthey liefert einen wichtigen Beitrag zum Apollo-Programm: hitzebeständigen Klebstoff aus Kunstharz, der für den Hitzeschutzschild der zur Erde zurückkehrenden Kapsel benötigt wird … Satelliten und Raumkapseln müssen gegen jegliche Strahlung gepanzert sein. Der in der Schweiz entwickelte Metallklebstoff trägt wesentlich dazu bei, dieses Ziel zu erreichen, und wird dann vor allem mithelfen, die Apollo-Kapsel bei ihrem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre bei einer Reibungshitze von 2300 Grad Celsius vor dem Verglühen zu schützen.»

Araldit geht auf die Erfindung eines Dentallabors zurück, welches das Patent 1943 der Ciba anbot, weil es für den Epoxidharzkleber keine geeignete Verwendung gefunden hatte. Unter der Ägide von Ciba wurde Araldit bereits kurz nach dem  Krieg als Heimwerkerklebstoff auf dem Schweizer Markt lanciert. Industrieanwendungen folgten auf dem Fuss, da der Zweikomponentenkleber eine nahezu unschlagbare Klebkraft aufwies und überdies extrem dauerhaft war.

Grosses Echo fand die Anwendung von Araldit im Zusammenhang mit den Schriftrollen von Qumran, einer Kopierwerkstätte und Bibliothek antiker Texte, hauptsächlich des Alten Testaments. Gefunden wurde auch ein Verzeichnis, in welcher der 236 Höhlen sich welche Schriftrollen befinden. Dieses Verzeichnis wurde von den damaligen Verwaltern der Bibliothek auf Kupferrollen festgehalten. Der knapp zweitausend Jahre alte Lageplan konnte von den Wissenschaftlern allerdings nicht aufgerollt werden, da die Kupferrollen in tausend Stücke zu zerbersten drohten. Daher wurden die Rollen vorsichtig mit einer Schicht Araldit überzogen, was die brüchige Masse stabilisierte und in ein zähes Gebilde verwandelte, das jetzt ohne Verluste zerschnitten und dadurch auch entziffert werden konnte.

Auch bei der Rettung der gigantischen Ramses-Statuen von Abu Simbel kam Araldit zum Einsatz. Die imposante Tempelanlage musste wegen des Assuan-Staudamms verlegt werden. Dazu wurden die Statuen zersägt, mit 33 Tonnen Araldit stabilisiert, nummeriert und an einem neuen Ort wiederaufgebaut.

Fotografie

Ende der 1960er-Jahre revolutionierte eine weitere Innovation aus dem Klybeck die Fotografie: der CibaChrome-Print, ein sogenanntes Positiv-zu-Positiv-Photographie-Verfahren, das für die Reproduktion von Filmdiapositiven auf Fotopapier verwendet wurde.

Dabei wurden dreizehn spezielle Bildfarbstoffe direkt in das Fotopapier eingearbeitet und beim Entwicklungsvorgang da abgetragen, wo sie nicht erforderlich waren. Dieser Prozess stand ganz im Gegensatz zur bislang angewandten Technik, die die Farbstoffe mittels Farbkuppler während des Entwicklungsprozesses aus dem farblosen Papier hervorbrachte.

Das CibaChrome-Verfahren ermöglichte einen Quantensprung in Sachen Farbbrillanz und Tiefenschärfe und führte vor allem in der Werbe- und Messebranche zu völlig neuen Präsentationsmöglichkeiten. So wurde 1969 beispielsweise der neue Ford Capri 3000 GT der interessierten Schweizer Bevölkerung im Rahmen einer fahrenden Ausstellung präsentiert. Dabei wurden die Automobile vor grossformatige, nach innen gewölbte CibaChrome-Prints gestellt, sodass die Illusion entstand, das Auto stehe in der Zufahrt zum Schloss Chillon oder unter dem Blätterdach einer Allee. CibaChrome war quasi der Photoshop der späten 1960er-Jahre.

CibaChrome-Abzüge wirkten so farbecht, dass 1970 die führende italienische Zeitschrift Tempo anlässlich der Ausstellung einer CibaChrome-Originalkopie von Leonardo da Vincis Abendmahl unter dem Titel Il cenacolo come nato ieri (Das Abendmahl, wie gestern entstanden) dem Ciba-Chrome-Print eine grosse Reportage widmete, waren doch auf dem Print in den Originalmassen 4,6 mal 20 Meter viel mehr Details zu sehen als auf dem Originalwandgemälde im Refektorium der Dominikanermönche unweit der Chiesa Santa Maria  delle Grazie in Mailand.

Kein Wunder, waren CibaChrome-Prints in den 1970er- und 1980er-Jahren auch das bevorzugte Fotopapier für Fotokünstler.  CibaChrome-Prints definierten den Qualitätsstandard der internationalen Fotokunstszene für lange Jahre. Als ab Mitte der 1980er-Jahre die Werbe- und Messebranche mehr und mehr auf die Bildprojektion setzte, ging die Bedeutung der CibaChrome-Prints nach und nach zurück, und dies so weit, dass die nachmalige Ciba-Geigy den Unternehmenszweig 1989 verkaufte.

Auch wenn viele Erfindungen aus dem Klybeck heute veraltet sind und nur noch in Museen ausgestellt werden, haben die Produkte nichts von ihrer Faszination verloren. Sie bringen den Erfindergeist zum Ausdruck, der das Klybeck zu einem Ideenlabor werden liess, das seine Kraft in die ganze Welt, ja bis zum Mond auszustrahlen vermochte.

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