Digitale Glasmalerei
Ein schwarz-weisses Kleid
Arbeit im Labor
Kunst und Wissenschaft
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Digitales Buntglas

Das mit tausenden LEDs bestückte Dach des Novartis Pavillon dient als digitale Leinwand für drei Kunstschaffende, die zu den Ersten gehören, die mit dem vom Basler Medienunternehmen iart entwickelten Media-Mesh experimentieren können. Ihre Werke dürften leicht den Bogen von der Wissenschaft zur Kunst spannen und Forscher und Kunstliebhaber gleichermassen inspirieren.

Text von Goran Mijuk, Fotos von Adriano A. Biondo und Laurids Jensen, lllustration von Philip Bürli

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Daniel Canogar vor einem seiner Werke in der Galerie Wilde in Basel.

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Publiziert am 09/05/2022

Für Daniel Canogar ist Kunst untrennbar mit individuellen Erfahrungen verbunden. Zu dieser Erkenntnis gelangte er früh in seiner Karriere, als er noch Fotografie als Medium für seinen künstlerischen Ausdruck nutzte. «In der Dunkelkammer mit dem Rotlicht zu stehen und zu sehen, wie ich mithilfe von Chemikalien Bilder zum Leben erwecken konnte, war für mich intensiver und wichtiger als die Bilder, die ich gemacht hatte», erklärte Canogar.

Anstatt sich wie die meisten Fotografen auf das Endresultat zu konzentrieren, realisierte Canogar, dass der Weg wichtiger sein kann als das Ziel und dass die Erfahrung dieses Wegs an sich ein künstlerischer Ausdruck ist – eine Idee, die für Canogar die Kunst zurück zum Betrachter und ins Zentrum des eigenen Selbst rückt.

Nach seiner Tätigkeit als Fotograf experimentierte Canogar später mit anderen visuellen Medien wie Video und gehörte zu den ersten Künstlern, die mit LEDs arbeiteten, um dynamische Kunstwerke zu schaffen, deren atemberaubende Schönheit sich nur durch die aktive Teilnahme am künstlerischen Prozess entfalten kann. Im Gegensatz zu traditionellen Gemälden oder Fotografien, die sich statisch auf ein bestimmtes Objekt beziehen, oder auch zu Videos, die in der Regel einer sequenziellen Logik folgen, sind viele von Canogars Werken lebendige Objekte, die sich ständig in Farbe und Form verändern.

Während der Betrachter allein von diesem Wechselspiel fasziniert sein mag, werden die Bewegungsabläufe in der Regel von wissenschaftlichen Daten diktiert. Eine seiner jüngsten Installationen, Billow aus dem Jahr 2020, nutzt Daten aus der Google-Suchmaschine und übersetzt sie in bunte, sich bewegende Displays, die sich in scheinbar magischen Mustern präsentieren. «Die Idee ist, Big Data, die meist verborgen und nicht greifbar sind, eine Form zu geben und so dem Betrachter eine sinnliche Erfahrung unserer algorithmischen Realität zu ermöglichen», erläuterte Canogar. «Dadurch eröffnet sich dem Publikum eine alternative Perspektive auf Daten – ein Phänomen, zu dem man nur wenig oder gar keinen Zugang hat, obwohl es eine so dominierende Kraft unserer Zeit ist.»

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Die Basler Künstlerin Esther Hunziker im Gespräch mit Martin Furler Bassand, dem Leiter der umfangreichen Kunstsammlung von Novartis.

Di­gi­ta­le Glas­ma­le­rei

Diese Idee verfolgte Canogar auch, als er am Wettbewerb für die Bespielung des Novartis Pavillon teilnahm. Neben der Schweizer Künstlerin Esther Hunziker und dem britischen Duo Semiconductor arbeitet er an einer Lichtinstallation, die in Zukunft auf dem von iart konstruierten Mediengeflecht zu sehen sein wird.

Inspiriert von den Buntglasfenstern, die in der Renaissance aufkamen und oft zur Darstellung biblischer Szenen eingesetzt wurden, schrieb Canogar in seinem Expo­sé für die Wettbewerbsausschreibung: «Welches sind die grundlegenden Themen von heute, die auf dem technologisch aktualisierten Buntglasfenster von Novartis darge­stellt werden sollten? Ich glaube, der Klimawandel ist das bestimmende Thema unserer Zeit. Und genau wie einst in den gewölbten Decken der Planetarien und Sternwarten blicken wir hoch in den Himmel, um nach Hinweisen zu suchen, die zu einem besseren Verständnis unseres sich schnell verändernden Klimas führen.»

Canogar, der in Madrid und in Los Angeles lebt und arbeitet, entwickelt das Projekt zusammen mit den Mitgliedern seines Studios, zu dem auch Programmierer gehören, die für die Entwicklung der komplizierten Algorithmen zuständig sind. Im Rahmen des Projekts steht er auch mit mehreren Wissenschaftlern von Novartis und Chief Sustainability Officer Montse Montaner in Kontakt, um jene Daten zu identifizieren, die die Grundlage für seine Installation bilden sollen.

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Die Medienfassade bietet viele Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks.

Ein schwarz-weis­ses Kleid

Die Basler Künstlerin Esther Hunziker verfolgt einen anderen Ansatz. Als Medienkünstlerin, die mit Videos, Fotos und Internet arbeitet, hat Hunziker einen Schwerpunkt ihres Schaffens auf die Entwicklung einer formalen schwarz-weissen Bildsprache gelegt. Für das Pavillon-Projekt entwirft sie dabei ein Video, das später auf das digitale Geflecht übertragen und durch die LEDs abgespielt wird.

Bei der Entwicklung ihrer Arbeit verwendet sie ein massgeschneidertes Tool von iart, um zu prüfen, wie sich das Video auf dem runden Dach darstellen lässt und wie die entsprechenden Bildeffekte aussehen werden. Obwohl diese Art des Arbeitens für sie ungewohnt ist, hat sich Hunziker nie davor gescheut, mit neuen Technologien zu experimentieren.

«Ich habe einen Hintergrund als Schneiderin und Modedesignerin und habe später Videokunst studiert, bin also vom Analogen zum Digitalen übergegangen und habe interaktive, multimediale Kunst im Internet gemacht, wo ich sämtliche multimedialen Elemente wie Ton, Text, Videos, Grafiken und Animationen auf nichtlineare Weise kombinieren konnte», blickt sie zurück.

Während viele ihrer Arbeiten Studien in Schwarz-Weiss sind, wie etwa die Video- und Bildserie Layer aus dem Jahr 2021, die eine amorphe, zellähnliche und in der Luft schwebende Struktur zeigt, experimentiert Hunziker auch gerne mit Farben, wodurch ein verblüffender Eindruck erzeugt wird, wie etwa bei Projection. Da sieht man eine wurmartige Kreatur, die, einer fremden Welt entsprungen, sich im Raum entfaltet und ein Gefühl des Ekels und der Neugierde erzeugt.

Für das Pavillon-Projekt hält sich Hunziker an ihr Schwarz-Weiss-Konzept und taucht in die Tiefen des Makro- und Mikrokosmos ein, wobei sie sich – nicht zuletzt wegen der geringen Bildauflösung – eher auf spielerische Formen als auf wissenschaftlich akkurate Figuren konzentriert. Zwar ist das Dach des Novartis Pavillon selbst schon ein beeindruckendes Stück Kunst und Technik mit rund 14000 nach innen und aussen gerichteten LEDs. Doch im Vergleich zu einem normalen Bildschirm mit seinen Millionen von Pixeln ist die Auflösung gering.

«Anstelle wissenschaftlicher Genauigkeit – die aufgrund der begrenzten Auf­lösung des Medien-Mesh nicht möglich ist – habe ich mich dafür entschieden, mit Formen zu arbeiten, die sich zwischen der Miniaturwelt der Zellen und Mikroben und der Makrowelt des Universums bewegen, um dadurch ein einzigartiges ästhetisches Erlebnis zu schaffen», so die Künstlerin. In ihrem Exposé schreibt sie: «Mein Ziel ist es, auf experimentelle und spielerische Weise das verborgene Universum der Mikro- und Makrowelten, die uns umgeben, zu erforschen und gleichzeitig zu versuchen, einige ihrer subtilen und normalerweise verbor­genen Erzählungen zu entschleiern und in einen Zusammenhang zu bringen.»

Ihre Erfahrung als Schneiderin schlägt sich dabei in ihrer Arbeit nieder: «In Bezug auf die Medienfassade gefällt mir die Metapher des Kleides. Ein Kleid, das man zu einer bestimmten Zeit, zu einem bestimmten Anlass trägt. Ein gutes, massgeschneidertes Kleid sollte immer die Persönlichkeit und das Selbstbewusstsein der Person unterstreichen. Ich habe gelernt, wie man ein Kleid für den menschlichen Körper schneidert. Ein Kleid für ein Gebäude anzufer­tigen, ist eine ganz neue und spannende Herausforderung.»

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Am Puls der Wissenschaft: das Künstlerduo Semiconductor.

Ar­beit im La­bor

Einen weiteren Ansatz verfolgt das britische Künstlerduo Semiconductor von Ruth Jarman und Joe Gerhardt. Die beiden sind es gewohnt, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Labor zu arbeiten, und interessieren sich schon seit vielen Jahren für die Wissenschaft, wobei sie ihre ersten Erfahrungen 2006 bei einem Forschungsaufenthalt im NASA Space Sciences Lab in Berkeley sammelten.

«Schon früh in unserer Karriere wollten wir mit Forschenden zusammenarbeiten, denn wir sind beide sehr an der Materialität der Dinge interessiert, also an Wissenschaft und Technologie und allem, was jenseits der menschlichen Erfahrung liegt», erklärt Jarman. «Obwohl wir selbst keine Wissenschaftler sind, lieben wir es, in ihrer Nähe zu sein und mit ihnen zu reden und zu schauen, was sie tun und wie sie unsere Welt entschlüsseln.»

Bei ihren Projekten richten sie sich in der Regel in einem Labor ein und führen dort Gespräche mit Forschenden, um sich so ein klareres Bild der dort stattfindenden Forschungsarbeit zu verschaffen. «Das sind wirklich interessante Prozesse», sagte Gerhardt. «Wir treffen oft auf Menschen, die sehr offen und neugierig auf unsere Arbeit sind, während andere uns scheinbar ignorieren. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem einer der Wissenschaftler am Ende unseres Aufenthalts zu uns kam und uns fragte, warum wir nicht mit ihm gesprochen hätten.»

Ihre aus der Zusammenarbeit mit der NASA hervorgegangene Arbeit stiess in der Kunstszene auf reges Interesse, vor allem aufgrund des von ihnen oft verwendeten Verfremdungseffekts. Das Video Brilliant Noise mit seinen körnigen Schwarz-Weiss-Bildern von der Sonne stand in scharfem Kontrast zu den hochpolierten Bildern, mit denen die NASA ihre Arbeit der Öffentlichkeit präsentiert, und vermittelte so ein ungewöhnliches, gleichzeitig jedoch authentisches Bild unseres Heimatsterns.

Dieser Verfremdungseffekt ist ein zentrales Element der Arbeit von Semiconductor. Dabei versuchen die beiden britischen Künstler, über unsere Alltagserfahrungen hinauszugehen und eine Sprache zu finden, die mit unserer alltäglichen Wahrnehmung und unseren Vorurteilen bricht und dem Betrachter eine neue Perspektive auf das Leben bietet.

Bei der Arbeit im Pavillon geht Semiconductor zunächst von «der Erzeugung zellenartiger Formen aus, die sich von visuellem Rauschen zu lesbaren Mustern und wieder zurück verwandeln», wie die Künstler in ihrem Exposé erklären. «Das Kunstwerk erforscht die Selbstorganisation als zeitgenössische Untersuchungsmethode, die in der biomedizinischen Forschung angewandt wird, um ein Verständnis für das grössere Bild zu schaffen; nämlich wie biologische Einheiten interagieren, sich entwickeln und als Gesamtsystem in Erscheinung treten.»

Semiconductor hätte gerne eng mit Labor­forscherinnen und -forschern zusammengearbeitet, wurde aber zum Teil durch die Pandemie davon abgehalten. Vielleicht wird das britische Duo den Novartis Campus besuchen, so wie die US-Medienkünstlerin Lynn Hershman, die mit einem NIBR- Wissenschaftler an einer biologischen Skulptur gearbeitet hat, die ebenfalls im Pavillon zu sehen sein wird.

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Kunst und Wis­sen­schaft

War Kunst schon immer ein Bestandteil der Unternehmenskultur von Novartis, wurde diese Beziehung beim Bau des Campus um die Jahrtausendwende noch verstärkt. Damals wurde beschlossen, dass Kunst ein integraler Bestandteil des Areals werden und als Inspiration für die Mitarbeitenden dienen sollte.

Neben einer massiven Skulptur von Richard Serra und einer LED-Installation von Jenny Holzer finden sich auf dem Campus auch Kunstwerke von Dan Graham, Ólafur Elíasson und seit Kurzem auch ein 57,6 x 21,1 Meter grosses Wandgemälde der Schweizer Künstlerin Claudia Comte.

«Kunst und Wissenschaft arbeiten beide am Rande des Bekannten», sagt Martin Furler Bassand, der die umfangreiche Kunst­sammlung des Unternehmens leitet und zusammen mit Sabine Himmelsbach, der Leiterin des «Hauses der elektronischen Kunst» in Basel, den Wettbewerb für das Kunstprojekt des Novartis Pavillon organisiert hat. «Sie sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich, da sie uns zwingen, die Welt mit neuen Augen zu sehen, und die Art, wie wir Alltägliches wahrnehmen, auf den Kopf stellen.»

Furler Bassand, der auch die erste Beteiligung von Novartis an der Art Basel Parcours auf dem Novartis Campus während der Art Basel 2021 mitorganisiert hat, ist überzeugt, dass diese symbiotische Beziehung im Laufe der Zeit weiterwachsen wird und dass die Werke von Semiconductor, Hunziker und Canogar auch über Novartis hinaus auf grosses Interesse stossen werden.

«Ich hoffe, dass das Licht auf dem Dach des Pavillons nicht nur für unsere Mitarbeitenden, sondern auch für Tausende von Baslerinnen und Baslern, die es aus der Ferne betrachten können, eine Inspiration sein wird», erklärt Furler Bassand. «Zusammen mit der Eröffnung des Campus kann dies ein neues Kapitel für die Stadt und für Novartis aufschlagen und die Idee unterstreichen, dass Kunst und Wissenschaft nicht getrennt voneinander betrachtet werden sollten, sondern zwei Seiten derselben Medaille sind.»

Furler Bassand weist zudem darauf hin, dass sich Kunst und Wissenschaft im Laufe der Zeit noch stärker annähern und ihren Dialog intensivieren dürften. «Die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen von heute – von der Gesundheitsversorgung bis zum Umweltschutz – sind Themen, die sowohl die Wissenschaft als auch die Kunst antreiben, was beide in den kommenden Jahren näher zusammenrücken lassen und ihre Berührungspunkte vergrössern wird.»

Vor diesem Hintergrund arbeitet Furler Bassand für die nächste Art Basel bereits an einer Präsentation von Kunstwerken, die von 25 aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt für Novartis geschaffen wurden und die Werte von Novartis in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Und das ist erst der Anfang.

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