Die Bedeutung der Geschichte
Auswahl eines geeigneten Sanierungsunternehmens
Umweltüberwachung und -management
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Wissenschaft
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Erfahrungen weitergeben

Im Jahr 2019 traf sich der Autor dieses Beitrags mit dem Management des STEIH-Sanierungsprojekts, um mehr über die Arbeiten vor Ort zu erfahren. Die Erkenntnisse wollte er in ein weiteres Sanierungsprojekt in Mitteleuropa einfliessen lassen. Seine Einschätzungen zeigen, dass die Erfahrungen von Novartis wichtige Impulse für zukünftige Sanierungsprojekte geben können.

Text von John Vijgen, Fotos von Gregory Collavini

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Publiziert am 01/07/2021

Ende Januar 2018 wurde ich von einer öffentlichen Behörde aus Mitteleuropa kontaktiert und gebeten, bei der Sanierung einer grossen HCH-Deponie in einer ehemaligen Lindan-Produktionsanlage Unterstützung zu leisten. Meine konkrete Aufgabe bestand darin, den technischen Umfang der Ausschreibungsunterlagen zu beurteilen, also den Rahmen dafür abzustecken, wie die Projektdurchführung durch den Anbieter zu erfolgen hatte. Nach Durchsicht meiner Unterlagen und der Fälle, mit denen ich mich früher befasst hatte, sowie meiner Sammlung von HCH-Fallbeispielen erkannte ich, dass viele der verfügbaren Informationen veraltet waren und bei zahlreichen Fällen nur allgemeine Beschreibungen vorlagen. Trotz meiner 30-jährigen Erfahrung als Direktor der International HCH & Pesticides Association fehlten mir gut dokumentierte Unterlagen über die Detailprobleme, von denen ich wusste, dass sie während der Sanierungsarbeiten auf der Baustelle meines Kunden bestimmt auftreten würden.

Diese Situation war für mich nicht neu. Projekte, bei denen durch Lindan kontaminierte Standorte analysiert und saniert werden sollen, zählen zu den kompliziertesten und teuersten Sanierungsvorhaben. Der Austausch von Daten hat bei den Eigentümern, seien dies nun öffentliche Stellen oder Privatunternehmen, keine besonders hohe Priorität. Doch von Lindan-Altlasten dieser Art gehen beträchtliche Risiken für die Gesundheit und die Umwelt aus.

Der Kontakt zu Novartis

Als ich den neuen Auftrag erhielt, hatte ich bereits durch die STEIH-Newsletters vom Sanierungsprojekt bei Novartis erfahren. Ich stand schon im Februar 2018 in Kontakt mit Vertretern der Firma, die mir freundlicherweise technische Daten zum Umfang und zu den Kosten der Sanierungsaktivitäten am STEIH-Standort bereitgestellt hatten. Die Informationen sollten in einen Bericht über das Ausmass des HCH-Problems in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einfliessen, den ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zu veröffentlichen plante.

Vor diesem Hintergrund verfasste ich Ende November 2018 eine Anfrage an Novartis mit der Bitte, die Möglichkeiten eines technischen Austauschs über alle praktischen Fragen zu erörtern, die mein Kunde bei seinem Projekt zu erwarten hatte. Wir interessierten uns insbesondere für konkrete Umsetzungskonzepte zu Geruchs- und Staubemissionen und für die Kenntnisse, die in Sachen Emissionsschutzgehäuse, sprich Zelte, vorhanden waren. Wir hofften, konkrete Erfahrungen und möglicherweise auch neue Entwicklungen in unsere Arbeitsverfahren einbringen zu können. Ich stellte eine Reihe «brisanter» Fragen:

– Wie stellen wir sicher, dass wir über ausreichende Informationen über die Kontaminationen verfügen, um eine effiziente Durchführung des Sanierungsprojekts gewährleisten zu können?

– Wie können wir sicherstellen, dass keine Aufträge an Anbieter vergeben werden, die die Komplexität und die Tragweite der HCH-Problematik nicht ausreichend kennen?

– Wie können wir die Staub- und Geruchsemissionen von HCH und Abbauprodukten kontrollieren? Dies ist ein Bereich, über den sehr wenig veröffentlichte Arbeiten vorliegen.

– Wie können wir möglichst effizient mit den Projekt-Stakeholdern kommunizieren?

Ehrlich gesagt, hatte ich die übliche, freundlich formulierte Absage erwartet, dass ein Austausch dieser Art leider nicht möglich sei. Doch ich sollte mich täuschen! Anfang Januar 2019 erhielt ich eine Nachricht von Novartis, dass man bereit sei, eigene Erfahrungen weiterzugeben und alle Fragen auf unserer Liste zu erörtern. Unsere zweitägigen Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von Novartis sowie des Beratungsunternehmens und mit dem Auftragnehmer fanden kurz danach vor Ort statt. An den Gesprächen nahm neben mir auch mein Kunde aus Mitteleuropa teil. An diesen beiden Tagen erhielten wir sämtliche gewünschten Informationen. Alle Beteiligten zeigten echtes Interesse, meinen Kunden und mich so weit wie möglich zu unterstützen und ihre eigenen Erfahrungen weiterzugeben. Dies war viel mehr, als wir erwartet hatten.

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Die Be­deu­tung der Ge­schich­te

Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Es ist von enormer Bedeutung, die Geschichte des Standorts zu kennen und nachvollziehen zu können, bei welchen Aktivitäten die historischen Kontaminationen im Laufe der Zeit möglicherweise umverteilt wurden. Bei der Sanierung des STEIH-Standorts war die Geschichte unklar. Es war nicht einmal bekannt, ob das gesamte Gebiet saniert werden musste.

Historische Unterlagen über die beim Bau der Abwasserreinigungsanlage im Jahr 1973 am Standort vorliegenden Kontaminationen waren nicht aufbewahrt worden, falls es sie überhaupt je gegeben hatte. Die rund 70 bis 80 Standortbohrungen in den Jahren 2011 / 2012 erwiesen sich als nicht ausreichend.

Im Nachhinein teilten uns die Kolleginnen und Kollegen von Novartis ihre Einschätzung mit, dass die Untersuchungen möglicherweise nicht detailliert genug waren, um ein effizientes Sanierungsprojekt durchzuführen. Die Erfahrungen, die aus diesem Umstand gewonnen wurden, lieferten uns wichtige Erkenntnisse, auf die wir bei unserem eigenen Standortsanierungsprojekt zurückgreifen konnten.

Aus meiner Erfahrung werden Boden- und Grundwasseruntersuchungen oft als zeitaufwendige, aber notwendige Massnahme erachtet. Infolgedessen werden solche Tests oft sehr schnell und in begrenztem Umfang durchgeführt. Dabei konzentriert man sich nicht immer darauf, den nötigen Grundstock an Informationen für künftige Sanierungsarbeiten zu schaffen. Dies führt zu unerwarteten, oft erheblichen Kostensteigerungen bei Sanierungsprojekten.

Auch bei hohem Druck ist es unerlässlich, eine angemessene entwicklungsgeschichtliche Untersuchung in Angriff zu nehmen. Die Bereitstellung detaillierter Erkenntnisse über Kontaminationen am Standort darf dabei nicht dem Sanierungsunternehmen überlassen werden, das diese Erkenntnisse erst während der Sanierungsarbeiten gewinnt – insbesondere im Falle einer komplexen Angelegenheit wie der Produktion von technischem HCH und später Lindan, bei der grosse Mengen an HCH-Abfall entstanden.

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Aus­wahl ei­nes ge­eig­ne­ten Sa­nie­rungs­un­ter­neh­mens

Die Beauftragung eines Spezialunternehmens mit den Sanierungsarbeiten, die auch die Übertragung der entsprechenden Verantwortlichkeiten beinhaltet, ist eine der wichtigsten Entscheidungen im gesamten Sanierungsverfahren. Der Auftragnehmer, der am Standort von ARA-STEIH in der ersten Phase der Sanierung beauftragt wurde, machte trotz seiner umfangreichen internationalen Erfahrungen und seiner ausgezeichneten Reputation in diesem Bereich keinen besonders organisierten Eindruck. Selbstverständlich hatte man darauf vertraut, dass der Auftragnehmer die volle Kontrolle über die Arbeiten ausübt. Doch aufgrund der Komplexität und vielleicht auch aufgrund der Neuartigkeit dieser Aufgaben war die Überwachung der Zelte, die am Standort zur Eindämmung der freigesetzten Emissionen aufgestellt wurden, unzureichend. Auch die Emissionsbehandlung erfolgte nicht fachgerecht. Darüber hinaus waren die Emissionswerte während des Transports zu hoch und erforderten eine ständige Überwachung. Diese Situation musste geändert werden. Im September 2013 wurde ein Sanierungsstopp beschlossen. Daraufhin dauerte es fast ein Jahr, bis sich die Situation verbessern liess.

Beim Verfassen dieses Artikels erscheint es mir merkwürdig, dass der ursprüngliche Auftragnehmer nicht darauf bestanden hatte, mehr Informationen über die Kontamination am Standort zu erhalten, bzw. dass er nicht zumindest dafür gesorgt hatte, dass die Ausschreibung weitere Untersuchungen vorsah, um sämtliche bestehenden Risiken und Unsicherheiten zu begrenzen. Die Mängel an den Zelten und an deren Platzierung hätten dadurch beispielsweise beseitigt werden können.

Die Komplexität von HCH-Standorten macht gemäss meiner Erfahrung eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Kunden, dem Beratungsunternehmen und dem Auftragnehmer unbedingt erforderlich. Ohne die spezifische Vertragsgestaltung in dieser ersten Phase genauer zu kennen, kann ich jedoch sagen, dass viele Standorte im Rahmen von Standardvertragsbedingungen saniert wurden, die häufig nach dem Prinzip des tiefsten Preises zustande kamen.

Nachdem die Sanierungsarbeiten wieder aufgenommen waren, wurde eine neue, auf funktionalen Anforderungen basierende Ausschreibung lanciert. Die Spezifikationen beschrieben nicht im Detail, wie die Arbeiten auszuführen seien. Sie enthielten jedoch sehr klar definierte Zielvorgaben und Anforderungen an die Bewerber, darunter auch eine Beschreibung der Machbarkeitsnachweise. So kam die Praxiserfahrung der kompetentesten Bewerber ans Licht.

Zu Beginn der zweiten Phase waren bereits 68 000 Tonnen ausgebaggert und zum Teil vor Ort behandelt, zum Teil zur Behandlung abtransportiert worden. Es waren also noch rund 168 600 Tonnen auszubaggern und rund 193 000 Tonnen zu entsorgen. Bei unserem Termin im Januar 2019 war dieser Schätzwert auf 502 000 Tonnen angewachsen.

Es ist häufig der Fall, dass bei Sanierungsarbeiten, die zu Problemen führen, nur mangelhafte Informationen über die Kontamination am Standort vorliegen. Wie bereits erwähnt, sind solche Informationen aber von entscheidender Bedeutung. Ausgehend von den durchgeführten Ausbaggerungsarbeiten sowie den unzureichenden Untersuchungen in den Jahren 2011 / 2012 stellt sich die Frage, ob eine weitere detaillierte Untersuchung zwischen dem Baustopp und der Wiederaufnahme der Arbeiten dem gesamten Projekt förderlich gewesen wäre. In diesem Zusammenhang hätte auch eine erneute Prüfung der historischen Unterlagen durchgeführt werden können.

Als Teil des neuen Vertragsrahmens von Novartis war vor der Ausführung der Hauptarbeiten eine Testphase eingeführt worden. Zweck war es, standortspezifische Erkenntnisse zu gewinnen und die gewählten Herangehensweisen und Methoden durch Pilotprojekte und Tests zu bestätigen. Dies steigert die Effizienz der Standortsanierung insgesamt erheblich. In dieser Phase wurden sämtliche Einzelmassnahmen des Sanierungsprojekts vor Ort auf ihre geplante Machbarkeit getestet. So wurde sichergestellt, dass Schwachstellen in der Konzeption der Arbeiten ermittelt werden und dass nach der Testphase die Sanierungsarbeiten vor Ort in der Praxis planmässig und zielführend durchgeführt werden konnten.

Ein solches Vorgehen kann nur im Rahmen einer engen Zusammenarbeit zwischen Berater, Auftragnehmer und Kunde erreicht werden. Bei meinem Besuch konnte ich beim Auftragnehmer, beim Berater und beim Kunden einen positiven Teamgeist beobachten. Offenbar verfolgten alle das Interesse, sämtliche Probleme gemeinsam zu lösen.

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Um­welt­über­wa­chung und -ma­nage­ment

Durch die Erfüllung höchster Anforderungen an Gesundheitsschutz und Sicherheit sowie durch die Vermeidung von Emissionen in die Umwelt – ermöglicht durch den Einsatz von hochwertigeren Zelten und (wo immer möglich) durch die Abdeckung der alten Zelte – liessen sich die Emissionen eindämmen, darunter starke Benzol-Emissionen. Zudem kamen die neuesten Technologien zur Anwendung, wie beispielsweise Andockstationen für Bagger und Transportfahrzeuge, eine neue Schiffsbeladeanlage und der Bau von Luft- und Abwasserbehandlungsanlagen.

Der Luftüberwachungsnotfallplan für den Standort enthielt einen klaren Entscheidungsbaum für Luftüberwachungswerte. Er lieferte die notwendigen Massnahmenkriterien und hat sich als hervorragendes Management-Tool erwiesen. Aus meiner Sicht lohnt es sich, diese neue, spezielle Erfahrung auf alle anderen HCH-Standorte zu übertragen.

Transparenz und Kommunikation

Bei allen Projekten ist die Kommunikation erfolgsentscheidend. Dies gilt umso mehr in einer Region, in der viele Stakeholder aus mehreren Ländern (aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz) beteiligt sind und in der die Sanierungskriterien, die Risikoabschätzungstools usw. aufeinander abgestimmt werden müssen.

Bei HCH-Sanierungen gibt es in der Regel ein starkes öffentliches Interesse. Deshalb ist Transparenz unerlässlich. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Ende Oktober 2013 die Website sanierung-steih.ch allgemein zugänglich gemacht wurde, um die Stakeholder und die breite Öffentlichkeit fortlaufend zu informieren. Dort wurden alle öffentlichen Sitzungen bekannt gegeben und technische Präsentationen bereitgestellt. Die Tatsache, dass Novartis die speziell in diesem Projekt gewonnenen Erfahrungen im vorliegenden Buch publiziert, zeigt die Bereitschaft, Erfahrungen weiterzugeben, welche für andere von Nutzen sein können, die sich heute und in Zukunft mit ähnlichen HCH-Sanierungen befassen.

Danksagung

Abschliessend möchte ich mich aufrichtig bedanken für die Offenheit unserer Gespräche im Januar 2019 und für die wertvollen Informationen, die wir zur Vertragsgestaltung, zum Emissionsmanagement und zur Emissionskontrolle erhalten haben. Auch in dieser Hinsicht ist das HCH-Sanierungsprojekt von Novartis einmalig und gereicht anderen Projekten zum Vorbild.

John Vijgen ist Direktor der International HCH & Pesticides Association und hat sich in den vergangenen 30 Jahren mit zahlreichen Lindan-Sanierungen beschäftigt. Novartis dankt John Vijgen für seine offene Einschätzung des STEIH-Sanierungsprojekts.

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